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Sieg von Linksbündnis bei französischer Parlamentswahl

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Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon jubelt
©APA/APA/AFP/SAMEER AL-DOUMY
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Das linke Oppositionsbündnis "Neue Volksfront" (NFP) hat die französische Parlamentswahl am Sonntag überraschend gewonnen. Das vom Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon angeführte Bündnis stellt 182 der 589 Mandate in der Nationalversammlung. Die nach der ersten Wahlrunde favorisierten Rechtspopulisten von Marine Le Pen landeten mit 143 Mandaten nur an dritter Stelle hinter dem Präsidentenbündnis Ensemble mit 168 Sitzen. Premier Gabriel Attal kündigte seinen Rücktritt an.

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Attal sagte nach Veröffentlichung erster Prognosen am Wahlabend, dass er am Montag seinen Rücktritt bei Präsident Emmanuel Macron einreichen werde. Das Mitte-Lager Macrons habe nämlich im Parlament keine Mehrheit mehr. Macron kann Attal und die Regierung bitten, für die laufenden Geschäfte zunächst kommissarisch im Amt zu bleiben. Dies wurde mit Blick auf die am 26. Juli beginnenden Olympischen Spiele in Paris auch so erwartet. Der 34-Jährige ist erst seit Jänner im Amt. Er gilt als beliebt und verbindend, stand als Spitzenkandidat des Regierungslagers im Wahlkampf aber auf verlorenem Posten. Macron äußerte sich am Wahlabend nicht.

Macron hatte die Wahl nach dem überzeugenden Sieg des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) bei der Europawahl im Juni angesetzt, um die Regierungsmehrheit (bisher 250 Mandate) zu bekräftigen. Offenbar wollte er sich den Wählern - wie schon bei seinen eigenen Wahlsiegen in den Jahren 2017 und 2022 - als Bollwerk gegen den Rechtspopulismus anbieten. Die Linksparteien durchkreuzten diesen Plan, indem sie innerhalb weniger Tage ein gemeinsames Bündnis schmiedeten, das dann in der ersten Wahlrunde am 30. Juni an zweiter Stelle hinter dem rechtspopulistischen RN landete. In der Folge trafen das Linksbündnis und das Präsidentenlager taktische Absprachen, um die Wahl von RN-Kandidaten in der Stichwahl am Sonntag zu verhindern.

Der Schock im siegesgewissen rechtspopulistischen Lager war groß. Parteiführerin Marine Le Pen sprach von einem "aufgeschobenen" Sieg ihrer Partei Rassemblement National. "Die Flut steigt. Sie ist dieses Mal nicht hoch genug gestiegen, aber sie steigt weiter und deshalb ist unser Sieg nur aufgeschoben", sagte sie im Fernsehsender TF1. Ihre Partei habe nur wegen der taktischen Absprachen ihrer Gegner verloren. RN-Chef Jordan Bardella warnte, dass Frankreich nun in die Fänge der radikalen Linken gerate. Bardella hatte auf eine absolute Mehrheit seiner Partei gesetzt und sich schon als Premierminister gesehen. Alle Umfragen hatten dem RN zumindest eine relative Mehrheit im neuen Parlament vorhergesagt.

Das siegreiche Linksbündnis stellte umgehend den Regierungsanspruch. "Die Neue Volksfront ist bereit zum Regieren", sagte der frühere Chef der linkspopulistischen La France Insoumise (LFI), Jean-Luc Mélenchon. Sozialisten-Chef Olivier Faure sprach sich ausdrücklich gegen eine mögliche "Koalition" mit dem Regierungslager aus. "Die Neue Volksfront muss diese neue Seite unserer Geschichte in die Hand nehmen", kündigte er die Umsetzung einer linken Sozial- und Wirtschaftspolitik an. So soll etwa auch die Pensionsreform Macrons zurückgenommen werden. "Es ist an der Zeit, die Superreichen und die Supergewinne zu besteuern", erklärte er.

Trotz ihres Sieges ist die Linke aber weit von einer Regierungsmehrheit in der neuen Nationalversammlung entfernt. Zu ihren 181 Mandaten kommen 13 Sitze weiterer Linkskandidaten. Dasselbe gilt für das Präsidentenlager, das sich bisher von den konservativen Republikanern stützen ließ. Diese wurden auf 45 Mandate dezimiert. Mittepolitiker konnten sechs Mandate erobern, 15 Mandate gingen an Rechtspolitiker. Wegen der unübersichtlichen Mehrheitsverhältnisse sehen Beobachter Präsident Macron weiterhin in einer Schlüsselrolle.

Ex-Präsident Francois Hollande gelang bei der Wahl ein Parlamentscomeback. Allerdings erklärte er, "kein Kandidat" für den Posten des Premierministers. "Muss man, um in einer Regierung zu sein, noch ein Kandidat dafür sein, sie zu führen? Ich bin es nicht", sagte Hollande im Fernsehsender BMFTV. Allerdings ließ er Ambitionen auf einen Ministerposten durchblicken. Dem Sender France 2 sagte Hollande, er könne aufgrund seiner Erfahrung in der Außenpolitik "nützlich dabei sein, dass die Interessen Frankreichs gewahrt werden". Hollande hatte bei der Wahl einen zentralfranzösischen Wahlkreis erobert, den er bereits zwischen 1988 und 1993 sowie von 1997 bis 2012 vertreten hatte.

International wurde der verhinderte Wahlerfolg des RN positiv kommentiert. "Das Schlimmste wurde vermieden", sagte nun Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz äußerte sich zunächst nicht. "In Paris herrscht Begeisterung, in Moskau Enttäuschung, in Kiew Erleichterung. In Warschau ist man zufrieden", schrieb der polnische Ministerpräsident Donald Tusk auf dem Kurznachrichtendienst X. Nikos Androulakis, Vorsitzender der griechischen sozialistischen Partei PASOK, erklärte, das französische Volk habe "eine Mauer gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Intoleranz errichtet und die zeitlosen Prinzipien der Französischen Republik bewahrt: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit".

SPÖ-Chef Andreas Babler freute sich laut Aussendung über den überraschenden Sieg des linken Bündnisses in Frankreich. "Entgegen allen Umfragen hat sich heute einmal mehr gezeigt, dass die Rechte gestoppt werden kann", sagte Babler. "Ich bin überzeugt, dass es auch in Österreich gelingen kann, eine rechte Regierung zu verhindern und mit einer SP-geführten Regierung die Lebensbedingungen der Menschen wieder zu verbessern."

Bei Kundgebungen am Wahlabend kam es in Paris und anderen Städten zu schweren Ausschreitungen und Zusammenstößen. In Paris versammelten sich Tausende Menschen auf dem Place de la République im Zentrum der Hauptstadt, um den Sieg des Linksbündnisses bei der vorgezogenen Wahl zu feiern. Die Polizei setzte Tränengas gegen ausschreitende Demonstranten ein. Barrikaden aus Holz wurden in Brand gesetzt. Im Zentrum von Paris hatten etliche Geschäfte und Banken ihre Fenster am Wahltag mit Blick auf befürchtete Ausschreitungen mit Holzplatten gesichert.

Auch aus Lille in Nordfrankreich wurden Zusammenstöße zwischen Antifaschisten und der Polizei gemeldet. Hier ging die Polizei ebenfalls mit Tränengas gegen die Menschen vor. Im westfranzösischen Rennes gab es nach Medienberichten 25 Festnahmen, nachdem die Bereitschaftspolizei mit Tränengas gegen linke Demonstranten vorgegangen war, die unter anderem "Alle hassen die Polizei" skandiert hatten. In Nantes wurde ein Polizist nach einem Bericht der lokalen Zeitung durch den Wurf eines Molotowcocktails verletzt. Demonstranten warfen Feuerwerkskörper auf die Sicherheitskräfte, die ihrerseits Tränengas einsetzen. In Frankreichs zweitgrößter Stadt Marseille kamen ebenfalls sehr viele Menschen zur Feier des Wahlsiegs der Linken im Stadtzentrum zusammen. Die Polizei hielt sich zunächst zurück, während die Demonstranten Slogans gegen rechtslastige Medien riefen.

Founder of left-wing party La France Insoumise (LFI) Jean-Luc Melenchon reacts during the election night of left-wing party La France Insoumise (LFI) following the first results of the second round of France's legislative election at La Rotonde Stalingrad in Paris on July 7, 2024. (Photo by Sameer Al-Doumy / AFP)

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