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In dem 1995 uraufgeführten Zweistünder passiert vordergründig nicht viel. Die junge Beate kehrt mit dickem Bauch und ihrem schweigsamen Freund nach langer Zeit wieder zurück in ihr Elternhaus, wo sie auf die lethargische, von Schmerzen geplagte Mutter, den immer müden und noch schweigsameren Vater und ihre kleine Schwester trifft, die ständig auf der Suche nach jemandem ist, der mit ihr Karten spielt. Das Wiedersehen läuft eher beiläufig ab, der junge Vater in spe wird nicht einmal nach seinem Namen gefragt, allerdings hat er auch keine Präferenz, wenn Beate ihn um Namensvorschläge für das Baby bittet. Als mit Beates Jugendfreund Bjarne plötzlich ein Geist aus der Vergangenheit auftaucht, könnte Schwung in die Konstellation kommen, aber die vorherrschende Lethargie lässt dies nicht zu.
Ein Stück zu inszenieren, in dem das Schweigen die Hauptrolle spielt, ist ein heikles Unterfangen. Michael Sieberock-Serafimowitsch doppelt die Bedeutungslosigkeit der ausgespuckten Worte mit einer schlichten, im 70er-Jahre-Stil gehaltenen Wohnlandschaft, von der aus eine Treppe in einen unsichtbaren ersten Stock führt. Nicht mal in der Haustechnik steckt genug Leben: Lampen flackern, Abflüsse gurgeln, das Telefon erstirbt nach dem ersten Klingeln. An diesem Unort liegt es am Ensemble, die Leerstellen spürbar zu machen. Das gelingt an diesem behutsam inszenierten, aber durchaus familiäre Klischees bedienenden Abend mit Bravour.
Anna Rieser, die kürzlich mit einer Nestroy-Nominierung als beste Schauspielerin bedacht wurde, gibt die hochschwangere, im Leben offensichtlich planlose junge Frau mit einer hinreißenden Perspektivlosigkeit. Zwar beschwert sie sich, dass ihr Freund, der meist lesend im Fauteuil hängt, ihr nie richtig zuhört, andererseits schneidet sie ihm das Wort ab, bevor auch nur ein Ton über seine Lippen kommen kann. Wie fulminant Fabian Reichenbach seine zögernden Sprechversuche anlegt, ist sehenswert. Die für einen Nachwuchs-Nestroypreis nominierte Irem Gökçen gibt die noch halbwegs mit Leben gefüllte jüngere Schwester, die hilflos zugeben muss, dass ihre Familie schon längst in ihre Einzelteile zerfallen ist. Komplettiert wird die Konstellation mit einem resignativen Vater (Thomas Dannemann), einer zwischen Hysterie und Gleichgültigkeit schwankenden Mutter (Birgit Unterweger) und dem allzu naiven Jugendfreund Bjarne, dem Nick Romeo Reimann in seiner kurzen Szene viel Leben einhaucht.
Es ist das, was nicht gesagt wird, das man beim Zuschauen eigentlich unbedingt wissen will. Warum schlägt das junge Paar mit Sack und Pack bei der ungeliebten Familie auf? Was ist einst zwischen den Eltern und Beate vorgefallen? Wie soll das sich anbahnende Zusammenleben funktionieren? Kay Voges' Inszenierung gibt keine Antworten, ja auch keine Andeutungen. Vielmehr verschafft er seinem Ensemble genügend Raum und Zeit, um die Stille zwischen den Wortfetzen bis an die Schmerzgrenze auszureizen. Eine nur wenige Augenblicke andauernde (Alb-)Traumszene, in der Bewegung auf die Bühne kommt, verhallt ohne Existenzberechtigung. Aber vielleicht muss man nicht alles wissen in einer Zeit, in der ohnehin so viel gesagt wird. Herzlicher Applaus für einen langsamen, stillen und darum umso lauteren Abend.
(Von Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E - "Der Name" von Jon Fosse im Volkstheater. Regie: Kay Voges, Bühne: Michael Sieberocl-Serafimowitsch, Kostüme: Mona Ulrich, Musik und Geräusch: Tommy Finke. Mit Anna Rieser, Fabian Reichenbach, Irem Gökçen, Birgit Unterweger, Thomas Dannemann und Nick Romeo Reimann. Nächste Termine: 2. und 20. November, 8. und 20. Dezember. www.volkstheater.at)
WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/Volkstheater/Marcel Urlaub