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In grau-grünes Licht getaucht wächst in der Mitte der Bühne ein an eine Rakete erinnernder Turm in die Höhe, in dem die ganze Stadt zu wohnen scheint. Der Stromkasten ist mit einem Notstromaggregat verbunden, über dessen Kabel die in Pelzmäntel gewandten Bewohner immer und immer wieder stilecht stolpern, bevor sie im Dunkel der ansonsten leeren Bühne von Klaus Grünberg verschwinden. In immer neuen Konstellationen finden sie sich zusammen, tauschen zu enervierenden Cello-Klängen aus dem Off (oft viel zu leise) Belanglosigkeiten aus und gruppieren sich um Roland Koch als dickbäuchigen, selbstgefälligen Bürgermeister. Doch als Hans Dieter Knebel und Martin Schwab als dusseliges Senioren-Duo auftauchen, um die Kunde von einem in der Stadt weilenden Revisor zu überbringen, bricht helle Panik aus.
Der vermeintliche Wirtschaftsprüfer (Tim Werths) treibt mit seiner Überheblichkeit unterdessen seine Wirtin (Alexandra Henkel) in den Wahnsinn. Hochnäsig sitzt er an einem der rasch auf die Bühne getragenen Stahltische und weigert sich, seine Rechnungen zu zahlen. Da kommt es ihm gerade recht, wenn plötzlich das gesamte Dorf antanzt, um ihn zu einem feuchtfröhlichen Rundgang abzuholen. Zu diesem Zeitpunkt sind in Koležniks Inszenierung bereits eineinhalb Stunden vergangen, von denen man in der Pause kaum weiß, was sie einem erzählt haben sollen. Vielmehr erinnert man sich an die zahlreichen Slapstick-Einlagen mit einer langen Leiter, Tischen und Stühlen (Choreografie: Magdalena Reiter), für die man sogar drei im Programmheft angeführte Akrobat:innen angeheuert hat.
"Für mich ist dieses Stück keine Farce, für mich ist es das echte Leben", hat die slowenische Regisseurin im Vorfeld im APA-Interview konstatiert. Ihr gehe es darum, die Figuren glaubwürdig zu zeichnen "und aus dieser Komödie trotzdem keine Tragödie zu machen". Dass ständiges Stolpern und mit betont verbogener Haltung über die Bühne zu staksen noch keine Komödie macht, ist eine leidvolle Erfahrung an diesem Abend, der jedoch in der zweiten, kürzeren Hälfte an Fahrt und Profil gewinnt. Nämlich dann, wenn sich aus dem hochkarätigen Ensemble einzelne Figuren herauslösen dürfen, um dem Revisor ihre Aufwartung zu machen, um andere anzuschwärzen und ihm ein paar Hunderter rüberwachsen zu lassen. Hier gelingen Paul Basonga als Richter, Jörg Ratjen als Spitalsverwalter oder Rebecca Lindauer als Schuldirektorin starke Momente.
Apropos stark: Andrea Wenzl bezaubert als anzügliche Ehefrau des Bürgermeisters, wenn sie den vor Übermut strotzenden Tim Werths noch schnell ins WC zieht, um ihn dort zu verführen, bevor dieser ihrer staksigen Tochter (Lola Klamroth) einen Heiratsantrag macht. Oliver Nägele ist Werths ein verschwiegener Diener, der nicht ganz glauben kann, welche Show hier abgezogen wird. Als der vermeintliche Revisor eilig aufgebrochen ist und der echte Revisor angekündigt wird, bleibt den Bürgern keine Zeit für Schockstarre. In einer Pelzmütze sammeln sie den Rest ihrer Habseligkeiten, um den nächsten Prüfer würdig zu empfangen.
Nicht zuletzt durch die formale Strenge der Inszenierung verfolgt man das Geschehen seltsam distanziert. Dass Korruption nicht nur in Koležniks Heimatland auf der Tagesordnung steht, wie sie im Vorfeld erläuterte, sondern auch hierzulande so manche aktuelle Verwicklungen zwischen Firmenbossen und politischen Entscheidungsträgern für Kopfschütteln sorgen, bleibt außen vor. Und so endet nach zweieinhalb Stunden ein Abend, an dem über Oberflächliches gelacht wird und Tiefgründiges auf der Strecke bleibt.
(Von Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E - "Der Revisor" von Nikolai Gogol im Akademietheater. Regie: Mateja Koležnik, Bühne und Licht: Klaus Grünberg, Kostüme: Ana Savić-Gecan, Komposition: Bert Wrede. Mit u.a. Roland Koch, Andrea Wenzl, Paul Basogna, Tim Werths und Martin Schwab. 19. und 26. Dezember, 14., 24. und 29. Jänner. Weitere Termine: www.burgtheater.at)
WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/Burgtheater/Hetzel