Das große Abschiedsinterview der scheidenden Justizministerin Alma Zadić.
©picturedesk.com/APA/Tobias Steinmaurer50 Prozent mehr Budget für die Justiz, die Installation von Projektmanagern bei großen Gerichtsverfahren und die Schaffung eines eigenen IT-Forensik-Zentrums für Staatsanwälte & Richter: Die scheidende Justizministerin Alma Zadić zieht im trend-Interview Bilanz über ihre fünfjährige Amtszeit – und gegenüber dem Koalitionspartner ÖVP erstmals auch die Glacéhandschuhe aus.
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Frau Ministerin, Sie werden spätestens im Jänner diesen Schreibtisch hier räumen. Was werden Sie nach fünf Jahren an der Spitze des Justizressorts in der Justiz an nachhaltigen Spuren hinterlassen? Wo sind Sie gescheitert?
Es waren fünf sehr intensive Jahre, allein was die äußeren Bedingungen betrifft: Covid, ein Terroranschlag, Kriege, Klimakrise, Naturkatastrophen, drei Bundeskanzler. Wir hatten Korruptionsermittlungen auch gegen hochrangige Politiker. Als ich ins Amt gekommen bin, gab es zwei große Themen, die aus der Justiz immer wieder nach außen getragen wurden: Das war der warnende Satz meines Vorgängers Clemens Jabloner vom „stillen Tod der Justiz“. Das zweite waren Störfeuer bei den Ermittlungen seitens der Politik, aber auch intern innerhalb der Justiz. Ich erinnere mich an Auftritte von Staatsanwält:innen in den Untersuchungsausschüssen, die gesagt haben, sie wollen einfach nur in Ruhe ermitteln können. Dazu kam, dass es ja auch einiges an Streit innerhalb der Staatsanwaltschaften gegeben hat.
Sie meinen vor allem die Auseinandersetzungen um die Rolle des verstorbenen damaligen Doppelsektionschefs Christian Pilnacek?
Ich glaube, das war wesentlich mehr als nur auf eine Person zugespitzt. Vor diesem Hintergrund glaube ich aber eines sagen zu können: Es ist uns gelungen, eine Trendwende einzuleiten. Wir haben jetzt 50 Prozent mehr Budget, 650 mehr Planstellen. Damit haben wir den befürchteten stillen Tod der Justiz nicht nur abgewendet, sondern die Justiz ist jetzt lebendiger denn je. Natürlich braucht es weiterhin mehr Engagement. Aber es ist schon ein Riesenerfolg, dass es in den letzten fünf Jahren kontinuierlich gelungen ist, das Budget in der Justiz zu steigern. Wir haben mehr Personal – in den Staatsanwaltschaften, bei den Gerichten und beim Supportpersonal. Ein zweiter Punkt, der mir von Anfang sehr wichtig war, war eine Neuaufstellung in der Fachaufsicht für die Staatsanwaltschaften: größtmögliche Transparenz und die Vermeidung von jeglichem Anschein einer Befangenheit. Daher habe ich Leitung der Sektion für Legistik und die Leitung der Sektion für Einzel-Strafsachen, die in einer Hand waren, wieder getrennt. Das hat zur Beruhigung innerhalb der Staatsanwaltschaften beigetragen und war ein wichtig er Beitrag zur internen Gewaltenteilung. Denn die Person, die für die Ausarbeitung von Gesetzen zuständig ist, muss notwendigerweise mit wichtigen Akteuren der Politik in Kontakt sein. Sie kann und soll aber nicht am nächsten Tag darüber entscheiden, ob vielleicht hohe Wirtschaftstreibende oder Politiker:innen angeklagt werden sollen, oder nicht. Wir haben auch Weisungen erlassen, dass es keine Treffen mit Beschuldigten geben soll. Auch Freundschaften sind nun im Akt ersichtlich zu machen. Das gilt nun auch für die Fachaufsicht, nicht nur für die ermittelnden Staatsanwälte. Wenn nicht, dann ist das eine Verfehlung, für die es auch disziplinäre Konsequenzen gibt. Ich glaube daher, sagen zu können: Wir haben damit nicht nur die Staatsanwaltschaften und ihre Ermittlungsarbeit – durch die Reduktion von überbordenden Berichtspflichten um ein Drittel – insgesamt nicht nur gestärkt, ich würde sogar behaupten, wir haben damit die Störfeuer auch weitgehend beendet.
Zur Person
Alma Zadić, 40, ist seit 2019 Mitglied der Grünen und seit Jänner 2020 Bundesministerin für Justiz. 2017 wurde sie erstmals in den Nationalrat gewählt, damals noch auf der Liste Pilz.
In den letzten Monaten gab es aber nach wie vor Berichte, dass Staatsanwälte in der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) die Behörde verlassen haben oder verlassen wollen, weil sie sich nicht ausreichend unterstützt fühlten.
Diese Kritik kann ich nicht nachvollziehen. Wir haben dafür gesorgt, dass es in den Staatsanwaltschaften und auch in der WKStA zehn bis 15 Prozent mehr Personal gibt. Wir haben auch dafür gesorgt, dass in der WKStA eine zusätzliche Stellvertretung bestellt werden kann, damit die Leiterin Unterstützung hat. Und um auch die Qualität innerhalb der Behörde zu gewährleisten, gibt es jetzt auch Gruppenleiter bei der WKStA. Also insgesamt haben wir der WKStA einiges an Unterstützung gegeben, damit Verfahren zügig geführt werden können und auch die Qualität innerhalb der Behörde gesichert werden kann. Mit einer zusätzlichen Medienexpertenstelle haben wir auch dort wie bei den Oberbehörden die Kommunikation nach außen gestärkt.
Dennoch haben in den letzten Monaten auffälligerweise einige in den prominenten Korruptions-Causae fallführende Oberstaatsanwälte der WKStA den Rücken gekehrt.
Innerhalb der Justiz kommt es immer wieder vor, dass Menschen sich weiterentwickeln wollen, sich von der Staatsanwaltschaft zur Richterschaft umbewerben oder umgekehrt. Das ist nichts Neues. Das ist ein Ressort mit 11.000 Mitarbeiter:innen. Ich unterschreibe monatlich bis zu 100 neue Umbewerbungen oder Bewerbungen. Bei der WKStA schaut man besonders hin, auch wenn es sich in den letzten Monaten nur um zwei, drei Leute gehandelt hat.
Bei den letzten türkis-grünen Budgetverhandlungen im Herbst 2023 wäre das Zustandekommen am Ringen um 30 Millionen mehr für die Justiz beinahe gescheitert. Ihre Ministerkollegen Kogler und Gewessler haben dann aus ihren Ressorts zu Ihren Gunsten Geld freigegeben, damit das Budget nicht platzt.
Ja, es ist eigentlich lächerlich, dass man um für die Justiz dringend notwendige 30 Millionen so kämpfen muss. Insbesondere, wenn man sich anschaut, was in anderen Ressorts an Milliardenförderungen zur Verfügung gestellt wird. Die Justiz ist ein personalintensives Ressort. Wir haben hier wenig Spielraum für Projekte und Ausbau. Mir ging es daher darum, den Rechtsstaat abzusichern und uns Grünen, wie es sich gezeigt hat, ist der Rechtsstaat wichtig. Der Rechtsstaat ist dann abgesichert, wenn die Justiz stark ist. Und sie kann nur dann stark sein und stark fungieren, wenn sie ausreichend Personal hat. Wenn wir auch nur ein bisschen über unsere Landesgrenzen schauen, ist die Justiz immer mehr politischen Angriffen ausgesetzt, von Orbán bis Trump. Sobald es Verfahren gegen mächtige Personen gibt, heißt es immer, es ist ein politisch motiviertes Verfahren. Deswegen bleibt es mein wichtigstes Ziel, den Rechtsstaat und die Justiz mit ausreichend Ressourcen so abzusichern, damit sie auch in Zukunft gut und unabhängig arbeiten kann. Das ist auch mein Appell an meine Nachfolgerin, dafür zu sorgen, dass der Rechtsstaat finanziell abgesichert bleibt.
Haben Sie sich in dieser Frage von Ihrem Koalitionspartner unterm Strich gesehen ausreichend unterstützt gefühlt?
Also mit der ÖVP war es immer schwierig, das Justizbudget zu verhandeln. Das Ringen um das letzte Budget ist ähnlich verlaufen wie die Budgets davor. Das Justizbudget war immer bis zum Schluss offen. Und ich habe immer bis zum letzten Euro dafür kämpfen müssen, damit sich alles gut ausgeht. Es war von Anfang an der Versuch da, der Justiz möglichst wenig Ressourcen zu geben. Gleichzeitig scheut man dann aber zahlreiche Angriffe auf die Justiz nicht, die Ermittlungen und Verfahren würden zu langsam laufen etc.
Da klingt durch: Die ÖVP habe Ihrer Wahrnehmung nach auch aus politischen Gründen in der Budgetfrage gebremst?
Also zu Beginn der Amtsperiode würde ich sogar ein politisches Motiv unterstellen, der Justiz nicht mehr Mittel in die Hand zu geben. Bei Karl Nehammer, den ich sehr schätze, weiß ich, dass er anders handelt als sein Amtsvorgänger. Ihm unterstelle ich jedenfalls kein politisches Motiv, aber trotzdem war die Justiz nicht immer an oberster Stelle bei der ÖVP in den Budgetverhandlungen. Ich habe das regelmäßig erkämpfen müssen, und ich bin froh, dass es uns gelungen ist.
Dennoch gibt es nach wie vor haarsträubende Fälle, was das Tempo in der Justiz anlangt. Der ehemalige Immobilien-Spitzenmanager Karl Petrikovics war zu Beginn der Eröffnung eines Verfahrens gegen ihn 53 Jahre alt. Bei seinem letzten Urteil, einem Freispruch nach einem Strafurteil in anderen Verfahren, ist er nun 70. Es bleibt trotz mehr Budget doch unzumutbar, dass jemand 17 Jahre auf eine endgültige Entscheidung der Justiz warten muss, oder?
Die durchschnittliche Verfahrensdauer in Österreich beträgt 3,6 Monate, und mit dieser durchschnittlichen Verfahrensdauer sind wir Spitzenreiter in Europa, was die Kürze der Verfahren betrifft. Nichtsdestotrotz muss man bei diesen bedauerlichen Ausreißern genau hinschauen, und notwendige Verbesserungen vorantreiben. Vor meiner Amtszeit ist hier leider wenig passiert. Vieles steht und fällt mit der notwendigen personellen Unterstützung. Deswegen habe ich auch mit zwei neuen Berufsgruppen für Unterstützung gesorgt. Für komplexe Verfahren gibt es jetzt beim Gericht juristische Mitarbeiter und sogenannte Verfahrensmanager. So, wie es bei jedem größeren Projekt in der Privatwirtschaft auch Projektmanager gibt, gibt es das jetzt auch in der Justiz.
Wie viele Verfahrensmanager gibt es bereits?
Derzeit sind es rund 20, aber wir sind hier noch in der Aufbauphase. In einem anderen Bereich ist uns in den letzten fünf Jahren ohne großes Aufsehen etwas gelungen, worauf die ganze Justiz zugreifen kann: Wir haben jetzt endlich ein eigenes IT-Forensikzentrum. Das sind hoch spezialisierte IT-Expert:innen, die bei der Datenaufbereitung und Datenanalyse unterstützen. Viele Verfahren, größere Verfahren, sei es Korruption, Terrorismus, Kinderpornografie, sind sehr, sehr datenlastig. Und ich bin froh, dass es uns gelungen ist, ein wirklich hochprofessionelles Forensikzentrum aufzubauen, das alle Gadgets hat, die man so aus den Filmen kennt, mit sehr kompetenten IT-Expert:innen, auf die die gesamte Justiz zugreifen kann. Gerade im Fall der Kinderpornografie sind die Daten ja oftmals im Handy versteckt. Und da braucht es auch sehr viel Know-how, um hinter vorhandenen Apps wie beispielsweise einer Taschenrechner-App verstecktes kinderpornografisches Material zu finden.
Offen ist nach wie vor die heikle Frage der Regelung der künftigen Befugnisse der Justiz in Sachen Handy-Sicherung. Hier verlangt der Verfassungsgerichtshof eine Neuregelung, sonst verliert die Justiz mit 1. Jänner jede Möglichkeit zur Beweis-sicherung. Wird die Neuregelung noch gelingen?
Wenn es nicht gelingt, fällt die gesamte Sicherstellung weg, was bedeutet, dass nicht nur Handys, sondern auch beispielsweise auch Tatwaffen nicht sichergestellt werden können. Ich bin aber zuversichtlich, dass bis Ende des Jahres die Regelung beschlossen wird. Mein Team und ich haben in den letzten Wochen intensiv an einem Antrag gearbeitet, der auf alle geäußerten Bedenken der Stakeholder eingeht und der garantiert, dass einerseits verfassungsrechtlich garantierte Grundrechte gewahrt bleiben und andererseits das Interesse der in Österreich lebenden Menschen an einer effektiven Verbrechensverfolgung gewahrt bleibt. Ich bin froh, dass die ÖVP das auch erkannt hat und dass über Einzelinteressen hinaus aus staatspolitischer Verantwortung dieser Antrag nun im Nationalrat eingebracht wurde.
Wird die Auswertung von Zufallsfunden künftig Geschichte sein?
Nein, Zufallsfunde dürfen nicht Geschichte sein. Weil Zufallsfunde oft entscheidend sind, um Verbrechen aufzuklären. Staatsanwältinnen und Staatsanwälten berichten mir: Wenn man einen Drogendealer festhält und ihm sein Handy abnimmt, sieht man, mit wem er korrespondiert hat, und kommt so auf ein mögliches kriminelles Netzwerk drauf und kann auch an die Hintermänner rankommen. Das gleiche gilt für Terrorismus-Ermittlungen. Es ist schon oft passiert, dass die Ermittler erst durch ein sichergestelltes Handy auf größere Netzwerke oder Verbrechen draufgekommen sind und so Schlimmeres verhindert haben. Oder man denke an den jetzt aktuell diskutierten langjährigen Vergewaltigungsfall von Frau Pelicot in Frankreich. Dieser wurde nur aufgedeckt, weil der Täter beim Fotografieren unterm Rock erwischt wurde und ihm das Handy abgenommen werden konnte. All das wäre bei einer Einschränkung von Zufallsfund-Auswertungen nicht möglich. Daher kann ich dem Wunsch nach Einschränkung von Zufallsfunden nichts abgewinnen – denn es ist unverantwortlich und gefährdet die Sicherheit in unserem Land. Denn nur aufgrund eigener Interessen oder unangenehmer Korruptionsermittlungen darf nicht die gesamte Verbrechensbekämpfung leiden. Es ist schon etwas bizarr, dass ich als Grüne dem Koalitionspartner sagen muss: Wir haben hier eine Sicherheitsverpflichtung gegenüber den Menschen in Österreich. Ich bin aber zuversichtlich, dass der Entwurf, der jetzt im Parlament liegt, eine gute Lösung bietet. So wie bei Hausdurchsuchungen werden hier Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten, aber die Staatsanwaltschaft bleibt klar Herrin des Verfahrens.
Das Justizministerium wurde zuletzt viele Jahre von ÖVP-Ressortchefs geführt. Hielten Sie es zu dem jetzigen Zeitpunkt für politisch opportun, in einer Koalition das Ministerium wieder in ÖVP-Hände zu geben?
Ich bin in jedem Fall der festen Überzeugung, dass es wichtig ist, dass das Innenministerium und das Justizministerium politisch getrennt sein sollten. Es sind zwei Sicherheitsressorts, und es ist notwendig, dass es hier auch gegenseitige Kontrolle gibt. Vor dem Hintergrund der laufenden Ermittlungen hielt ich es aber für einen Fehler, wenn die ÖVP hier den Anspruch auf das Justizministerium stellt.
Sie gehen jetzt als Abgeordnete zurück in den Nationalrat. Werden Sie sich ähnlich wie Ihr Vis-à-vis in vielen Fragen, Karoline Edtstadler, auch ein Standbein in der Justiz aufbauen?
Ich bin ab jetzt einmal Abgeordnete und Stellvertreterin des Klubobmanns. Im Parlamentsklub werde ich gerne im Justizbereich tätig sein.
Das Interview ist in der trend.Law-Ausgabe von Anfang Dezember erschienen.
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