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Serebrennikov: "Krieg teilt alles in Vorher und Nachher"

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Russischer Regisseur Serebrennikov zeigt "Barocco" in Wien
©APA/APA/AFP/VALERY HACHE
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Der russische Starregisseur Kirill Serebrennikov zeigt bei den Wiener Festwochen ein sinnliches Stück über radikale Protestkultur, das nach einer Moskauer Erstfassung 2018 im Vorjahr seine zweite Premiere im Thalia Theater in Hamburg feierte. "Barocco" ist politisch verfolgten Künstlerinnen und Künstlern gewidmet, und auch das Gespräch, das die APA mit dem Regisseur vor den Aufführungen in Wien per Videokonferenz führte, drehte sich insbesondere um Kunst und Politik.

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APA: Eine erste Variante von "Barocco", das Sie bei den Wiener Festwochen zeigen, entstand 2017/2018 während Ihres Hausarrests in Moskau. Was hat Sie damals an radikalen Gesten des Protests interessiert?

Serebrennikov: Für mich war es wichtig zu arbeiten und zu zeigen, dass ich mit diesen erfundenen Vorwürfen nicht einverstanden bin. Diese Arbeit war mein Widerstand, deshalb habe ich das Projekt konzipiert. Es erzählt von Menschen, die in äußerstem Maß verzweifelt sind, und keine andere Möglichkeit mehr sehen, als auf die Straße zu gehen und sich selbst zu verbrennen. Zum Beispiel die Journalistin Irina Slawina (1973-2020, Anm.), die aus völliger Verzweiflung einen solchen furchtbaren Tod erlitten hat. Das Sujet über sie war nicht in der ursprünglichen Fassung im Gogol-Zentrum, findet sich jetzt aber in der Variante des Thalia Theaters.

APA: Erwarteten Sie damals, als Sie das Stück in Moskau zeigten, dass die Protestbewegung in Russland völlig zerschlagen werden könnte?

Serebrennikov: Nein. Es schien mir, dass sie klüger sind und verstehen würden, dass zur Vermeidung von Explosionen Löcher im Teekessel gelassen werden sollen, um Dampf abzulassen. Ich dachte, dass "sie" - so nennt man in Russland üblicherweise die Mächtigen - Theater, Formen von Kunst und politischer Tätigkeit zulassen würden, um Spannungen in der Gesellschaft zu reduzieren. Aber sie entschieden sich anders. Die Rede ist nun nicht mehr von einem Anziehen der Schrauben, sondern davon, alles einzubetonieren und jegliche Freiheit des Denkens zu zerstören.

APA: Aus Moskau und selbst aus Hamburg ist das womöglich nicht so klar zu erkennen, aber in österreichischen Landen ist Barock jene Ästhetik, die die Gegenreformation und die Niederschlagung des Protests begleitet hat. War Ihnen diese Funktion des Barocken bewusst?

Serebrennikov: Ich bin vom Begriff selbst ausgegangen, Barocco bedeutete Perle in einer unrichtigen Form. Historische Konnotationen haben wir außer Acht gelassen. Die Helden des Stücks sind Leute, die nicht so wie die anderen und nicht "richtig" sind. Deshalb will ich es in Wien auch (der Regisseurin und Lyrikerin, Anm.) Schenja Berkowitsch und (der Dramatikerin, Anm.) Swetlana Petrijtschuk widmen. Seit einem Jahr sind sie im Gefängnis, auf Grundlage völlig absurder Vorwürfe, sie würden angeblich Terrorismus rechtfertigen. Das ist schon eine kafkaeske Begierde, Menschen einfach für ihre Haltung in der Kunst und für ihr Talent zu bestrafen.

In meinem Fall haben sie ein Wirtschaftsverbrechen erfunden - das ist zwar ein sehr bequemer Weg, einen Menschen fertigzumachen, aber eine langwierige Angelegenheit. Hier (bei Berkowitsch/Petrijtschuk, Anm.) ist das eine völlig absurde Geschichte: Sie werden zu Komplizen von Terroristen erklärt, zu Extremistinnen, die gleichzeitig IS-Anhängerinnen und Komplizen einer in Russland verbotenen feministischen Bewegung sind. Das ist doch einfach völliger Unsinn! Sie (die Behörden, Anm.) haben vor niemandem mehr Angst, sie sind keiner Kontrolle mehr ausgesetzt, und das ist furchtbar.

APA: Verstehen Sie, wer die Hintermänner in der Causa gegen Berkowitsch/Petrijtschuk sind? Sind das dieselben wie seinerzeit in ihrem Verfahren?

Serebrennikov: Ja, höchstwahrscheinlich handelt es sich um die gleiche Gruppe von Menschen. Das sind Personen, die glauben, dass sie ein wichtiges staatliches Geschäft betreiben, und dabei alles zerstören, was in Russland nicht mit dem Regime einverstanden ist und ihm nicht in den Arsch kriecht.

APA: Denken Sie an die russische Präsidentschaftsadministration oder den Geheimdienst FSB?

Serebrennikov: Ich kenne die konkreten Namen nicht, die wir irgendwann erfahren werden. Ob der Dämonenaustreiber (Titel einer TV-Sendung des rechtsnationalistischen Regisseurs und Serebrennikov-Gegners Nikita Michalkow, Anm.) oder nicht beteiligt ist, weiß ich nicht. Aber wahrscheinlich sind sie alle daran beteiligt.

APA: Sie haben Russland vor etwas mehr als zwei Jahren verlassen. Wie unterschiedet sich Ihre aktuelle Arbeit im Ausland von jener in großen russischsprachigen Institutionen in der Vergangenheit?

Serebrennikov: Ich arbeite auch hier in großen Häusern, die ein ähnliches Repertoiresystem wie in Russland haben, in Opern, ich bin Artist-in-Residenz im Thalia Theater. Das hat seine guten und schlechten Seiten, aber es gibt da sehr viel Parallelen. Ich muss da nicht umlernen. Und auch die Kolleginnen und Kollegen, die mit mir aus Russland gekommen sind und mit mir in Projekten im deutschen Theater arbeiten, fühlen sich wie ein Fisch im Wasser. Sie haben eine gute Schule hinter sich.

Denn bevor begonnen wurde, es für seine Positionierung gegen den Krieg zu zerstören, war das russische Theater international vorne mit dabei. Das war ein herausragendes und wunderbares Theatersystem mit vielen brillanten Künstlerinnen und Künstlern, die jetzt fast alle Russland verlassen haben, einigen wichtigen Schulen sowie bedeutsamen Theatern mit komplexer und interessanter Programmierung. Wir haben daran gearbeitet, Russland mit einem menschlichen Antlitz zu zeigen, zu demonstrieren, dass das russische Theater ein europäisches und auch Teil des internationalen Theaterlandschaftes ist. Und dann kam der Staat, der alles zerstörte, in das er zuvor Steuergelder gesteckt hatte.

APA: Welche Bedeutung hat aber die Sprache selbst?

Serebrennikov: Die Sprache ist natürlich wichtig, und wir werden jetzt Stücke in unterschiedlichen Sprachen machen. Ich versuche das wie bei der Thalia-Produktion "Der schwarze Mönch" zu machen, wo Englisch, Deutsch und Russisch verwendet wurden und alles so zusammengefügt wurde, dass das Publikum keine Übertitel brauchte. Auch denke ich, dass das zeitgenössische Theater viel weniger von einer konkreten Sprache abhängig ist als traditionelles, das ganz auf einem Stück und auf Sprechen basiert.

APA: Einige ihrer Kollegen, darunter auch solche die Ihnen seinerzeit geholfen haben, sind weiter in Russland. Haben Sie Kontakt zu diesen Personen?

Serebrennikov: Manchmal kommuniziere ich mit ihnen. Aber während das von meiner Seite aus Kontakte zu Freunden sind, kann das für sie Schwierigkeiten bedeuten - die Geheimdienste verfolgen alles. Meine Anrufe können also zum Problem für sie werden. Das ist wie in der Sowjetunion, wo man nicht mit Ausländern reden durfte. Deshalb mache ich mir Sorgen um alle. Ich verstehe aber, dass es unterschiedliche Umstände gibt. Manche können Russland verlassen, andere nicht, darunter mein 91-jähriger Vater. Auch gibt es Menschen, die ihr Leben nicht so einfach wo anders hin übertragen können. Jedenfalls ist es für Menschen mit Gewissen sehr schwierig sich dort zu befinden, in einem Land, das einen aggressiven Krieg gegen die Ukraine führt, das jeden Tag friedliche Städte bombardiert. Denn sie müssen gleichzeitig so tun, als wäre das alles normal.

APA: Was ihre Biografie betrifft, haben Sie auch mit Personen zusammengearbeitet, deren Ruf alles andere als eindeutig ist. Etwa mit dem langjährigen Kreml-"Chefideologen" Wladislaw Surkow.

Serebrennikov: Ich habe mit diesen Menschen nicht zusammengearbeitet, sondern ich traf sie, aber das war alles vor dem Angriffskrieg, der alles in ein Vorher und Nachher teilte. Die Mächtigen schienen damals nicht so toxisch. Und nicht alle hatten jene hasserfüllten Gesichter wie jetzt. Es gab unter ihnen sogar Intellektuelle, die angeblich liberale Werte vertraten und absolut verstanden, was international in der Kunst passiert. Und es schien, als hätten sie den Wunsch, dass es auch Russland international aktiv vertreten ist. Heutzutage kann man sich das nicht mehr vorstellen, so hat sich das Land nach Beginn des Angriffskrieges verändert.

Was Surkow betrifft, wenn sie ihn schon erwähnen: Ich kann mich daran erinnern, wie er aus dem Gedächtnis die Gedichte des offen schwulen Allen Ginsberg zitierte, was heute in Russland eine Straftat ist. Aber so oder so hat es diese Leute nicht davon abgehalten, die Krim zu annektieren und die Bombardierung ukrainischer Städte zu begrüßen oder monströse Gesetze gegen Dissidenten einzuführen. Ich sage es noch einmal: Die Haltung zu Russlands Angriff auf die Ukraine hat alle endgültig und, wie ich glaube, für immer gespalten, trotz einiger Überschneidungen, die es in der Vergangenheit gab. Jetzt ist jede Kommunikation mit Vertretern der Behörden unmöglich.

APA: Beim Filmfestival in Cannes hat Ihr neuer Spielfilm über den Schriftsteller Eduard Limonow Premiere. Mit seinem Einfluss auf die radikale Jugend haben Sie sich 2012 in Ihrem wichtigen Theaterstück auf Grundlage von Sachar Prilepins Roman "Sankja" beschäftigt. Wie hat sich Ihre Einstellung zu Limonow verändert?

Serebrennikov: Ich kann nur wiederholen, dass der Krieg alles in Vorher und Nachher teilt. Als ich diesen Text von Prilepin nahm, drehte es sich um radikales Suchen nach Gerechtigkeit, die damals in dieser Form nur von Limonows Partei formuliert wurde: Welche Welt errichtet die Bourgeoisie in Russland, und welchen Platz in der Welt hat ein junger Mann namens Sankja, der im Stück bei mir Grischa hieß. Wie können sie in dieser Welt leben? Wie können sie Gerechtigkeit finden? Das war ein Stück über junge Radikale, die Mitglieder von Limonows Partei waren und die er mit seiner Anti-Bourgeois Rhetorik anlockte. Jetzt stellt sich heraus, dass wir in einer Welt leben, von der Limonow träumte. Es ist genau Linomows Utopie, die im heutigen Russland herrscht. Das ist eine furchtbare Welt mit Krieg, Hass, Morden und offenem Faschismus.

APA: Werden diese Aspekte im Film vorkommen?

Serebrennikov: Der Film basiert auf dem Roman von Emmanuel Carrère, der Limonows letzte Jahre nicht berücksichtigt. Im Film ist aber die Rede davon, wie ein radikaler Dichter zu einem Menschen des Krieges und zu einem russischen Faschisten wird.

APA: Als Sie 2022 in Cannes teilnahmen, bedankten sie sich beim russischen Milliardär Roman Abramowitsch, der zeitgenössische Kunst unterstütze, und plädierten dafür, ihn von Sanktionslisten zu streichen. Sie wurden damals nicht nur von ukrainischer Seite kritisiert. Sehen Sie Abramowitsch nun anders? Gerade vor wenigen Tagen wurde er von Vertretern der russischen Exilopposition in einem Video heftig angriffen und für das Putin-Regime mitverantwortlich gemacht.

Serebrennikov: Ich fällt mir schwer, auf diese Frage zu antworten, denn es gibt hier persönliche Umstände: Abramowitsch hat mir finanziell geholfen, in Freiheit zu kommen, er hat mir im wahrsten Sinne des Wortes geholfen, frei zu bleiben, also kann ich nicht wirklich sachlich sein.

Und er hat auch ukrainischen Soldaten geholfen, nach Hause zurück zu kehren. Er hat sich mit Gefangenenaustausch beschäftigt. Dieses Video habe ich nicht gesehen. Aber die Frage nach historischer Verantwortung ist eine Frage für die Zukunft, nicht für jetzt. Aber die Situation ändert sich permanent. Mit der Ermordung von Alexej Nawalny etwa hat eine neue Epoche begonnen, ein neues Russland. Nawalny ist zu einem echten Helden geworden, und die Art und Weise, wie er die Schikanen des Systems ertrug und wie nun seine Mutter und seine Frau nach seinem Tod handeln, zeugt von einem ungeheuren Mut und Stärke, die sehr inspirierend sind. Jedenfalls tut es mir sehr weh, was in dem Land passiert, aus dem ich komme.

(Das Gespräch führte Herwig G. Höller/APA)

(S E R V I C E - "Barocco" von Kirill Serebrennikov am 19., 20. und 21. Mai im Rahmen der Wiener Festwochen im Burgtheater, Universitätsring 2, 1010 Wien.

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