
Katja Bernegger, Weingut Heribert Bayer
©Monika Jungwirth/Karma+PitchAlkoholfreie Biere, Weine und Spirituosen sind beliebt wie nie. Heimische Produzent:innen erobern mit ihren alkoholfreien Alternativen den nationalen und internationalen Markt.
Rotweinflaschen neben Kopfwehtabletten, Vitaminen und Hustensaft? Das Sortiment einer Apotheke im Süden Wiens ist durchaus ungewöhnlich. Dem Achterl Rotwein werden zwar gesundheitliche Vorteile nachgesagt, Alkohol in einer Apotheke anzubieten und Kopfwehtabletten griffbereit daneben zu platzieren, scheint auf den ersten Blick aber eher ein kreativer Marketinggag als eine ernsthafte Gesundheitsempfehlung zu sein. Doch bei den dunkelgrünen Flaschen mit blauweiß-goldenem Etikett handelt es sich nicht um herkömmlichen Rotwein, sondern um die alkoholfreie Alternative – garantiert rausch- und kopfwehfrei!
Alkoholfreier Wein, Bier und Sprituosen haben nicht nur ihren Weg in die Apotheke gefunden, sondern vor allem in die heimische Gastronomie und Supermärkte. Kund:innen greifen mittlerweile auch abseits der Fastenzeit oder der globalen Gesundheitskampagne „Dry January“ zu alkoholfreien Alternativen. Nischenprodukte sind diese längst nicht mehr: „Wir sind zwar immer noch auf einem geringen Niveau. Aber im Gegensatz zum alkoholischen Getränkemarkt gibt es hier ein klares Wachstum“, erklärt der ehemalige Rewe-Vorstand und Innovationsexperte Werner Wutscher von der Beratungsfirma New Venture Scouting.
Schließlich gehen die Umsätze von Wein und Bier sowohl in der Gastronomie als auch im Einzelhandel zurück. Ganz anders im alkoholfreien Segment: 2023 erwirtschaftete der europäische alkoholfreie Weinmarkt knapp über 900 Millionen Euro, Marktvorhersagen rechnen bis 2030 mit einer jährliche Wachstumsrate von acht Prozent. Der Inlandsabsatz von alkoholfreiem Bier von 2023 auf 2024 um mehr als acht Prozent gestiegen - ein Plus von fünf Millionen Krügerl. Und der alkoholfreie Sekt hat aktuell einen Marktanteil von 0,8 Prozent, aber Sekthersteller wie Schlumberger verbuchen mit alkoholfreien Schaumweinen jährlich zweistellige Wachstumsraten.
In Vino Successus
Diesen Hype spürt auch das Winzerpaar Katja Bernegger und Heribert Bayer aus dem burgenländischen Neckenmarkt, deren Weine unter anderem in der erwähnten Apotheke erhältlich sind. Seit eineinhalb Jahre produziert ihr Weingut erfolgreich alkoholfreie Weine. Die Bilanz nach dem ersten Jahr: Jede zweite der 90.000 verkauften Flaschen ist alkoholfrei, die Anbauflächen des Weingutes wurden aufgrund des Erfolges auf fast 40 Hektar vergrößert. „Wir haben das Weingut mehr als verdoppelt und in nur einem Jahr das erreicht, wofür wir mit alkoholischem Wein 25 Jahre gebraucht haben“, fasst Bernegger, deren Idee der alkoholfreie Wein war, zusammen.
Vor Kurzem wurde einer ihrer alkoholfreien Weine von einem US-amerikanischen Branchenmagazin zum besten alkoholfreien Rotwein der Welt gekürt. Rund 37 Euro kostet die prämierte Flasche bei Billa Plus.
Dass alkoholfreie Weine um bis zu 40 Prozent teurer als die alkoholhaltigen Originale sind, liegt am Volumensverlust bei der Produktion, schließlich muss der Wein in einem aufwendigen Verfahren vom Alkohol befreit werden. Dafür gibt es mehrere Varianten. Bernegger und Bayer führen die Entalkoholisierung mittels Vakuumdestillation durch. Eine solche Anlage gibt es jedoch in Österreich nicht, die Weine werden daher kostspielig vom Weingut ins Ausland, etwa nach Deutschland gebracht.
Dort werden auch die Weine des Wiener Traditionsweinguts Mayer am Pfarrplatz entalkoholisiert. Das Weingut bietet seit zwei Jahren alkoholfreien Wein an, der auch bei der Supermarktkette Spar erhältlich ist. Gestartet wurde mit einer alkoholfreien Varianten des traditionellen Gemischten Satzes. Im Vorjahr hat das Weingut 75.000 alkoholfreie Weinfl aschen verkauft, während der gesamte Absatz bei 600.000 Flaschen lag.
Das größte Verkaufsargument sei momentan „die Neugierde“, sagt Geschäftsführer Gerhard Lobner, „es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch.“ Er sieht alkoholfreien Wein als gewinnbringende Erweiterung für das 80 Hektar große Weingut, mit dem neue Kund:innen erreicht werden können – im In- und im Ausland.
America First
Im alkoholfreien Weinmarkt sind die USA „schon viel weiter“ als Europa, stellt Experte Wutscher fest. 2023 lag der US-Umsatz bei über einer Milliarde US-Dollar, und bis 2030 werden Wachstumsraten von sechs Prozent pro Jahr erwartet.
Einen weiteren Schritt voraus sind die USA aber vor allem bei alkoholfreien Spirituosen. Bereits seit einem Jahrzehnt gibt es dort eine etablierte alkoholfreie Spirituosenszene, die auch den österreichischen Gin-Hersteller Patrick Martinelli bei einer USA-Reise vor acht Jahren inspirierte: „Die sogenannte Sober-CuriousCommunity gab es schon damals in den USA“, erklärt Martinelli. Mit dem Begriff identifizieren sich junge Menschen, die bewusst auf Alkohol verzichten. Studien zeigen, dass die Generation Z einen bewussteren Alkoholkonsum pflegt. Laut Gesundheit Österreich geht der Alkoholkonsum bei österreichischen Jugendlichen seit zehn Jahren stetig zurück.
Martinelli experimentierte nach der US-Reise mit alkoholfreiem Gin und startete 2019 mit seiner Kreation. Damit war er ein Pionier in Österreich. Von der Supermarktkette Rewe bekam Martinelli damals noch eine Abfuhr. Mittlerweile hat die Billa-Mutter sein Produkt im Angebot. Zudem ist sein alkoholfreier Gin stark im Gastronomiebereich vertreten. Topadressen wie das Restaurant „Fabio’s“ oder das Park Hyatt in Wien bieten Martinellis Gin an.
8.000 Flaschen pro Jahr verkauft Martinelli davon. Zuletzt ging der Absatz jedoch zurück. Große Konzerne wie Beefeater haben inzwischen für den halben Preis alkoholfreiem Gin im Angebot. Die Billigkonkurrenz wird für den heimischen Hersteller zunehmend zur Herausforderung. Dafür boomt der Markt mit alkoholfreiem Rum, den Martinelli wie den Gin in der Steiermark herstellt.
Die Schweiz ist bei allen alkoholfreien Spirituosen ein wichtiger Exportmarkt des Wiener Unternehmens. Die Exportrate liegt bei rund zehn Prozent und steigt jährlich. Das Weingut Mayer am Pfarrplatz kann eine Exportquote von 30 Prozent aufweisen. Sie sind in den USA, Skandinavien, den Beneluxstaaten und Südkorea vertreten. Das Weingut Heribert Bayer exportiert sogar 60 Prozent seiner alkoholfreien Weine ins Ausland; vor allem in den USA wächst der Absatz dank dortigen Booms. Demnächst will man den britische Markt erschließen.
Tendenz steigend
Wie salonfähig alkoholfreie Weine und Spirituosen werden könnten, zeigt der Erfolgslauf von alkoholfreiem Bier. Denn während der Konsum von Pils, Märzen, Bock und sonstigen Bieren hierzulande trotz hohen Niveaus von rund 100 Litern pro Kopf und Jahr in Summe leicht zurückgeht, stieg der Marktanteil von alkoholfreiem Bier zuletzt auf 3,7 Prozent. Der Inlandskonsum wächst jährlich um rund acht Prozent und liegt mittlerweile bei über 31 Millionen Liter pro Jahr.
Österreichs Brauereien haben daher auch ein klares ökonomisches Interesse am Null-Prozent-Bier. Florian Berger, Geschäftsführer des Verbands der Brauereien Österreichs, bewertet die Dynamik des alkoholfreien Biermarktes als „bemerkenswert. Die Wachstumskurve geht weiterhin nach oben.“ Dazu beigetragen haben die qualitativen Verbesserungen und der Entalkoholisierungsprozess von alkoholfreiem Bier.
Null Komma Josef
Als Pionier der alkoholfreien Biere gilt die Wiener Brauerei Ottakringer. Sie stellte im Jahr 1992 ihr Null Komma Josef vor, das lange Zeit als Nischenprodukt für Autofahrer:innen oder Schwangere galt, erzählt der heutige Geschäftsführer Markus Raunig. Heute hingegen sei es „schick“ geworden, hin und wieder zum alkoholfreien Bier zu greifen. Das Null Komma Josef und der alkoholfreie Radler seien ein „Zukunftsfeld“ für die Brauerei. Rund acht Prozent ihres Gesamtumsatzes macht die alkoholfreie Linie bereits aus: „Der alkoholfreie Biermarkt ist in Österreich immer noch unterentwickelt, aber er wächst dynamisch. In den nächsten fünf Jahren werden wir wohl bei rund sieben Prozent Marktanteil liegen“, schätzt der Brauereichef, der selbst gerne alkoholfreies Bier trinkt. Bei Ottakringer wird das Bier alkoholfrei, indem der Gärungsprozess des Bieres gestoppt wird. Dadurch ist das Bier deutlich „gehaltvoller“ als nach der Vakuumdestillation, so Raunig. Nach diesem Verfahren weist es noch rund 0,4 Prozent Restalkohol auf – damit liegt es unter der gesetzlichen Höchstgrenze und darf als alkoholfrei verkauft werden.
Ottakringer wird die alkoholfreie Linie in den kommenden Jahren jedenfalls erweitern, verrät Raunig. Die Null-KommaJosef-Marke ist angesichts der wachsenden Konkurrenz durch große internationale Brauereien ein zunehmend wichtiges Standbein für die Privatbrauerei.
Kein Wundermittel
Trotz der verlockenden Wachstumsprognosen – die Zauberformel für den sonst rückläufigen Wein- und Biermarkt sind die alkoholfreien Alternativen nicht: „Der Markt ist zwar theoretisch unendlich, aber ohne klar definierte Zielgruppe wird es schwer“, dämpft Experte Wutscher die Euphorie so mancher Hersteller, die auf den Trend aufspringen wollen.
Der alkoholfreie Markt ist aktuell noch zu klein, um in die Krise geratene Betriebe zu retten: „Es ist kein Allheilmittel. Wenn ich nicht voll dahinterstehe, wird es nichts“, resümiert Lobner vom Weingut Mayer am Pfarrplatz, der das klassische Weingeschäft weiterhin als Hauptgeschäft des Weinguts sieht.
Allheilmittel für einen schwächelnden Alkoholmarkt sind alkoholfreie Biere, Weine und Spirituosen also (noch) nicht. Auch dann nicht, wenn sie in Apotheken verkauft werden.
Der Artikel ist in der trend.PREMIUM-Ausgabe vom 21. Februar 2025 erschienen.