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Bregenzer Festspiel-"Freischütz": Teuflisches Kneippen

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Wasserscheu dürfen Sänger heuer in Bregenz nicht sein
©APA/APA/KEYSTONE/GIAN EHRENZELLER
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Mit Carl Maria von Webers "Der Freischütz" landen die Bregenzer Festspiele 2024 auf der Seebühne einen Volltreffer - wenn auch das Ziel kein leichtes ist. Regisseur Philipp Stölzl legt eine postmoderne Deutung der romantischen Oper vor, die ebenso untypisch für Sommerfestivals wie teuflisch gut ist. Ein echtes Spektakel mit doppeltem Boden und Masken hinter Masken. Nass wurden dabei am Mittwochabend nur die Bühnenfiguren und nicht das Premierenpublikum.

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Schließlich wuselt es nach der statischen "Butterfly" der beiden Vorjahre wieder an den Gestaden des Bodensees, wobei das Gewässer gar eine zentrale Rolle spielt. Die Mehrheit der Figuren watet gleichsam durchgängig durch die Lacken, die sich zwischen der halbversunkenen Welt des "Freischütz"-Dorfes befinden. Kneippen mit Anspruch.

Stölzl, der wie beim "Rigoletto" auf der Seebühne in den Jahren 2019/2021 auch wieder für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, setzt diesmal auf eine eher horizontale denn vertikale Ausrichtung. Es ist eine windschiefe, winterliche Landschaft, eine aus den Fugen geratene Welt. Zugleich hält das vermeintlich statische Setting im Laufe des Abends einige Überraschungen bereit, lässt versteckte Installationen erwachsen und erweist sich als unerwartet variantenreich in seinen Möglichkeiten. Und eine anfangs enervierend plätschernde Mühle im Dorf wird gerade noch rechtzeitig abgestellt, bevor man als Zuschauer auf die Bühne klettern möchte, um den Müller niederzuschlagen.

In diesem Setting positioniert Stölzl eine Rahmenhandlung mit einem an Gustav Gründgens' Mephisto geschulten Samiel als Erzähler, den Moritz von Treuenfels als reimender Master of Ceremonies anlegt. Er zeigt zunächst einen düsteren Ausgang des Werks, der eher an August Apels "Geisterbuch" als der Vorlage für den Komponisten geschult ist, denn am originalen "Freischütz". Die eigentliche Oper wird dann als Flashback präsentiert.

Hochgradig postmodern und ironisch geht Stölzl auch im Verlauf an das Werk heran, zerlegt es, indem er mittels Samiel beständig in die Metaebene geht. Er bricht das Illusionstheater mit steter Kommentierung und versieht den christlichen Duktus des Librettos mit zynischen Kommentaren. Da hat ein kleines Esther-Williams-Wasserballett ebenso Platz wie eine lesbische Liebe zwischen Agathe und Ännchen.

Der Pferdefuß in diesem teuflischen Spiel ist lediglich, dass man diesen Inszenierungsansatz eher von ambitionierten Opernhäusern, denn von meist auf Luftig-Leichteres fokussierenden Sommerfestivals gewohnt ist. Dennoch kann von Themenverfehlung keine Rede sein, erscheint dieser selbstreflexive Zugang zum "Freischütz" im Jahr 2024 doch vollends stimmig, umschifft er doch die Mehrheit jener Klippen, welche die Oper für ein heutiges Publikum bereithält.

Wie oft sieht man etwa einen "Freischütz", in dem sich wackere Sängerinnen und Sänger in den Sprechpassagen mühen, über Krippenspielniveau hinaus zu kommen und dabei scheitern? Dank Moritz von Treuenfels als Erzähler, aber auch dem des Spiels mächtigen Ensemble um Nikola Hillebrand als Agathe, Katharina Ruckgaber als Ännchen, dem diabolischen Christof Fischesser als Samiel-Gespiel Kaspar und dem treudoofen Max von Mauro Peter gelingt ein echter Musiktheaterabend am See. Und die Wiener Symphoniker unter Enrique Mazzola entkommen der Falle, lediglich einen Soundtrack zum Geschehen zu liefern, sondern bieten einen starken, wenn auch nicht allzu feinziselierten "Freischütz".

Wer sich vom Pulver, das dieser "Freischütz" bereithält, persönlich ein Bild machen möchte, der hat bis 18. August noch 27 Mal die Gelegenheit - theoretisch. Denn schließlich sind zahlreiche der Aufführungen, für die in Summe 199.000 Tickets aufgelegt sind, bereits ausverkauft. Als würde es mit dem Teufel zugehen...

(Von Martin Fichter-Wöß/APA)

(S E R V I C E - "Der Freischütz" von Carl Maria von Weber im Rahmen der Bregenzer Festspiele auf der Seebühne. Inszenierung/Bühne: Philipp Stölzl, Kostüme: Gesine Völlm, Licht: Philipp Stölzl/Florian Schmitt. Musikalische Leitung der Wiener Symphoniker: Enrique Mazzola. Mit (Premierenbesetzung): Ottokar - Liviu Holender, Kuno - Franz Hawlata, Agathe - Nikola Hillebrand, Ännchen - Katharina Ruckgaber, Kaspar - Christof Fischesser, Max - Mauro Peter, Samiel - Moritz von Treuenfels, Ein Eremit - Andreas Wolf, Kilian - Maximilian Krummen, Brautjungfern - Theresa Gauß/Sarah Kling. Weitere Aufführungen am 19.-21., 23.-28. sowie 30. bis 31. Juli sowie am 1.-4., 6.-11. und 13.-18. August. )

BREGENZ - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/KEYSTONE/GIAN EHRENZELLER

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