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Deutschland-Wahl: „Uns fehlen die echten Leader“

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17 min

Andreas Bierwirth

©trend/Lukas Ilgner
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Warum der Topmanager Andreas Bierwirth, ein gebürtiger Deutscher, bezweifelt, dass neue Regierungen in Berlin und Wien die Wirtschaft beflügeln werden.

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Sie sehen eine Zeitenwende in Deutschland, die den Grundkonsens der liberalen Wertegemeinschaft in Gefahr bringt. Weil die AfD höchstwahrscheinlich die zweitstärkste Kraft wird? 

Andreas Bierwirth

Ja, es passiert jetzt Ähnliches, wie wir es aus Österreich schon kennen. Das Erstarken der extrem populistischen Parteien – insbesondere der AfD, aber auch auf der linken Seite – wird das ehemals sehr stabile System Deutschland endgültig fragmentieren. Man kann davon ausgehen, dass die CDU mit Friedrich Merz den Kanzler stellen wird. Wenn sich eine Koalition mit der SPD allein nicht ausgeht, käme es wohl zu einer Dreierkonstellation, wie sie zuletzt schon nicht funktioniert hat. In jedem Fall kommt wieder eine Politik der Kompromisse heraus, die auch als solche wahrgenommen wird und die Ränder rechts und links weiter stärkt.

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Klingt nicht sehr zuversichtlich …

Andreas Bierwirth

Der Punkt ist, ob jemand wie Friedrich Merz ein Political Leader sein kann, der dringend notwendige transformatorische Ideen durchbringt. Ich wage das zu bezweifeln. Selbst wenn er es wirklich will, könnte es die Konstellation einfach nicht zulassen. Und das wäre für Deutschland in einem Moment, wo das Land dringend Veränderung auf vielen Ebenen braucht, fatal. 

Zur Person

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Sollen rechte Parteien stattdessen mal in eine Regierung und sich beweisen?

Andreas Bierwirth

Wir haben diese Situation in Italien, in Österreich wäre es mit der FPÖ beinahe dazu gekommen. Man muss schon darüber nachdenken, ob die kategorische Ausgrenzung, wie wir sie auch durchaus nachvollziehbar hatten, nicht zu einer kompletten Spaltung in einem Land führt. Wie kompetent diese Parteien dann in einer Regierung sind, sei einmal dahingestellt. Aber ich glaube, dass ihre faktische Stärke irgendwann gar nichts anderes mehr zulässt, als sie in Zukunft irgendwie einzubinden. Und dann wird man sehen, ob das, was die Rechtspopulisten zur Positionierung auf dem Wählermarkt kommunizieren, auch das ist, was letztlich real passiert. Frau Meloni in Italien ist gegenüber Europa loyal.

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Ist es nicht riskant, zu hoffen, dass es nicht so schlimm kommt wie befürchtet?

Andreas Bierwirth

Nehmen Sie das Thema EU. Es liegt auf der Hand, dass Europa im Wirtschaftskrieg der USA und Chinas nur gemeinsam bestehen kann. Dieses Faktum kann niemand, der den Bürgern verspricht, dass es ihnen besser gehen wird, ignorieren – ganz gleich, was er kommuniziert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Partei ein Programm nach dem Motto fährt: Wir ziehen uns auf das Nationale zurück, lassen damit die Wirtschaft schrumpfen und werden ärmer. So würde man auch die Radikalen schnell wieder abwählen. Ich glaube an eine gewisse Selbstregulierung. Parteien wie die AfD und die FPÖ werden in erster Linie gewählt, weil sie gegen alles sind. Und das können sie nur, solange sie keine Verantwortung übernehmen müssen.

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Die AfD propagiert einen Austritt aus EU und Euro. Sollten nicht die meisten Menschen wissen, dass sie das Wohlstand kosten würde?

Andreas Bierwirth

Ich weiß nicht, ob es an der verfehlten politischen und ökonomischen Bildung über Jahrzehnte liegt oder an der Entwicklung der sozialen Medien, Stichwort Fake News. Aber offenbar ist die Welt mittlerweile so komplex, dass die Zusammenhänge den Bürgern nicht mehr ausreichend kommunizierbar sind. Der Rückzug in einfache Narrative ist darum wahnsinnig attraktiv. Die klassischen Stakeholder wie Politiker, Medienleute oder Manager haben einen massiven Reputationsverlust erlitten. Trotzdem bezweifle ich, wie gesagt, dass jemand in der Realität einen Kurs Richtung weniger Wohlstand fahren würde.

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Konkret nachgefragt: Die deutsche Brandmauer gegen die AfD ist obsolet?

Andreas Bierwirth

Schön wäre, die tradierten Parteien hätten politische Leader, die zu hohem persönlichem Risiko bereit sind und so kommunikationsstark, dass sie die Bevölkerung für ihre Idee gewinnen. In Österreich hatten wir das zuletzt ansatzweise mit Christian Kern und Sebastian Kurz, beides charismatische Personen. Danach aber nicht mehr. Auch Olaf Scholz konnte in Deutschland kein Feuer entfachen. Ich glaube, obwohl das mit meinen Werten im Konflikt steht, dass langsam nichts anderes übrig bleiben wird, als die extremen Parteien künftig einzubinden. Der Bürger hat sich dafür entschieden. Vielleicht werden wir damit leben müssen, Auswandern ist ja keine Alternative. Idealerweise entwickeln sich dann Gegenbewegungen, in denen innovative und moderne Konstrukte entstehen. So wie Kurz versucht hat, die ÖVP neu zu erfinden – und das auch bei Unternehmen häufig erst unter großem Druck passiert. Mit den aktuell handelnden Personen sehe ich das nicht.

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Was verstehen Sie unter echter Leadership, die Sie vermissen?

Andreas Bierwirth

Der gute politische Leader muss Sachzwänge erkennen und das Land danach positionieren. In Deutschland hat die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder bewiesen, dass man – unabhängig von der Ideologie der SPD – das Richtige tun kann. Ich lasse seine Russland-Thematik jetzt beiseite, aber von seiner wirtschaftlichen Transformation hat das Land viele Jahre gezehrt. Auch Friedrich Merz bringt die nötige Schärfe des Intellekts mit. Ob er auch die Kommunikations- und Integrationsfähigkeit hat, muss er noch beweisen. Aber vor allem müssten der oder die Koalitionspartner erkennen, dass die Parteien der Mitte jetzt ihre letzte Chancen haben. Momentan fehlt mir die Vorstellungskraft, dass da was Kraftvolles rauskommen kann.

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Keine guten Nachrichten für den Zustand der deutschen Wirtschaft. Wie konnte der einstige Wirtschaftsmotor für ganz Europa so ins Stottern geraten?

Andreas Bierwirth

Einerseits überfordert der zu schnelle Schwenk zur Elektromobilität die deutsche Schlüsselindustrie Automobilbau. Die Wertschöpfung verschiebt sich nach Amerika zu Tesla bzw. nach China. Man hätte das langsamer angehen müssen, hat aber der Autoindustrie einen Dolchstoß versetzt. Daran hängen auch viele Zulieferer im Maschinenbau, was bis nach Österreich durchschlägt. Andererseits haben wir auch sonstige Schockwellen nicht gut gemanagt: die Inflation, die Reiche reicher und Geringverdiener ärmer macht, den Energiepreisanstieg, der fast alle Industrien getroffen hat, die Verunsicherung in und nach der Pandemie.

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Fehlt es nicht auch an Innovationskraft?

Andreas Bierwirth

Das kommt dazu, ja. Die Automanager haben die neue Technik zu lange einfach ignoriert. So wie einst Nokia das Smartphone. Und natürlich spielt die Digitalisierung eine große Rolle. Deutschland hat die Transformation in die Datenökonomie nicht geschafft. Wir sind Weltmeister im Regulieren und beim – oft sinnbefreiten – Datenschutz. So verhindern wir, dass datenbasierte Ökonomien entstehen können. Dabei wäre etwa der deutsche Mittelstand mit seinem Datenschatz perfekt dafür geeignet gewesen.

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Lässt sich das noch ein Stück weit nachholen?

Andreas Bierwirth

Vielleicht, wenn ein politischer Leader groß denkt und jetzt schnell geeignete Maßnahmen setzt. Wird das in den denkmöglichen Koalitionen passieren? Ich bin skeptisch. Enorm nachholen muss Deutschland in jedem Fall bei seiner abgesandelten Infrastruktur. Es kann nicht sein, dass eine Autobahn wegen einer kaputten Brücke über zehn Jahre nicht mehr durchgängig befahrbar ist, während in asiatischen Ländern oder im arabischen Bereich über Nacht ganze Städte entstehen. Gleiches gilt für die Deutsche Bahn. Dass die Bürger den Eindruck eines maroden Landes gewinnen, ist Teil des Problems.

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Deutschland hat dafür seinen Verschuldungsgrad spürbar gesenkt. Österreich hat eine passable Infrastruktur, ist aber hoch verschuldet. Was ist am Ende des Tages gescheiter?

Andreas Bierwirth

Es ist etwas anderes, ob du Schulden aufnimmst, weil ein System ineffizient ist und der Beamtenapparat zu groß ist, oder ob du in Infrastruktur investiert. Das darf ich nicht undifferenziert reinrechnen, wie es manche Entscheidungsträger tun, sondern muss die langfristig positiven Effekte sehen. Solche Projekte kann ich nicht wegen einer aktuellen Haushaltslage in Frage stellen. Schon in der Ära Angela Merkel, als es der Wirtschaft noch gut ging, wurde da vieles verabsäumt. Die Schuldenbremse gehört definitiv reformiert. Ich würde die Infrastrukturinvestitionen stärken und parallel dazu die Verschlankung des Staatsapparats forcieren: simplere Regelungen und einfachere Steuermodelle, damit wieder mehr Geschwindigkeit in den Laden reinkommt.

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Die großen Eckpunkte des CDU-Wirtschaftsprogramms sind Steuerentlastungen, flexiblerer Arbeitsmarkt und billigere Energie. Sind damit die größten Baustellen adressiert?

Andreas Bierwirth

Ich denke, kurzfristig ja. Was mir noch fehlt, ist das Bildungssystem, weil in vielen Bereichen die Innovationen nicht mehr auf dem nötigen Level sind. Wir halten uns in Deutschland und Österreich ja zugute, dass wir die meisten Patente haben und sozusagen die Länder der Erfinder sind, weshalb wir uns den Luxus leisten können, weniger zu arbeiten und Produktion ins Ausland zu verlagern. Dabei hat uns China schon überholt hat, und im arabischen Bereich entsteht unfassbar viel an Innovationskraft. Das Fundament, auf dem unser Gedankenmodell ruht, ist massiv ins Wanken geraten. Mir fehlt die klare Ansage, wie das Businessmodell Deutschland aussehen soll, abseits von Kosten und Steuern senken. Das Programm klingt mir noch zu sehr nach Controller oder CFO, der das Land managt.

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Es braucht aber einen echten CEO?

Andreas Bierwirth

Genau. Gefragt ist nicht der Kompromisskoordinator, sondern der Leader. Politiker müssen sich aus dem Dilemma befreien, dass sie vom Druck der Öffentlichkeit weichgespült werden, der Bürger gleichzeitig aber Stärke sehen will. Dem entkommst du nur, wenn du konsequent tust, was du für richtig hältst. Ich halte auch das verkrustete Denken in rechts und links für ganz verkehrt. Klimaschutz ist nicht links. In der Wirtschaft schneller zu werden, ist nicht rechts. Wir brauchen eine gute Haushaltspolitik, trotzdem muss der Staat investieren. Wir müssen auf die Umwelt achten, können aber nicht auf jeden Frosch Rücksicht nehmen. Wir brauchen Migration und müssen gleichzeitig radikalen religiösen Fundamentalismus unterbinden. Was diesen letzten Punkt betrifft, wurde die Grenze zwischen religiöser Toleranz und dem Setzen klarer Grenzen in Bezug auf Werthaltungen wirklich schlecht gemanagt. Nicht einmal die bestehenden Gesetze wurden ansatzweise exekutiert.

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Ganz anderes Thema: Welchen Impact werden die neuen Machtverhältnisse in den USA haben?

Andreas Bierwirth

Wir erleben das neue Phänomen, dass sich quasi über Nacht Leute wie Elon Musk in die Weltpolitik einmischen. Plötzlich entstehen Strukturen fast wie in James-Bond-Filmen, wo eine nicht gewählte Person ihre reale Machtfülle nutzt und global Einfluss auf Infrastruktur, Mobilität, Weltraum, auf die komplette Kommunikation und die Politik nimmt. Und offenbar fängt die gesamte Tech-Industrie jetzt auch an, dem zu folgen. Da werden dann zum Beispiel Korrektivsysteme für Fake News wieder zurückgebaut. Einzelne Unternehmer sind in der Lage, ihre Agenda weltweit umzusetzen. Und man kann sie nicht einmal abwählen, du kannst nur keinen Tesla mehr kaufen. Mein Gespür sagt mir, dass das eine sehr gefährliche Entwicklung sein kann, weil da etwas komplett aus dem Ruder läuft.

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Auch Politiker wie Donald Trump oder Viktor Orbán, die man abwählen könnte, führen ihr Land wie eine Art Family Business …

Andreas Bierwirth

Ja, es ist eine Perversion, dass Leute Populisten als starkes Sprachrohr zu wählen glauben, die dann – mehr oder weniger offensichtlich – eigenen wirtschaftlichen Interessen nachgehen. Wir erleben gerade, dass auch aus Demokratien heraus oligarchische Strukturen entstehen können, haben aber kaum Regeln gegen diese Rückwärtsentwicklung der Demokratie, weil sie in Europa fernab des Denkmöglichen war. Aus meiner persönlichen Sicht sollten wir auch die Demokratie an sich reformieren bzw. modernisieren. Denn wir müssen derzeit in einem sehr rasanten Umbruch mit einem relativ trägen System auskommen, das für eine andere Zeit angelegt war. Und auf der Ebene der Bildung bräuchten wir eine Phase der Aufklärung, von der wir leider weit entfernt sind. Solche Ansätze fehlen mir im Programm der CDU/CSU wie auch in Österreich.

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Wird wenigstens die von Deutschland abhängige österreichische Wirtschaft von dort in näherer Zukunft ein paar positive Impulse bekommen?

Andreas Bierwirth

Ich fürchte, nicht wirklich, weshalb es auch hier wirtschaftlich sicher nicht einfacher wird. Auf der anderen Seite bergen solche Situationen für Österreich die Chance, sich anders aufzustellen, sich unabhängiger zu machen und auf neue Industrien zu setzen. Dieses kleine Land hat schon öfter bewiesen, dass es durch Wendigkeit Deutschland überholen kann, weil man dort noch langsamer ist.

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