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Erinnerungen an Jens Tschebull (1930-2023)

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Jens Tschebull (✝1930-2023) in jungen Jahren als trend-Chefredakteur
Jens Tschebull (✝1930-2023) in jungen Jahren als trend-Chefredakteur©trend
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Jens Tschebull, der von 1969 bis 1975 der erste Chefredakteur des trend war, ist am 25. Jänner 2023 im Alter von 92 Jahren verstorben. Erinnerungen an den großen Wirtschaftsjournalisten, der auch bei profil der erste Chefredakteur, sowie später Herausgeber des Wirtschaftsblatts, Gastgeber des Club 2 im ORF und Ehrenpräsident des Internationalen Instituts für Liberale Politik Wien war.

"Ein Blauer Riese im Basketballerformat"

VON HELMUT A. GANSTERER

Man schreibt 1970. Ich betrete einen großen hellen Raum. Es ist ein Redaktionssaal im fürstlichen Palais Schwarzenberg. Er ist menschenleer bis auf einen jungen Mann, der verloren herumsteht. Ich bin bekleidet wie einer, der gefallen, aber nicht auffallen will. Ich trage ein schwarzes Sakko, eine graue, selbstgebügelte Hose und geputzte Schuhe. Die dezente Krawatte ist vom "House of Gentlemen". Ihr irrer Preis wirft die Frage auf, ob man schon am ersten Tag als trend-Volontär um einen Vorschuss bitten darf.

Dann ein gewaltiger Luftzug, ein lokaler Wirbelwind durch eine aufgerissene, unauffällige Tür des Saals, die in einen Verschlag führte, der einem Ruhelosen für Nachtschichten dienen mochte. Beispielsweise diesem Riesen im Basketballerformat, der nun mit Schwung auftrat. Ich wich zurück, wie von der kinetischen Energie einer Bisonherde getroffen. Die Rede ist von meiner ersten Begegnung mit Jens Tschebull, dem trend-Gründungs-Chefredakteur neben dem unternehmerischen trend-Gründer Oscar Bronner. In ästhetischen Dingen wie dem Blattdesign werden sie einander wohl ergänzt haben, da Bronner immer auch Maler war und eine Zeitlang noch eine Werbeagentur führte.

Aber davon weiß ich nichts Genaues. Ich hatte mit Bronner wenig Kontakt. Er war freundlich, aber von "Splendid Isolation" umweht, konnte allerdings bezaubernd lächeln, wenn ich en passant einen Gruß von Vater Gerhard Bronner ausrichtete, in dessen legendärer "Fledermaus"-Bar ich mich in vielen Nächten vom trend erholte.

Umso inniger meine Beziehung zu Jens Tschebull, wie die eines jeden Redakteurs, der in der frühen trend-Ära dabei war. Alle trend-Redakteure, darunter ehemalige Tageszeitungsjournalisten, Librettisten, Schriftsteller und heimliche Lyriker, die glaubten, schon schreiben zu können, führte Tschebull in die Welt des speziellen Magazin-Handwerks so gnadenlos, grausam und penetrant ein, dass das Gelernte unablösbar im Hirn verankert blieb.

Das war für seine Schüler, deren jüngster ich war, nicht immer einfach. Oft kriegte man selbst die dritte, verbesserte Manuskript-Version in grauslichem Zustand zurück, wie mit Grasbüscheln bewachsen. Denn Tschebull hatte grüne Korrektur-Tinte für seinen exklusiven Gebrauch reserviert. Für jeden anderen war diese Farbe tabu. Einmal schrieb ich trotzig mit grünem Fineliner drei Zeilen unter mein Manuskript, als wären sie ein Verdikt des Chefredakteurs: "Bravo! Vollendet! Weiter so!" Mehr habe ich nicht gebraucht.

JensTschebull war von einer heiligen Mission getrieben.

Zuweilen murmelten die Opfer mit ohnmächtigem Grimm seinen Spitznamen "Blauer Riese" - etymologisch hergeleitet vom weißen Persil-Riesen, weil er unsere Sätze wie schmutzige Wäsche säuberte. Und Blau wegen der Farbe seiner dreiteiligen Anzüge. Wenn die Krawatte mal nicht gedeckt, sondern verwegen war, vermuteten wir ihn auf einem heimlichen, zarten Weg und wussten uns für Stunden in Sicherheit. Dann hatten die Mäuse Kirtag.

Jens Tschebulls Schreibschule war immer auch eine Charakterschule. All seine goldenen Gebote hatten mit beidem zu tun. Auch sein erstes Gebot: "Absolute Verständlichkeit". Wer dagegen verstieß, wurde nur geköpft, aber nicht gleich verstoßen. Denn die wenigsten Redakteure wurden seinem Verständlichkeitsideal gerecht.

Er war von einer heiligen Mission getrieben und sagte:

"Wir müssen den Lesern, die viel Geld für uns ausgeben, manche sogar für ein Fünf-Jahres-Abonnement, das Gefühl geben, dank uns die Wirtschaft wirklich zu verstehen. Die anderen Medien haben darin versagt. In Wirtschaftsfragen schwurbeln sie vage über alle Begriffe hinweg, weil sie diese selbst nicht begreifen. Bei uns aber lernen sie endlich den Unterschied von Umsatz und Gewinn - der schon viele Jungunternehmer und Wirte umbrachte - und werden später sogar eine Bilanz interpretieren können."

Gebot Nummer zwei: "Nichts interessiert die Menschen mehr als die anderen Menschen in ihren Stärken und Schwächen." Die Wirtschaftsseiten der Zeitungen seien aber bleierne Wüsten ohne Leben. trend-Storys müssten eine belebte Oase sein, mit Tüchtigen und Schurken und gern auch solchen, die beides sind.

Als spannende Freizeitlektüre der Schreiber empfahl Tschebull daher psychoanalytische Lehrschriften und Romane von Weltliteraten, gern auch Russen wie Dostojewski und Tolstoi. Er nannte Graham Greene und Honore de Balzac. Jedenfalls aber Ernest Hemingway, dessen Romanstil immer auch den gut geschulten Journalisten, Korrespondenten und Depeschenschreiber verriet.

Helmut A. Gansterer

© Privat

HELMUT GANSTERER war 1970 Voluntär beim trend und kam 1974 als stellvertretender Chefredakteur wieder zurück in die trend-Redaktion. 1976 wurde er Chefredakteur, ein Jahr später Herausgeber. Bis 1997 war Gansterer Chefredakteur und alleiniger Herausgeber des trend. Von 1997 bis September 2008 war er gemeinsam mit Christian Rainer Herausgeber, seither ist er Autor für den trend.

Der Beitrag ist eine gekürzte Version des Essays "Das erste halbe Jahrhundert" von Helmut A. Gansterer aus der Jubiläums-Ausgabe "50 Jahre trend" vom Oktober 2020.

"Die Sitten des Wirtschaftsjournalismus jener Zeit durchbrechen"

VON HANS RAUSCHER

Oscar Bronner hatte sich als trend Herausgeber eine junge Truppe zusammengefangen, die etwas anderes wollte als den drögen Pressekonferenzjournalismus. Georg Waldstein, Peter Piller, Helmut Gansterer (alle heute noch aktiv) gehörten dazu. Ich hatte bis dahin neben meinem Studium bei der Wochenschrift "Der Österreichische Volkswirt" gearbeitet. Aber Bronner war vorsichtig genug, uns einen erfahrenen Profi als Chefredakteur vorzusetzen: Jens Tschebull, der väterliche Strenge, Arbeitsethos und bohrende Wissbegier vereinigte.

Tschebull vergatterte uns zunächst dazu, die Sitten des Wirtschaftsjournalismus jener Zeit zu durchbrechen. Damals gab es sogenannte "Pressegeschenke" nach einer Pressekonferenz einer Firma - entweder ein Produkt des Unternehmens, soweit transportierbar, oder etwas ganz anderes, etwa eine Kristallvase. Zur Weihnachtszeit konnte man kaum die Tür in einem Wirtschaftsressort aufmachen, ohne dass einem Ski, Skischuhe, Weinkisten und andere Präsente von Firmen entgegenpolterten.

Jedenfalls verpflichtete Tschebull uns dazu, Pressegeschenke abzulehnen. Seinem Verlangen, dabei laut zu sagen: "Danke nein, weil wir sind vom trend!", kamen wir dann doch nicht nach.

Jens Tschebull vereinigte väterliche Strenge, Arbeitsethos und bohrende Wissbegier.

Bis zum trend war das Kommunikationskonzept vieler Firmen und Verbände eine Mischung aus patriarchaler Abspeisung (auch buchstäblich) und Interventionen und Drohungen. Bronner und Tschebull hielten da eisern dagegen.

"Wirtschaft" war übrigens in jenen Jahren zu einem großen Teil Staatswirtschaft und Interessenverbände, und das Verständnis des österreichischen Normalbürgers bestand darin, dass "der Staat" schon alles richten werde. Dass Wirtschaft spannend, lebendig, ja unterhaltend sein konnte, das versuchten wir - ich glaube, erfolgreich - zu vermitteln.

Als wir mit dem Magazin herauskamen, gab es recht viel Zustimmung, aber auch Hohn von Seiten des Establishments: "Das ist ja eine Wirtschafts- Micky-Maus!", hieß es wegen unserer schönen Fotos und Illustrationen von namhaften Zeichnern. Ernster wurde es, als wir unsere Absicht umsetzten, aus der Innenwelt von Unternehmen zu berichten, auch über Misserfolge, auch über interne Streitereien oder ganz einfach über Strategien, die gut gingen oder eben nicht.

Oscar Bronner ließ sich im Übrigen nicht davon abbringen, im Herbst 1970 das "profil" herauszubringen. Dem ging allerdings eine sozialdarwinistische Gruppenübung voraus, indem der Output jedes Redakteurs in Beziehung zu seinem Gehalt gesetzt - und von den Kollegen (!) beurteilt wurde.

Chefredakteur Tschebull hatte ein Faible für eine solche brutale Managementphilosophie, der er sich allerdings auch selbst unterzog: In einer Story über einen Wirtschaftspsychologen machte er selbst den Persönlichkeitstest und berichtete der Leserschaft, dass er als "analer Zwängler" eingestuft wurde.

Diese Art des unbefangenen Wirtschaftsjournalismus wurde allmählich akzeptiert, auch von den Inserenten. Der trend hatte sich durchgesetzt, mit einer neuen, offeneren Art der Wirtschaftsberichterstattung. Wir hatten einen gewissen Stil etabliert.

Hans Rauscher

© News Roland Ferrigato

HANS RAUSCHER war Gründungsmitglied des trend, später "profil"-, "Kurier"-, "Format"-Autor und ist heute der meistgelesene Kommentator und Kolumnist des ebenfalls von Oscar Bronner gegründeten "Standard".

Der Beitrag ist eine gekürzte Version des Essays "Das sind ja lauter Kommunisten!" von Hans Rauscher aus der Jubiläums-Ausgabe "50 Jahre trend" vom Oktober 2020.

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