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Angelika Kramer: Grün alleine ist zu wenig

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Angelika Kramer

©Elke Mayr
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Grün ist gut. Eine grüne, wettbewerbsfähige Wirtschaft ist besser. Es wird Zeit, dass die EU den „Green Deal“ modifiziert.

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Es war eine Posse, die ihresgleichen suchte, die Österreichs Politik diese Woche am europäischen Parkett hinlegte. Ist die Zustimmung von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler zum EU-Renaturierungsgesetz nun rechtsgültig erfolgt, und welche Rechtsmittel kann die ÖVP anstrengen, um diese wieder rückgängig zu machen?

Das waren die zentralen Punkte, die in heimischen Ministerien und Kabinetten rauf und runter diskutiert wurden und so manchen Europäer zum Kopfschütteln, bestenfalls zum Schmunzeln brachten. Ja, bei uns herrscht Wahlkampf. Das dürfte jetzt wohl auch außerhalb Österreichs jedem klar sein.

Dabei gäbe es auch inhaltlich einiges dazu zu sagen. Immerhin ist das Renaturierungsgesetz zentraler Bestandteil des sogenannten European Green Deals, der vor fünf Jahren von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit einigem Pathos („Man on the Moon Moment“) proklamiert wurde.

Spricht man mit Vertretern der Wirtschaft, trifft man nahezu ausschließlich auf Unterstützer der Idee eines Green Deals. Europa bis 2050 klimaneutral zu machen und den Kontinent weltweit zum Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit zu machen, damit können sich nahezu alle anfreunden.

Diese Kritik ist nicht nur von Wirtschaftstreibenden zu hören, sondern auch von Wirtschaftsexperten wie dem früheren EZB-Chef Mario Draghi, der dieser Tage eindrücklich vor einem weiteren Rückfall Europas gegenüber den USA und China warnte. Seit dem Jahr 2000 liegt die Kaufkraft der EU um ein Drittel niedriger als in den USA, rechnet Draghi vor.

Eine Industriestrategie müsse schleunigst her, so der italienische Wirtschaftsprofessor, die Energiepreise müssten gesenkt und die Ausgaben für Innovation in der EU stark erhöht werden. Sonst bliebe Europa in Sachen Wettbewerbsfähigkeit schneller auf der Strecke, als von der Leyen „Green Deal“ sagen kann.

Das Umweltthema streift Draghi in seinen Ausführungen übrigens nur als Teil der Industriestrategie. Draghi hat erkannt, dass es ein Umdenken braucht. Durch KI und die geopolitischen Probleme vor unseren Toren haben sich die Rahmenbedingungen in den letzten fünf Jahren dramatisch verändert.

Brachial-Umweltpolitik kann nicht auf dem Rücken der Industrie und der europäischen Bevölkerung, die von hohen Energiekosten stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, geschehen. Das legt auch das EU-Wahlergebnis nahe, wo die Grünen nicht weniger als ein Viertel ihrer Mandate verloren haben, vermutlich auch, weil sie eisern am Green Deal festhalten wollen.

Vom Green Deal zum New Deal

Europäische Politiker wie etwa Österreichs Finanzminister Magnus Brunner fordern deshalb in letzter Zeit immer öfter einen „New Deal“ statt von der Leyens Green Deal. Um Monstervorhaben wie den Green Deal finanzieren zu können, braucht Europa florierende Unternehmen.

Oder anders gesagt: Soll der Green Deal jemals von Erfolg gekrönt sein, muss die Politik mit der Wirtschaft Hand in Hand gehen und ihr nicht ständig unverdauliche Brocken hinwerfen. Europa hat nichts von hehren Vorhaben, wenn die Industrie infolge hoher Strom- oder Treibstoffkosten den Kontinent fluchtartig verlässt oder schlicht aufgekauft wird. Es hat auch nichts davon, wenn unsere Landwirte hinschmeißen und wir künftig stärker von teuren Nahrungsmittelimporten abhängig sind. Womit wir wieder beim umstrittenen EU-Renaturierungsgesetz sind.

Auch in Demokratien wie der Europäischen Union darf nicht auf jedes Wehklagen von Lobbyisten mit politischen Zugeständnissen oder gar Abkehr von einem Vorhaben reagiert werden. Aber man bekommt immer öfter den Eindruck, als würde die EU Bedenken ihrer Bürger ungelesen ad acta legen und, komme, was wolle, ihr Ding durchziehen. Ein Gutteil der Stimmenzuwächse der Rechtsparteien bei der EU-Wahl ist wohl genau auf diese Überheblichkeit, dieses Elfenbeinturmgehabe zurückzuführen.

Mit der neuen Amtsperiode der EU-Entscheidungsträger besteht zumindest die theoretische Chance, dass sich die Prämissensetzung ein wenig verschiebt und dass in Europa künftig nicht mehr alles dem „Net Zero“-Ziel untergeordnet wird.

Ob man ihn nun Green oder New Deal nennen will: Europa braucht einen Deal, der die Interessen der Bürger und auch der Wirtschaft stärker miteinbezieht. Speziell dann, wenn auf der anderen Seite des Atlantiks „America First“-Donald-Trump wieder das Sagen hat.

Der Leitartikel ist der trend. edition+ vom Juni 2024 entnommen.
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