Nehammer und Co. treten bei der "Generalsanierung der Politik" auf der Stelle. Van der Bellen will, dass sie bei Compliance und Controlling "Anleihe bei der Wirtschaft" nehmen. Spurensuche am Rande einer Asien-Reise von Politikern und Unternehmern: Wie würden Firmenchefs der Thomas Schmids von morgen Herr werden?
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Über dem Eingang zum Kanzleramt hing seit Anfang Oktober ein Riesenbanner mit der Aufschrift „Tag der offenen Tür“. Der weithin sichtbare Slogan wies an sich nur auf einen jährlichen Routinetermin hin.
Am 26. Oktober war anlässlich des Nationalfeiertags auf beiden Seiten des Ballhausplatzes Open House angesagt. Eine Gelegenheit, die an diesem Feiertag viele Bürger für einen Blick hinter die Kulissen der TV-Bilder nutzen.
Seit die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft (WKStA) Mitte Oktober ein 454 Seiten starkes Protokoll der jüngsten Aussagen des ehemaligen türkisen Schattenfinanzministers Thomas Schmid freigab, hat der Slogan für viele im Regierungsviertel eine neue Bedeutung.
Tage der offenen Tür für Machtwechsel
Die Opposition sieht das Kanzleramt offen wie ein Scheunentor, den Auszug des ÖVP-Regierungschefs Karl Nehammer nur noch als eine Frage des Datums.
Nach der Hausdurchsuchung beim engen Weggefährten von Sebastian Kurz sorgten erst monatelang Thomas Schmids entlarvende Chats mit den türkisen Spitzen, Förderern und Geldgebern für Aufregung. Seine jüngsten Aussagen, mit denen er sich als Belastungszeuge von Kurz und Co. auch seinen Kronzeugen-Status sichern will, drohen, in der ÖVP bald keinen Stein mehr auf dem anderen zu lassen.
Am Allerseelentag wird es bei einer Sondersitzung des Nationalrats zu einem Showdown zwischen Regierung und Opposition kommen. Am Tag danach will Thomas Schmid vor dem ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss „singen“.
Rot, Blau und Pink drängen erstmals vereint auf Neuwahlen. Türkis und Grün wollen weitermachen, ziehen dabei aber in Sachen einer neuen Antikorruptions-Offensive alles andere als energisch an einem Strang. Von Neuwahlen will freilich auch der Bundespräsident nichts wissen. Er mahnt für seine Verhältnisse ungewöhnlich schnell und scharf eine „Generalsanierung“ des Vertrauens in die Politik ein.
Auf Nachfrage, was denn Regierung und Parlament konkret angehen sollen, regte Van der Bellen an, „Anleihen bei Unternehmen zu nehmen“, die bereits Erfahrung mit strengen Compliance-Regeln und einer unbestechlichen Innenrevison haben. Der Zufall wollte es, dass sich dieser Tage just mehrere schwarz-türkise Minister mit Wirtschaftsvertretern auf den Weg machten, um nach der weltweiten Lähmung durch die Pandemie auf wichtigen Exportmärkten Stimmung für Österreich zu machen.
Außenminister Alexander Schallenberg stattete nach 21 Jahren erstmals Südkorea einen mehrtägigen Besuch ab. Das Land an der bis vor dem Ukraine-Krieg gefährlichsten Grenze der Welt zählt zu den drei größten Handelspartnern Österreich in Ostasien. Kurz nach Schallenberg brachen Finanzminister Magnus Brunner und Wirtschaftsminister Martin Kocher zu einer Japan-Visite auf, nach den USA und China der drittwichtigste Überseemarkt des Landes.
Schallenberg setzt weiter auf Refocus Austria
Die Reisen sind Teil einer Export-Offensive, die Türkis-Grün noch in besseren Zeiten gestartet hatten: „Refocus Austria“.
Nach einer Welle von Lockdowns und bald zwei Jahren massiver Reisebeschränkungen sollten, beginnend mit Herbst 2021, Botschaften und Außenhandelsstellen Österreich vor Ort „wieder zurück auf die Landkarte setzen“, so der Initiator des Refocus-Projekts, Alexander Schallenberg. Mit dem Start des Russland-Feldzug gegen die Ukraine am 24. Februar ging es Außenamt und Wirtschaftskammer zudem darum, die Export-Ausfälle nach Russland, Belarus und in die Ukraine zu kompensieren.
Dort, wo es Sinn macht, reisten heimische Minister, allen voran der Außenminister, als Türöffner für Wirtschaftsdelegationen an. Im Frühjahr standen Armenien, Pakistan und Indien auf dem „Refocus Austria“-Reisekalender. Im Herbst sind mit Südkorea und Japan nun zwei wichtige ostasiatische Exportmärkte dran. Danach steht für heuer noch eine Wirtschaftsdelegationsmission nach Nigeria, wiederum angeführt von Alexander Schallenberg und Martin Kocher, am Kalender.
Die heimischen Dauerkalamitäten reisen dieser Tage im Handgepäck mit. Vor Ort werden weder Wirtschafts- noch Politikvertreter auf das „House of Kurz“ angesprochen. Aber es bleibt selbstredend auch hier im Smalltalk der Delegationen Thema. Schlüsselfrage à la Van der Bellen: Wie würden denn Unternehmer und Manager mit einer derart existenzgefährdenden Vertrauenskrise umgehen, wie sie derzeit die Politik erschüttert?
„Rundumschlag“ und „Neubesetzung von Schlüsselpositionen“
Gerade in wirtschaftlich fordernden Zeiten wie diesen wollen sich die wenigsten nicht auch noch eine Front mit der "Giftküche Politik" aufmachen. Unter vier Augen ist aber sehr viel Unverständnis und Nachdenklichkeit auszumachen - ganz im Sinne des emotionalen Van-der-Bellen-Satzes: "Das darf doch alles nicht wahr sein."
Den Nebensatz des Bundespräsidenten, die Politik sollte Anleihen bei der Wirtschaft nehmen, um sich aus dem Skandalsumpf zu ziehen, haben viele noch gar nicht mitbekommen. Wenn es der Hofburg damit ernst ist, sollte sie das wohl nicht nur lauter sagen, sondern auch mit einem konkreten Projekt initiativ werden. Denn die Sichtweise von Wirtschaftsleuten ist auch auf fremdem Terrain ohne langes Wenn und Aber ergebnisorientiert und für (ab)gewohnte politische Verhältnisse erfrischend radikal.
"Ich würde einen Rundumschlag machen und alle Schlüsselpositionen, wo noch Belastungen durch Vertreter der früheren Führung drohen, neu besetzen", sagt ein Manager, der reichlich Führungserfahrung hat.
Einer anderer sekundiert und ergänzt: Auch die Installation eines Aufsichtsrats, wie in größeren Unternehmen gang und gäbe, sei für die Österreich AG dringend zu empfehlen.
"Eine Ursache des Schlamassels war sicher, dass hier eine Gruppe von sehr jungen Leuten über Nacht und zum Teil ohne abgeschlossene Ausbildung in Spitzenpositionen kam und glaubte, ihr gehört nun die Welt."
Ein seit mehreren Jahrzehnten im asiatischen Raum aktiver Unternehmer sieht beispielsweise angesichts der politischen Verhältnisse in Südkorea die Causa Kurz, Schmid und Co. etwas abgeklärter:
"Hier war von den letzten drei Staatspräsidenten jeder nach Amtsende im Gefängnis. In die Spitzenpolitik gehen jetzt fast nur noch gelernte Anwälte oder Staatsanwälte, die wissen, wie weit sie gehen können."
„Höhere Politikergehälter machen weniger verführbar“
Der vielgereiste Firmenchef legt aber umgehend nach: Noch schlimmere "Bad Boys" dürften selbstredend keine Ausrede fürs Nichtstun sein. Er bringt einen anderen, in der öffentlichen Debatte gern tabuisierten Aspekt ins Spiel:
"Ich halte die Gehälter in der Spitzenpolitik für ein Problem. Angesichts der Verantwortung und des nötigen Einsatzes ist die Bezahlung eines Regierungschefs, aber auch von Ministern in Relation zu vergleichbaren Jobs in der Wirtschaft einfach nicht adäquat. Wer gut verdient, ist weniger verführbar, sich während seiner Politiker-Zeit mit unlauteren Mitteln Freunde für danach zu machen. Ich bin daher für weitaus höhere Politikergehälter."
Die Gehaltspyramide in der Politik ist streng normiert und misst, ausgehend vom Bezug eines Nationalratsabgeordneten (der sich am höchsten Beamtengehalt orientiert), jedem Amtsträger in der Republik einen bestimmten Prozentsatz davon zu. Parlamentarier kommen derzeit auf rund 9.376 Euro brutto. Bundesräte auf die Hälfte, Minister erhalten das Doppelte, der Kanzler 250 Prozent (23.440 €) und der Bundespräsident 280 Prozent (26.252 €) des Abgeordneten-Salärs.
Das Gehaltspyramide wurde 1997 nach einer Welle von Skandalen rund um bis dahin unbekannte, aber bestverdienende Multifunktionäre erfunden. Nebendarsteller auf der politischen Bühne in Kammern und Vorfeldorganisationen verdienten oft eines Vielfaches des österreichischen Regierungschef. Die damals mit viel Getöse beschlossene "Generalsanierung" des Gehaltsprivilegienstadels trägt den reumütig klingenden Titel Politikerbezüge-Begrenzungsgesetz.
25 Jahre später und nach einer weitaus monströseren Skandalwelle wird die nächste Herkulesaufgabe wie eine heiße Kartoffel zwischen Türkis und Grün noch hin- und hergeschoben: rasch wirksame und zuletzt auch vom Bundespräsidenten eingeforderte politische Rezepte gegen das "lähmende Gift der Korruption".
Der Artikel ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 28.10.2022 entnommen.