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Die Anklage hatte dem Mann vorgeworfen, im Dezember 2023 eine von Suchtmitteln beeinträchtigte 16-Jährige in seine Unterkunft mitgenommen und dort ihren Zustand ausgenutzt zu haben, um mit ihr mehrfach den Beischlaf zu vollziehen. Das Mädchen wurde am 10. Dezember tot in der Wohnung in Rudolfsheim-Fünfhaus aufgefunden. Er sei "unschuldig", lautete die Verantwortung des Mannes. "Zu den Vorwürfen kann ich nur lachen", meinte er zu Beginn seiner Einvernahme.
Es sei "eine unglaublich tragische Geschichte", führte die Richterin in ihrer Begründung aus. Und in Richtung des Angeklagten bemerkte sie: "Es ist moralisch höchst verwerflich, was Sie da gemacht haben." Dessen ungeachtet seien die Angaben des Mannes nicht zu widerlegen und das Ausmaß der Beeinträchtigung der 16-Jährigen nicht zu klären. Die Mutter und Freundinnen bzw. Bekannte der ums Leben Gekommenen, die die Verhandlung verfolgt hatten, bekamen diese Ausführungen nicht mehr mit. Sie verließen noch während der Urteilsverkündung entrüstet und mit lautstarken Unmutsbekundungen und Beschimpfungen den Gerichtssaal.
Gänzlich ungeschoren kam der 55-Jährige nicht davon. Weil er am 13. Juni 2023 unerlaubt in einem Gewässer gefischt hatte, wurde er wegen Eingriffs in ein fremdes Fischereirecht zu zwei Monaten bedingt verurteilt, was er auch akzeptierte. Das ist insofern von Bedeutung, als der Mann, der sich seit sechseinhalb Monaten in U-Haft befunden hatte, kaum Aussichten auf eine Haftentschädigung haben dürfte. Der 55-Jährige wurde unmittelbar nach der Verhandlung enthaftet. Die Staatsanwältin gab vorerst keine Erklärung ab.
Es sei ein Mal zu einvernehmlichem Sex gekommen, wobei das Mädchen "nicht wehrlos" gewesen sei, hatte der Angeklagte in seiner Befragung behauptet. Sie habe "aktiv mitgemacht" und sei "nicht super beeinträchtigt" gewesen. Er "höre sie heute noch". Seine unmittelbar nach seiner Festnahme getätigten Angaben wies der Angeklagte großteils zurück: "Es gab kein zweites Mal Sex". Die Polizei habe ihn "nicht ausreden lassen".
Wie sich bei den Ermittlungen herausstellte, war die 16-Jährige infolge ihres Drogenkonsums gestorben. Bei der Obduktion wurden in ihrem Körper Spuren von Morphin, Kokain, Methamphetamin und weitere Substanzen nachgewiesen. Im Zusammenhang mit dem Ableben des Mädchens konnte dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden, dass er dafür kausal verantwortlich bzw. mitverantwortlich war. Er hatte ihr keine Drogen verabreicht, billigte ihm die Staatsanwaltschaft zu.
Wie Gerichtsmediziner Nikolaus Klupp in der Verhandlung darlegte, starb die 16-Jährige an einer Sauerstoffunterversorgung in Folge einer kombinierten Suchtgiftvergiftung. Der Tod sei am 10. Dezember zwischen 6.00 Uhr und 12.00 Uhr eingetreten, sagte der medizinische Sachverständige. Laut dem chemischen Sachverständigen Günter Paul Gmeiner hatte das Mädchen einige Stunden vor ihrem Ableben Kokain genommen. Was morphinhaltige Substanzen betraf, konnte Gmeiner nicht gänzlich ausschließen, dass die 16-Jährige solche noch eine Stunde vor ihrem Tod konsumiert hatte. Was die inkriminierten, dem 55-Jährigen angekreideten Tathandlungen anlangte, sagte Gmeiner, es könne mit einer forensisch-chemischen Analyse nicht rückgeschlossen werden, "ob sie wehrlos war".
"Sie war schon süchtig", räumte die Mutter der ums Leben gekommenen Jugendlichen in ihrer Befragung als Zeugin ein. Ausschlaggebend dafür sei ein Todesfall in der Familie gewesen, vermutete die 42-Jährige. Ihre Tochter habe mit dem Konsum von Substanzen "Trauer, Schmerz rausgelassen". Die 16-Jährige sei von Montag bis Freitag in einer betreuten WG untergebracht gewesen: "Die Wochenenden hat sie zu Hause verbracht, was gut funktioniert hat."
Am 5. Dezember - einem Dienstag - habe sie erfahren, dass ihre Tochter abgängig war. Sie habe das Mädchen angerufen, erinnerte sich die Mutter: "Ich habe versucht, ihr zuzureden, dass sie nach Hause kommt. Das wollte sie nicht." Wie die Mutter dem Gericht erklärte, hätte das Mädchen nach einem vorangegangen Suizidversuch ("Es war ein Hilfeschrei") auf Zuweisung eines Amtsarztes an sich stationär in einer Klinik aufgenommen werden sollen. Dazu sei es nicht mehr gekommen.
Zuletzt habe sie am 9. Dezember um 18.30 Uhr eine Textnachricht von ihrer Tochter erhalten, stellte die Mutter fest. "Bin bei einem Freund", teilte das Mädchen mit. Sie sei davon ausgegangen, dass sich die 16-Jährige "bei einem Burschen" aufhielt, sagte die Mutter mit einem Blick auf den 55-jährigen Angeklagten. Nach ihrer Befragung blieb die Mutter im Gerichtssaal und verfolgte als Zuseherin den weiteren Fortgang der Verhandlung.
Der Angeklagte, der in Österreich sieben Vorstrafen wegen Vermögensdelikten und Körperverletzung aufweist und in den 1990er-Jahren in Deutschland eine langjährige Haftstrafe wegen gemeinschaftlichen Mordes ausgefasst hatte, hatte das Mädchen am Westbahnhof kennengelernt, nachdem er sie beim Erwerb von Suchtmitteln beobachtet hatte. Sie habe ihm erzählt, dass sie seit ihrem zwölften Lebensjahr harte Drogen nehme, schilderte der Angeklagte. Sie habe ihm erklärt, sie sei 19 bzw. 21. Er habe aber "aus dem Kontext festgestellt, dass sie 17 ist", räumte er ein.
Der 55-Jährige wies seine ursprüngliche Aussage zurück, das Mädchen hätte sich mehrfach in seiner Unterkunft befunden. Sie sei erst am 9. Dezember bei ihm gewesen. Wie es zum Sex kam, wollte er dem Schöffensenat nicht verraten: "Das ist eine Sache, die mir seit sieben Monaten peinlich ist. Ich möchte nicht mehr drüber reden. Ich habe nie in meinem Leben jemanden vergewaltigt." Als die Richterin dahin gehend nachfragte, erwiderte der Mann: "Sie stellen mir Fragen, um mich zu verwirren. Sie schreien mich an. Ich bin hilflos."
Am Morgen des 10. Dezember sei das Mädchen dann leblos neben ihm gelegen: "Wenn man mit dem Tod konfrontiert ist, ist das ein Riesenunterschied. Das ist erschütternd." Seine ursprünglichen Angaben, er habe am Morgen im Glauben, die Jugendliche schlafe, noch versucht, mit ihr intim zu werden, wies er zurück. Er habe "keine Ahnung", weshalb er das bei der Polizei gesagt habe. Die Frage der Richterin, wie er festgestellt hätte, dass die 16-Jährige tot war, blieb unbeantwortet. "Das ist mir zu persönlich. Ich möchte nicht darüber reden."
Wie die psychiatrische Sachverständige Sigrun Rossmanith erläuterte, weist der Angeklagte eine Persönlichkeitsstörung auf. Der Mann sei "auffällig", aber es handle sich um keine schwere und nachhaltige Störung, so dass kein Schuldausschließungsgrund gegeben sei.
THEMENBILD - Außenansicht des Wiener Straflandesgerichts aufgenommen am Mittwoch, 13. Dezember 2017 in Wien.