TAUZIEHEN UM DIE MACHT. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig arbeitet an Machtoption – mit oder ohne Parteichef Andreas Babler.
©APA/FLORIAN WIESERNach außen hin gibt es trotz mangelnder Performance Treueschwüre. Mächtige Unterstützer wie Wiens SPÖ-Chef gehen bereits auf Distanz. Michael Ludwig & Co. wollen ein Comeback von Rot-Schwarz – mit oder ohne Andreas Babler.
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Kommende Woche ist es genau ein Jahr her, dass Michael Ludwig und Pamela Rendi-Wagner unter den Klängen des Tina-Turner-Hits „Simply The Best“ in das Thermenhotel St. Martins eingezogen sind. Nach drei Jahren pandemiebedingter Pause hatten sich die Spitzenfunktionäre, Stadt- und Gemeinderäte der Wiener SPÖ erstmals wieder zur traditionellen Klubklausur im Burgenland eingefunden.
Mit der Inszenierung seines Einzugs an der Seite der damaligen SPÖ-Vorsitzenden wollte Wiens SPÖ-Chef just im Heimatland des größten Kritikers der „roten Pam“ signalisieren: Ludwigs Wiener SPÖ stehe trotz Dauerkritik von Doskozil & Co. eisern zur ersten Frau an der Spitze der Sozialdemokratie als Kanzlerkandidatin 2024.
Kommenden Dienstag finden sich die roten Rathaus-Lenker neuerlich für zwei Tage in der St. Martins Therme in Frauenkirchen ein. „Simply the Best“ Pamela Rendi-Wagner ist als SPÖ-Chefin längst Geschichte und nach Stockholm weitergezogen. Mehr als nur Geschichte sind die „Breaking News“, die vor genau einem Jahr Hans Peter Doskozil kurz nach Klausurstart den versammelten Spitzen-Genossen einbrockte.
Doskozil war zur Wien-Klausur auf heimatlichem Boden höflichkeitshalber eingeladen, hatte es aber vorgezogen, besser nicht zu erscheinen. Burgenlands Landeshauptmann und SPÖ-Landeschef war aber plötzlich präsenter, als allen lieb war.
Am ersten Klausur-Nachmittag ließ er einen persönlichen Brief an den SPÖ-Bundesparteivorstand medial leaken, in dem er ein nachhaltiges innerparteiliches Beben lostrat: eine hochoffizielle Bewerbung als SPÖ-Parteichef und SPÖ-Kanzlerkandidaten 2024 mit einem Mitglieder-Entscheid. Für den parteiintern größten Gegner und schärfsten Kritiker Michael Ludwig war das „Doskozil schwerstes und unverzeihlichstes Foul“ sagt ein Wiener Spitzengenosse.
Von den darauffolgenden Turbulenzen hat sich die SPÖ bis heute nicht erholt. Aus dem programmierten Duell Hans Peter Doskozil gegen Pamela Rendi-Wagner ist mit Andreas Babler jemand als Parteichef hervorgegangen, den keines der feindlichen Parteilager auf der Rechnung hatte. Das Bild des „lachenden Dritten“ drängt sich bei Babler freilich auch neun Monate nach dessen pannenreicher Kür nicht auf.
Ludwig zurück an Doskos Tatort
Ein derart dramatisches Störmanöver der gastgebenden Genossen ist bei der Stippvisite der Wiener Roten im Burgenland diesmal nicht zu erwarten. Hans Peter Doskozil ist neuerlich eingeladen und wird einmal mehr fernbleiben. Das Doskozil-Lager hielt sich bis zuletzt bedeckt, ob „Dosko“ wie im Vorjahr einen seiner Gefolgsleute als Vertreter schickt oder Ludwig & Co. mit dem Bürgermeister von Frauenkirchen als ranghöchstem burgenländischem Genossen erleichtert vorliebnehmen dürfen.
„Die tiefen Gräben in der SPÖ sind noch lange nicht zugeschüttet“, sagt ein prominenter Bundesländer-Genosse, „aber derzeit gibt es auch aus dem Doskozil-Lager keine konzertierten Aktionen.“ Der Bürgermeister von Traiskirchen verdankt seinen unerwarteten Sieglauf der Wiener SPÖ und der Gewerkschaft.
Diese wollten erst Rendi-Wagner mit allen Mitteln halten. Als diese bei der Mitgliederbefragung am schmählichen dritten Platz landete, suchten sie mithilfe des zweitgereihten Andreas Babler die Nummer eins bei der Mitgliederbefragung, Hans Peter Doskozil, durch eine per Parteivorstandsmehrheit erzwungene Kampfabstimmung auf einem Sonderparteitag als SPÖ-Chef zu verhindern. Im Lager der Unterstützer des siegreichen Andreas Babler ist dennoch noch lange nicht alles eitel Wonne.
Neue Allianzen, alte Wunden
Der ehemalige Juso-Chef hat zwar versucht, mit einer Personalrochade im Parlament eine erste Geste der Versöhnung der feindlichen Lager zu setzen. Die Klubführung teilt sich mit Philip Kucher ein einst deklarierter Doskozil Anhänger als Klubchef mit der Bableristin der ersten Stunde, Julia Herr, und der bis zuletzt Rendi-Wagner-Getreuen Eva Maria Holzleitner als Stellvertreterinnen. In der Parteizentrale sitzen mit Sandra Breiteneder und Klaus Seltenheim freilich zwei Bableristen, die öffentlich noch weniger präsent sind als Rendi-Wagners notorisch medienscheuer Parteisekretär Christian Deutsch.
Was in der SPÖ den lautlosen Parteimanagern aber weitaus mehr und immer öfter zum Vorwurf machen: Das Führungsduo schirmt den Parteichef derart ab, dass sich der Unmut über Bablers neue rote Markierungen frei nach Michael Häupl nicht „im Wohnzimmer, sondern auf dem Balkon“ entlud.
Der Gewerkschafter Josef „Beppo“ Muchitsch machte schlussendlich öffentlich, was für lagerübergreifendes Murren unter den Genossen über Babler & Co. sorgt: Zu dogmatisch, zu klassenkämpferisch, zu wenig einladend für Mitte-Wähler, ein „Schreckgespenst für die Wirtschaft“.
Schon davor war Michael Ludwig weitaus weniger spitz, aber für seine Verhältnisse durchaus deutlich auf Distanz zum Rendi-Nachfolger gegangen. Nachdem Andreas Babler den „Österreich-Plan“ von ÖVP-Chef Karl Nehammer schlicht als „Verarsche“ qualifiziert hatte, ließ Wiens Bürgermeister umgehend wissen, „Kraftausdrücke“ wie diese seien „nicht förderlich“ und plädierte für eine „sachlichere“ Kommunikation: „Man sollte immer aufpassen, dass man keine Brücken abbricht, die man nach der Wahl braucht.“
Es ist inzwischen ein offenes Geheimnis, dass nicht nur der Wiener SPÖ-Chef Michael Ludwig, sondern auch die Achsenpartner von gestern, Michael Häupl und Erwin Pröll, intensiv an einer Renaissance der Zusammenarbeit zwischen Rot und Schwarz im Bund arbeiten.
Babler, sagen Vertraute, ist als langjähriger Kommunalpolitiker Realist genug, dass die SPÖ auf die ÖVP und möglicherweise auch auf einen dritten Partner nach der Wahl angewiesen ist, um eine Alternative zu Blau-Schwarz anbieten zu können. Auch um als Parteichef ohne Machtoption nach geschlagener Wahl nicht selbst als ablösereif zur Disposition zu stehen.
Babler lässt sich vor EU-Wahl einzementieren
Babler & Co. hätten es daher gerne gesehen, bei der nächsten innerparteilich besonders heiklen Weichenstellung im mächtigen Windschatten von Michael Ludwig segeln zu können. Der neue Chef lässt die SPÖ als erste aller Parlamentsparteien die endgültige Reihung der Kandidatenliste für die Nationalratswahl 2024 bereits Ende April bei einem „Parteirat“, einer Art „kleinen Parteitag“, fixieren. Babler lässt damit auch sich selbst als Spitzenkandidat fünf Monate vor dem Wahltag einzementieren.
Die Kandidatenkür geht so auch schon Wochen vor den für Bablers weiteres Standing in der SPÖ gewichtigen Testwahlen für das EU-Parlament am 9. Juni über die Bühne. „Babler hätte den Parteirat auch gerne am gleichen Wochenende wie den Parteitag der Wiener SPÖ abgehalten. Offiziell, um Aufwand und Kosten für eine große Gruppe der Beteiligten zu sparen. In Wahrheit, um vom Windschatten der mächtigsten Landespartei zu profitieren“, weiß ein Spitzengenosse, der sein Ohr in beiden Lagern hat.
Aus für Welpenschutz durch Ludwig
Michael Ludwig setzte seinen Wiener Parteikonvent aber nun eine Woche vor dem Bundesparteirat am 20. April an. Das machte für Partei-Insider endgültig sichtbar, dass die neue SPÖ-Führung in der Löwelstraße nicht mehr mit Welpenschutz aus dem Wiener Rathaus rechnen kann.
Im Doskozil-Lager wird das mit einer Mischung aus Genugtuung und Empörung gesehen: „Selbst die Babler-Befürworter sind maßlos enttäuscht von ihm. In der Partei herrscht eine ähnliche Lähmung wie unter Rendi-Wagner. Alle warten nun einmal ab wie die EU-Wahlen ausgehen.“ Dass es bei einem Wahldesaster nach der Festlegung beim Parteirat doch noch zu einem Wechsel an der Spitze kommen könnte, glauben nicht einmal enge Doskozil-Gefolgsleute.
Die Wiener SPÖ, die alles tut, um Dosko & Co. weiter auf Distanz zu halten, rüstet sich so auch bereits für die Zeit nach der kommenden Nationalratswahl. „Nehammer ist dabei, an Statur zu gewinnen, und könnte besser abschneiden, als die Umfragen jetzt erwarten lassen“, analysiert ein Ratshaus-Insider: „Es ist daher damit zu rechnen, dass Babler nicht nur bei einem erfolgreichen Abschneiden der Bier-Partei auf Platz drei landet.“
In Rathaus-Kreisen gilt eine Koalition mit der ÖVP bei Platz zwei als weitaus sicherer gesetzt als für den Fall, dass Schwarz-Türkis auf Platz drei abstürzt. Karl Nehammer dürfte dann Geschichte sein, so das rote Kalkül, und die Anhänger von Blau-Schwarz in der ÖVP Morgenluft wittern.
Welche Rolle Andreas Babler als Nummer drei und eindeutiger Wahlverlierer in einem schwarz-roten Kabinett 2025 spielen wollte und könnte, treibt die Rathaus-Genossen im Moment nur unter ferner liefen um. „Uns ist wichtig, dass Wien in dieser neuen Zusammenarbeit der konstruktiven Kräfte der Republik gut und stark vertreten ist.“
Als neuer roter starker Mann in einer Neuauflage der Zusammenarbeit mit der ÖVP (bei Bedarf mit einem dritten kleineren Partner) firmiert in den Planspielen der Rathaus-Genossen nicht Andreas Babler, sondern zuvorderst der amtierende Wiener Finanz-Stadtrat, Peter Hanke.
Der Artikel ist aus trend.PREMIUM vom 8. März 2024.
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