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Andreas Lampl: Teilzeit-Verantwortung

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Andreas Lampl, Chefredakteur trend

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©Ricardo Herrgott
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Der Kanzler Karl Nehammer hat sich im Ton vergriffen. Aber eine Grundsatzdebatte zum Sozialstaat und der sich ändernden Leistungsbereitschaft wäre überfällig.

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Im sogenannten "Burger-Video" zeichnet sich Karl Nehammer sicher nicht durch hohe soziale Kompetenz aus. Ein Bundeskanzler darf sich auch im halbprivaten Rahmen nicht derart herablassend über einkommensschwache Menschen auslassen. Der Ton ist inakzeptabel.

Davon abgesehen wäre jedoch eine profunde inhaltliche Auseinandersetzung über Sozialstaat und Leistungsbegriff sehr wohl dringend geboten. Leider ist es auch bei Nehammers Kritikern von links und rechts mit der Debattenkultur nicht weit her. Sie wollen genauso nur billig punkten.

Dass gegen den Trend in der EU hierzulande immer mehr in Teilzeit gearbeitet wird, ist tatsächlich ein Problem für den Sozialstaat. Das sollte man anders ausdrücken als der Kanzler, falsch ist es nicht. Teilzeit ist attraktiv, weil sie das günstigste Verhältnis zwischen Nettoverdienst und Aufwand bietet. Denn während die Politik niedrige Einkommen sukzessive entlastete, war das bei mittleren Einkommen kaum der Fall. Abschaffung der kalten Progression und zweite Stufe der Steuerreform sind richtige Schritte, werden als Anreiz zu mehr Fulltime-Jobs aber nicht reichen, weil der Anteil, der von den Arbeitskosten netto übrig bleibt, noch immer zu niedrig ist.

Gegen Teilzeitbeschäftigung aufgrund von Kinderbetreuung hat niemand polemisiert. Viele Familien haben gar keine andere Wahl. In Österreich noch weniger als anderswo, was auch am Mangel an Betreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen liegt. Wegen eines fatalen Versagens vor allem der ÖVP.

Schwieriger zu verstehen ist, warum auch Frauen ohne Kinder so häufig Teilzeit wählen. Laut dem Thinktank Agenda Austria sind es je nach Altersgruppe zwischen 25 und fast 50 Prozent. Und im Alter schnappt dann häufig die Armutsfalle zu.

Dazu kommt das von der Pandemie verstärkte Phänomen, von dem viele Personalmanager und Berater berichten: Karriere und Leistung haben für viele Menschen an Stellenwert verloren. Besonders junge Leute, Frauen wie Männer, geben andere Prioritäten in ihrer Lebensplanung an.

Die kann man setzen, muss aber auch die Folgen im Auge haben. Wenn immer mehr Menschen weniger ins Sozialsystem einzahlen, aber die vollen Leistungen z. B. der Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen wollen, wird sich das auf Dauer nicht ausgehen. Der Sozialstaat, der einst auf anderen Prinzipien aufgebaut wurde, müsste dann eben adaptiert werden.

Eine sachliche Grundsatzdiskussion zu diesen Themen ist überfällig – scheint aber auf keiner politischen Seite mehr möglich zu sein. Auf die Tatsache, dass Klickraten auf Social Media in zunehmendem Maße ernsthafte Auseinandersetzung verdrängen, reagieren Politiker mit Selbstaufgabe, die nur noch auf Stimmenmaximierung schielt. Und sie bestärken dadurch ein unreflektiertes Anspruchsdenken und fördern eine in Teilen verwöhnte, mit mangelnder Selbstverantwortung ausgestattete Gesellschaft, die Krisen nicht mehr zivilisiert und vernunftgeleitet bewältigen kann.

Wenn eine Lehrerin in einer neuen Mittelschule in Wien erzählt, bei einer Befragung in ihrer Klasse habe ein signifikanter Teil der männlichen Jugendlichen als Berufswunsch AMS angegeben, dann ist das zwar bestimmt nicht repräsentativ, aber dennoch ein Indiz, dass offenbar manches gewaltig schiefläuft.

Die Bildungskarenz gibt es seit mehr als 30 Jahren. Die Einführung war wohl damals von guter Absicht geleitet. Der Boom setzte allerdings erst in jüngster Zeit ein und kostet den Staat mittlerweile ein paar Hundert Millionen Euro pro Jahr an Förderungen. Die gut investiert wären, stünde eine konsequente Höherqualifizierung im Vordergrund. Das ist aber nicht der Fall, weswegen der Rechnungshof das Instrument schon als "mit öffentlichen Mitteln finanzierte Auszeit" kritisierte.

"Nimm dir eine bezahlte Auszeit!" - so warb etwa ein Sprachreisenanbieter auf Social Media um neues Personal. Die meisten, die diese Karenz in Anspruch nehmen, verhehlen auch gar nicht, dass sie eine Pause vom Job möchten – die für den Preis, fünf Stunden pro Woche in irgendeiner Bildungseinrichtung zu verbringen, recht gut bezahlt ist. Geringqualifizierte gehen hingegen am wenigsten in Bildungskarenz.

In Zeiten eines Überangebots an Arbeitskräften mag auch Altersteilzeit eine taugliche Maßnahme gewesen sein, um Jungen bessere Jobchancen zu eröffnen. Jetzt herrscht Personalmangel. Aber während andere Länder das Pensionsalter automatisch der steigenden Lebenserwartung anpassen, subventionieren wir trotzdem weiter mit Steuergeld, wenn noch vor Pensionsantritt weniger gearbeitet wird. Das ließe sich korrigieren, auch ohne dass ein 64-Jähriger noch Schwerarbeit verrichten muss.

Der Kanzler könnte sein durchaus vorhandenes rhetorisches Talent für echte Bewusstseinsbildung vielleicht mal einsetzen.

Der Kommentar ist als Leitartikel in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 13.10. 2023 erschienen

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