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Generalstreik in Israel nach Fund toter Geiseln

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Angehörige fordern Rückkehr aller Geiseln
©APA/APA/AFP/AHMAD GHARABLI
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Nach dem Fund von toten Geiseln im Gazastreifen hat der israelische Gewerkschafts-Dachverband Histadrut für Montag zu einem eintägigen Generalstreik aufgerufen. Die Maßnahme solle um 06.00 Uhr Ortszeit (05.00 Uhr MESZ) in Kraft treten. Die israelische Armee hatte in einem unterirdischen Tunnel im Süden des Gazastreifens die Leichen von sechs Geiseln gefunden.

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Die Geiseln waren nach Militärangaben nur kurz zuvor von Hamas-Terroristen getötet worden. Ein Hamas-Sprecher sagte dagegen, sie seien durch israelisches Bombardement ums Leben gekommen.

Der Gewerkschaftsvorsitzende Arnon Bar David sagte nach Angaben der Nachrichtenseite ynet: "Wir können nicht weiter zuschauen. Dass Juden in den Tunneln von Gaza ermordet werden, ist inakzeptabel. Wir müssen einen Deal (mit der Hamas) abschließen, ein Deal ist wichtiger als alles andere." Von 08.00 Uhr Ortszeit (07.00 Uhr MESZ) solle auch der internationale Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv bestreikt werden. Landungen und Abflüge sollten dann gestoppt werden.

Nach dem Fund der Leichen rief der israelische Oppositionsführer Yair Lapid zu Protesten gegen Benjamin Netanyahus Regierung und zu einem Generalstreik auf. "Netanyahu und das Kabinett des Todes haben beschlossen, die Geiseln nicht zu retten", schrieb Lapid auf der Plattform X. Sie seien für den Tod der Geiseln verantwortlich.

Lapid rief "jeden Bürger, dessen Herz heute Morgen gebrochen ist", zur Teilnahme an einer Demonstration in Tel Aviv um 19.00 Uhr Ortszeit (18.00 Uhr MESZ) auf. "Ich rufe den Histadrut, die Arbeitgeber und die örtlichen Behörden dazu auf, einen Streik auszurufen", sagte Lapid. "So kann es nicht weitergehen."

Die Stadtverwaltung von Tel Aviv erklärt auf Facebook, sie werde sich am Montag an einem halbtägigen Ausstand beteiligen. Dies geschehe aus Solidarität mit den Geiseln und deren Familien. Neben der Verwaltung der Mittelmeer-Metropole sollen auch Mitarbeiter anderer Gemeinden des Landes die Arbeit niederlegen. Auch der israelische Herstellerverband, die führende Industrie-Organisation des Landes, unterstützt einen Ausstand.

Bei den toten Geiseln handelt es sich um vier Männer - Hersh Goldberg-Polin (23), Alexander Lobanov (32), Almog Sarusi (27) und Ori Danino (25) - sowie zwei Frauen - Carmel Gat (40) und Eden Jerushalmi (24). Dem Forum der Angehörigen der Entführten zufolge waren fünf von ihnen am 7. Oktober vom Nova-Musikfestival in der Negev-Wüste nahe des Gazastreifens entführt worden.

Die Namen "einiger" der sechs aus einem Tunnel bei Rafah tot geborgenen israelischen Geiseln standen nach Angaben der radikalislamischen Hamas auf einer Liste, die bei einem möglichen Abkommen mit Israel ausgetauscht werden sollten. "Einige der Namen der Gefangenen" seien "Teil einer von der Hamas bestätigten Liste" von Geiseln gewesen, die für einen Austausch mit palästinensischen Häftlingen vorgesehen gewesen seien, sagte ein Hamas-Funktionär am Sonntag der AFP.

Der israelische Ministerpräsident Netanyahu entschuldigte sich bei der Familie der getöteten russisch-israelischen Geisel Alexander Lobanov dafür, dass dieser nicht lebend gerettet wurde. Der Regierungschef wolle im Verlauf des Tages mit weiteren Familien sprechen, teilte sein Büro mit.

"Der Ministerpräsident hat tiefes Bedauern ausgedrückt und sich bei seiner Familie dafür entschuldigt, dass es dem Staat Israel nicht gelungen ist, Alexander und die fünf weiteren Geiseln lebend zurückzubringen", hieß es weiter in der Stellungnahme.

Unter den toten Geiseln war auch der amerikanisch-israelische Doppelstaatler Hersh Goldberg-Polin. Die Eltern des Mannes hatten sich unermüdlich für seine Freilassung eingesetzt. Erst im vergangenen Monat rührten sie die Teilnehmer eines Parteitags der US-Demokraten mit der Geschichte ihres Sohnes, der bei der Entführung einen Arm verloren hatte, zu Tränen. Am Donnerstag nahmen sie gemeinsam mit anderen Geisel-Angehörigen an einem Protest an der Gaza-Grenze teil. "Hersh, hier ist Mama", rief Rachel Goldberg-Polin mit einem Megafon in den Gazastreifen. "Ich liebe dich, bleib stark, überlebe!"

Die Geiseln waren bei dem überraschenden Überfall der Hamas und Kämpfer des verbündeten islamischen Jihad auf den Süden Israels am 7. Oktober 2023 in den Gazastreifen verschleppt worden. Nach israelischen Angaben töteten die Extremisten dabei 1.200 Menschen und verschleppten mehr als 250 Geiseln in den Gazastreifen. Bei den darauf folgenden israelischen Angriffen auf den Gazastreifen wurden nach Angaben der dortigen Gesundheitsbehörde bisher mehr als 40.600 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet und fast 94.000 verletzt.

Ob es zu einer weiteren Vereinbarung über eine Waffenruhe und Freilassung von Entführten kommen kann, ist offen. Seit geraumer Zeit führen die USA, Ägypten und Katar in Kairo Vermittlungsgespräche über ein Abkommen, das eine Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung von Geiseln vorsieht. Die Gespräche sind allerdings festgefahren. Israel und die Hamas verweigern direkte Verhandlungen mit der Gegenseite. Hauptstreitpunkt ist die Frage, wie lange israelische Truppen am Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten stationiert bleiben dürfen.

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