
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APA: Frau Sargnagel, Ihr neues Stück "Opernball - Walzer, Wein und Wohlstandsbauch" handelt auch vom "Rechts-Walzer". Das politische Wortspiel ist beabsichtigt, nehme ich an. Waren Sie erleichtert darüber, dass die blau-schwarzen Koalitionsverhandlungen geplatzt sind?
Stefanie Sargnagel: Das Wortspiel stammt nicht von mir, sondern es ist der Pressetext des Theaters. Natürlich war ich erleichtert, dass Kickl nicht den Kanzler macht, es wäre eine Katastrophe gewesen.
APA: Sie waren 2024 im Auftrag des Johann Strauss Festjahres am Wiener Opernball zu Gast. Sie beschreiben das auch sehr schön in Ihrer Probenfassung... diese komplizierten Gefühle: "Vielleicht muss ich mich auch nicht dafür schämen. Vielleicht kann man es auch einfach genießen ganz oben angekommen zu sein. Macht und Ruhm sind eine Errungenschaft, bedeutungsvoll, beeinflussen den Weltverlauf." Inzwischen sind Sie im Establishment angekommen, oder? Inwiefern ist die Stefanie Sargnagel von damals eine andere als die von heute? Nimmt das einer Satirikerin vielleicht auch hin und wieder den Wind aus den Segeln?
Sargnagel: Ich war schon mal auf dem Opernball als Außenseiterin und war schockiert, wie wenig fremd ich mich diesmal gefühlt habe. Die Korrumpierung ist ja subtil und schleichend. Man beschließt nicht einfach, dazu gehören zu wollen, man fühlt sich einfach immer wohler, man kennt immer mehr Menschen in hohen Positionen, sie integrieren einen, schmeicheln einem, man empfindet plötzlich Empathie mit ihnen, das hemmt natürlich die gesunde Bosheit und den nötigen Spott. Als Künstlerin ist man zuerst verhasstes Gsindl, dann setzt der Erfolg ein, und alle wollen einen abbusseln. Man muss da wirklich aufpassen.
APA: Christina Tscharyiski bringt ihr Stück als "Groteske" auf die Bühne. Ist der Opernball vielleicht auch eine Art "Geschenk" für eine Kabarettistin?
Sargnagel: Ich denke, vieles in diesem kleinen, grotesken Land benötigt nur wenig Überhöhung, um völlig absurd zu erscheinen. SatirikerInnen haben es hier sehr leicht.
APA: Sie haben 60.000 Follower auf Facebook, fast 100.000 auf Instagram. Stört es Sie, dass Soziale Medien politisiert werden, oder sollten sie vielleicht sogar politisch sein?
Sargnagel: Ich weiß nicht, wie sie unpolitisch sein könnten. Soziale Medien haben mir persönlich eine große Freiheit eröffnet, im Humorbereich z.B. etablieren sich plötzlich KünstlerInnen, die im bürgerlich, patriarchal geprägten Kulturbetrieb vielleicht nie eine Chance bekommen hätten. Viel mehr Frauen, viel mehr Leute aus diverseren Berufsfeldern. Das ist etwas Positives. Leider machen sie uns alle abhängig und dement, niemand kann sich mehr konzentrieren, und Autokraten reißen uns mithilfe von Fake News in den Abgrund, niemand weiß mehr, was die Wahrheit ist, während größenwahnsinnige Tech-Milliardäre schon überlegen, wie sie vor ihrer eigenen Dystopie ins Weltall flüchten. Aber abgesehen davon machen sie Spaß.
APA: Sollte man den Opernball Ihrer Meinung nach abschaffen? Das Geld vielleicht woanders investieren?
Sargnagel: Man sollte die Eintrittskarten auslosen, das wäre lustig.
APA: Sie schreiben von vielen bunten Begegnungen. Welche war denn für Sie persönlich spannend oder vielleicht auch aufschlussreich?
Sargnagel: Die Eskalationen fand ich am interessantesten. Als wir einer Dame die Sicht auf die Eröffnung versperrten oder aus Versehen das falsche Brötchen von einem fremden Teller nahmen, rasteten die Ballgäste auf eine dermaßen primitive Art aus, wie ich es noch nie erlebt habe. Das war brutal.
APA: Können Sie ungefähr sagen, wie viel von dem Text am Ende tatsächlich passiert und was fiktiv ist? Haben Sie tatsächlich im Dreivierteltakt getanzt? Wie war das? Ihr Versuch in die Mitarbeiterkantine zu kommen?
Sargnagel: Alles basiert auf echten Erfahrungen, die Begegnungen sind so abenteuerlich und vielfältig, ich musste kaum etwas übertreiben. Und ja, mir wurde der Eintritt in die legendäre Arbeiterkantine verwehrt.
APA: Besonders wichtig am Ball sind Thomas Elmayers Benimmregeln. Nach wie vor ist es so, dass die Dame rechts geht, "weil rechts der Ehrenplatz ist". Eine Regel lautet auch: "Bei einer Treppe gehe der Herr hinauf hinter der Frau, um sie im Fall der Fälle auffangen zu können." Haben Sie eine Lieblings-Elmayer-Benimmregel?
Sargnagel: Das Hauspersonal immer siezen, auch wenn die Muttersprache nicht Deutsch ist. Ich hab mich am meisten darauf konzentriert, die Anreden zu lernen: Durchlaucht, Erlaucht, Schnittlaucht, euer Gnaden, Hochgeborene, Hochwohlgeborene, Oberhochgeborene, euer Frühgeburt, Magnifizienz, Herr Bundespräsident, usw...
APA: In der Probenfassung steht geschrieben: "Früher wollten sie den Gästen am liebsten die Champagnerflöten durch die Gurgel stoßen, heute ist eine gewisse Trägheit zu spüren." Gibt es nicht genug Empörung hierzulande?
Sargnagel: Ich glaube wenn das Schnitzel im Wirtshaus bald die 20 Euro Grenze übertritt, werden die Österreicher merken, dass man Fremdenfeindlichkeit nicht rausbacken kann.
(Die Fragen stellte Marietta Steinhart/APA)
(S E R V I C E - www.rabenhoftheater.com)
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