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Großer Gefangenenaustausch - Moskau lässt Kremlkritiker frei

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Evan Gershkovich könnte frei kommen
©APA/APA/AFP/ALEXANDER NEMENOV
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Die in Russland wegen Spionage zu langen Haftstrafen verurteilten US-Bürger Evan Gershkovich und Paul Whelan sind frei. Dies sei Teil eines größeren Gefangenenaustausches mit Beteiligung mehrerer Länder, teilte US-Präsident Joe Biden in einer schriftlichen Stellungnahme mit. "Wir haben die Freilassung von 16 Personen aus Russland ausgehandelt, darunter fünf Deutsche und sieben russische Staatsbürger, die in ihrem eigenen Land politische Gefangene waren."

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Insgesamt vier Personen kämen zurück in die USA, erklärte er: drei amerikanische Staatsbürger und eine Person mit einer amerikanischen Green Card. Neben Gershkovich und Whelan handelt es sich laut Biden bei den anderen zwei Personen um Alsu Kurmasheva und Vladimir Kara-Mursa. Auch der nach einem Todesurteil in Belarus begnadigte Deutsche Rico K. kam frei.

Biden betonte mit Blick auf die Freigelassenen: "Einige dieser Frauen und Männer werden seit Jahren zu Unrecht festgehalten. Sie alle haben unvorstellbares Leid und Ungewissheit ertragen müssen. Heute hat ihr Leid ein Ende." "Der Deal, der ihre Freiheit sicherte, war eine Meisterleistung der Diplomatie", erklärte der US-Präsident.

Der Demokrat dankte den anderen beteiligten Ländern, die sich an den komplexen Verhandlungen beteiligt hätten, darunter Deutschland, Polen, Slowenien, Norwegen und die Türkei. "Dies ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, warum es so wichtig ist, in dieser Welt Freunde zu haben, denen man vertrauen und auf die man sich verlassen kann", betonte Biden und versicherte, er werde sich auch weiter für die Freilassung von Amerikanern einsetzen, die anderswo auf der Welt zu Unrecht inhaftiert seien.

Die russische Justiz hatte den 32 Jahre alten Reporter Gershkovich Mitte Juli in einem umstrittenen Prozess wegen angeblicher Spionage zu 16 Jahren strenger Lagerhaft verurteilt. Der Russland-Korrespondent der US-Zeitung "Wall Street Journal" war im März 2023 auf einer Reportage-Reise in Jekaterinburg am Ural vom russischen Geheimdienst FSB festgenommen worden. Ihm wurde zur Last gelegt, er habe geheime Informationen über Russlands Rüstungskomplex für US-Stellen gesammelt. Das "Wall Street Journal" wies die Vorwürfe zurück.

Der 54 Jahre alte ehemalige US-Soldat Whelan war im Juni 2020 von einem russischen Gericht wegen angeblicher Agententätigkeit ebenfalls zu 16 Jahren Straflager verurteilt worden. Davor hatte er rund eineinhalb Jahre lang in Haft gesessen, seit 2018. Whelan soll nach Darstellung des FSB als Spion auf frischer Tat ertappt worden sein. Er soll geheime Daten auf einem USB-Stick erhalten haben. Whelan, der mehrere Staatsbürgerschaften hat, beteuerte vehement seine Unschuld und sprach von einem politisch motivierten Urteil.

Die US-Regierung forderte wiederholt die Freilassung beider Männer. US-Amerikaner werden immer wieder in Russland wegen Spionage verdächtigt.

Der türkische Geheimdienst MIT teilte mit, dass insgesamt sieben Flugzeuge beteiligt gewesen seien. Ausgetauscht wurden demnach in der türkischen Hauptstadt Ankara Gefangene, die auch in Gefängnissen in Polen und Slowenien, Norwegen und Belarus saßen. Der Geheimdienst MIT hat den Deal nach eigenen Angaben selbst organisiert. Er sprach von einem historischen Gefangenenaustausch.

Der Austausch war seit längerem erwartet worden - Kremlchef Wladimir Putin hatte zuletzt wiederholt die Bereitschaft dazu erklärt. Putin steht in der Kritik, politische Gefangene als Geiseln zu nutzen, um Russen aus westlichen Gefängnissen freizupressen. Die USA hatten etwa auf Freilassung des wegen Spionage verurteilten Reporters Gershkovich vom "Wall Street Journal" bestanden.

Der russische Präsident Putin hat vom Westen freigelassene Russen persönlich am Moskauer Flughafen Wnukowo empfangen. Der Kremlchef umarmte mindestens einen der Männer noch auf dem Rollfeld, wo die Präsidentengarde Spalier stand, wie vom Kreml veröffentlichte Fernsehbilder zeigten. Auch die russischen Geheimdienstchefs Alexander Bortnikow (FSB/Inland) und Sergej Naryschkin (SWR/Ausland) sowie Verteidigungsminister Andrej Beloussow gehörten zum Empfangskomitee. "Ihr seid zu Hause, Ihr seid in der Heimat", begrüßte Putin die Freigelassenen und kündigte an, dass sie für staatliche Auszeichnungen vorgeschlagen würden.

Putin hatte besonders großes Interesse an dem in Deutschland inhaftierten Russen Wadim Krassikow. Der sogenannte Tiergartenmörder hatte in einer Parkanlage in Berlin einen Georgier getötet, der in Deutschland Schutz gesucht hatte. Der russische Präsident nahm den Mörder öffentlich in Schutz, weil er aus russischer Sicht einen Staatsfeind beseitigt hatte. Das Opfer nannte Putin einen "Banditen", "Mörder" und "blutrünstigen Menschen".

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz betonte, die deutsche Regierung habe sich die Entscheidung für eine Ausweisung des sogenannten Tiergartenmörders nicht leichtgemacht. "Diese schwierige Entscheidung wurde von den betroffenen Ressorts und der Koalition nach sorgfältiger Beratung und Abwägung gemeinsam getroffen", verwies der SPD-Politiker auf eine Schutzverpflichtung gegenüber deutschen Staatsbürgern. "Niemand hat sich diese Entscheidung einfach gemacht, einen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mörder nur nach wenigen Jahren der Haft abzuschieben", sagte Scholz am Abend am Flughafen Köln-Bonn.

Er begrüßte dort um Mitternacht einen Großteil der freigekommenen deutschen und russischen Staatsbürger. "Alle sind wohlbehalten hier angekommen", teilte der deutsche Kanzler nach der Landung der zwei Flugzeuge aus Ankara mit. Er habe sich ausführlich mit den Freigekommenen unterhalten. "Das war sehr bewegend", sagte Scholz. "Viele haben nicht damit gerechnet, dass das jetzt passiert." Viele hätten um ihre Gesundheit und auch ihr Leben gefürchtet.

In Russland hatten sich vor Bekanntwerden des Gefangenenaustauschs Nachrichten einer ungewöhnlichen Verlegung von politischen Gefangenen gehäuft. Sie waren offenbar für den Gefangenenaustausch nach Moskau gebracht worden. Unter den freigelassenen Russen sollen auch der Menschenrechtler Oleg Orlow von der Organisation Memorial und die Künstlerin Alexandra Skotschilenko sein.

Alle sind Gegner des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, sie hatten langjährige Haftstrafen erhalten. Der Westen hatte die Urteile als Justizwillkür kritisiert und die Freilassung der Gefangenen gefordert.

Die nun freigelassenen Russen könnten in ihrer Heimat nun wie frühere zurückgekehrte Gefangene auf Ehrungen und politische Posten etwa als Abgeordnete in der Staatsduma hoffen, meinte die Politologin Tatjana Stanowaja. Sie hatte bereits zuvor mitgeteilt, dass sich ein großer Austausch anbahne.

Stanowaja meinte, dass für den Austausch die Zeit gedrängt habe, weil US-Präsident Joe Biden seine Amtszeit würdig beenden wolle. Putin wiederum habe Interesse an dem Tauschhandel gehabt, um die langen Vorbereitungen durch die Wahlen in den USA nicht zu gefährden. Für den Kreml sei dies ein Beweis, dass die Amerikaner sehr flexibel und praktisch sein können, wenn sie etwas wollten. "Das heißt, dass sie auch bei der Ukraine zu einem Deal in der Lage sind, wenn sie wollen natürlich."

Die USA und Russland haben trotz ihrer gespannten Beziehungen in der Vergangenheit immer wieder Gefangene ausgetauscht. Im Dezember 2022 und damit schon im laufenden russischen Angriffskrieg gegen Ukraine kam die wegen eines Drogenvergehens verurteilte US-amerikanische Basketballspielerin Brittney Griner frei. Moskau erhielt dafür den in den USA verurteilten russischen Waffenhändler Viktor But. But hatte nach der Rückkehr seine Unterstützung für Russlands Angriffskrieg in der Ukraine geäußert und ist nun Politiker.

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