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„Politik Backstage“: Szenen einer Muss-Ehe

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Im ORF stellte sich die neue Regierungsspitze den Fragen von Susanne Schnabl und Armin Wolf: Schweißt der permanente Krisenmodus auch diese Koalition zusammen?

©ORF/Klaus Titzer
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Warum Bablers Nein zu Ludwigs einzigem Personalwunsch für den SPÖ-Vizekanzler zum Pyrrhussieg werden könnte. Wie unter ÖVP-Kanzler Christian Stocker Schlüsselspieler der Ära Kurz wieder zu einer tragenden Rolle kommen.

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Angelobungen von neuen Ministern und ganzen Regierungen sind für Alexander Van der Bellen in seinem neunten Jahr als Hausherr in der Hofburg längst Routine.

Der Aufmarsch der ersten türkis-rot-pinken Dreierkoalition ist angesichts einer Rekordzahl von 21 Regierungsmitgliedern zumindest zu einer logistischen Herausforderung geworden.

Weil jedes Kabinettsmitglied an diesem auch persönlich großen Tag bis zu fünf Angehörige mitnehmen darf, muss das Gros der Verwandten mit der ORF-Live-Übertragung im der eigentlichen Zeremonie nächstgelegenen Spiegelsaal vorliebnehmen. Nur die engsten Angehörigen von Christian Stocker, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger und einer Handvoll Minister (penibel pro Fraktion aliquotiert) finden im Maria-Theresien-Saal Platz, um die Angelobung hautnah mitzuerleben. Mit dabei auch Bablers Frau Karin Blum, begleitet von Tochter Flora und dessen Vater Werner.

Dass Spitzenpolitiker sich am liebsten mit nahen Angehörigen in den eigenen vier Wänden austauschen, ist naheliegend, lehrt sie doch bald die Erfahrung: Alles, was im Regierungsviertel über ein Selbstgespräch hinausgeht, bleibt selten ein Geheimnis.

Im Fall von Ex-ÖVP- und -Regierungschef Karl Nehammer ging das im Laufe seiner drei Kanzlerjahre weit über den häuslichen Meinungsaustausch hinaus. Wer in der ÖVP eine Idee oder einen Personalwunsch platzieren und auch durchsetzen wollte, wusste: Im vielstimmigen Konzert der Schwarz-Türkisen zählt am Ende vor allem eine Stimme – die der gelernten Marketing und PR-Fachfrau Katharina Nehammer.

SPÖ als Familienbetrieb Blum & Babler

Die Partnerin des neuen SPÖ-Vizekanzlers, Karin Blum, sagen langjährige Kenner von Andreas Babler, spielt politisch eine zumindest ebenso gewichtige Rolle. Der SPÖ-Chef treffe keine wichtige Entscheidung ohne sie, in vielen Fragen gebe sie von sich aus den Kurs vor. Etwa bei Bablers Mantra vom Kampf um Kinderrechte und eine Kindergrundsicherung. Beobachter des jüngsten Wahlabends vom 29. September haben bleibend in Erinnerung, dass Karin Blum den gescheiterten SPÖ-Kanzlerkandidaten zu allen seinen Interviews in der Wahlzentrale im Parlament begleitete, sich aber vor den Kameras diskret im Hintergrund hielt.

Karin Blum, so SPÖ-Insider, stand auch dafür Pate, dass der Parteichef nach dem Desaster am Wahlabend ernsthaft überlegte, sein Heil in fünf weiteren Oppositionsjahren zu suchen. Das rote Duo Blum & Babler hatte diesmal aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Michael Ludwig hatte den Wahlsonntag genutzt, alle wichtigen Entscheidungsträger in Partei und Gewerkschaft auf die Parole einzuschwören: Die SPÖ macht nach sieben Jahren auf dem Trockendock der Opposition wieder klar Schiff Richtung Regierung.

Der SPÖ-Chef musste zur Kenntnis nehmen, dass diesmal die wahren Machthaber in der Partei besser vorbereitet waren als vor zwei Jahren im Zweikampf zwischen Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil. Als die Favoritin der Wiener SPÖ und der Gewerkschafter scheiterte, setzten die tonangebenden Roten pannen-, aber erfolgreich auf den, per Basis-Initiative überraschend neu ins Spiel gebrachten, ewigen linken Außenseiter Babler – allein um den verhassten Burgenländer zu verhindern.

Der 52-Jährige, der es SPÖ-intern trotz vieler Anläufe nicht weiter als zum Bürgermeister von Traiskirchen gebracht hatte, erwies sich in den Augen seines mächtigsten Unterstützers aber zuletzt als besonders undankbar. Für den zweiten Anlauf zu einem Koalitionspakt hatte Michael Ludwig im SPÖ-Präsidium höchstpersönlich durchgesetzt, dass diesmal kein Verhandlungsführer in der Person des Parteichefs, sondern ein „Kollegialorgan“ das Sagen hat.

Dort saßen neben Babler die Ludwig-Vertraute Doris Bures, SPÖ-Gewerkschaftschef Josef Muchitsch, Klubchef Philip Kucher und SPÖ-Frauenchefin Eva-Maria Holzleitner. Sprich: Babler konnte nicht wie im Finale des ersten Anlaufs zum Dreier plötzlich nach Gutdünken agieren und Ludwigs Aufpasserin Doris Bures bei entscheidenden Gesprächen außen vor lassen. Als es an die Finalisierung der Ministerliste ging, mussten Bures & Co. aber zähneknirschend zur Kenntnis nehmen: Das ungeliebte Kollegialorgan, das bis dahin nur gemeinsam entscheiden konnte, hatte über Nacht in den Augen des roten Vormanns seine Schuldigkeit getan. In Sachen Personal berief sich Babler auf seine Rolle als Bundesparteichef, der statutengemäß allein das Recht habe, den Parteigremien eine Ministerliste vorzulegen.

Michael Ludwig hatte nach dem ersten gescheiterten Versuch einer Dreierkoalition Anfang des Jahres alle seine Hebel Richtung ÖVP benutzt, den Schwarz-Türkisen trotz massiv gewachsener Vorbehalte gegen Babler einen zweiten Anlauf Richtung Dreier schmackhaft gemacht. Stärkstes Ass in Ludwigs Argumentations-Ärmel: Wenn die ÖVP gegen die bisherigen Koalitions-Usancen den Finanzminister für die SPÖ frei halte, werde er dafür sorgen, dass mit Peter Hanke oder Alexander Wrabetz ein beidseitig politisch verträglicher Sozialdemokrat diese Schlüsselposition einnimmt.

Babler ließ Ludwig im Finale des Koalitionspokers in mehreren Telefonaten allerdings kalt abblitzen, berichten Vertraute des Wiener Bürgermeisters. Als der Wiener SPÖ-Chef als stärkstes Argument auspackte, dass die ÖVP ohne Hanke oder Wrabetz als rot-schwarzen Verbinder eher früher als später aus der Koalition abspringen werde, konterte Babler kühl: „Dann gehen wir halt in Neuwahlen.“

Es kam, wie es zuletzt in der SPÖ immer kam. „Die kleine, aber eingeschworene Gruppe der Bableristas setzte ohne Rücksicht auf Verluste ihre Pläne durch“, so ein langjähriger SPÖ-Kenner. Ludwig scheute einmal mehr den ultimativen Konflikt. Das hat ihn auch in den Augen der Bundesländer-Roten geschwächt. „Wenn Ludwig in eine Kampfabstimmung gegangen wäre, um Hanke oder Wrabetz im Parteivorstand durchzusetzen, wäre ihm das bei rechtzeitiger Einbindung der Bundesländerchefs auch mit einer klaren Mehrheit gelungen“, resümiert der SPÖ-Auskenner.

Babler kam einst aus dem Nichts, pokerte wiederholt hoch und obsiegte neuerlich. Den Makel des notwendigen Übels wird der SPÖ-Vormann in der Regierung so wohl da wie dort nicht mehr los. Im Gegenteil: Ob zunehmender Alleingänge wie zuletzt bei der Regierungsbildung sinnen immer mehr rote Spitzenfunktionäre darauf, den Nolens-volens-Parteichef bei passender Gelegenheit wieder loszuwerden. Das bleibt kein einfaches Unterfangen, weil Babler gleich nach Amtsantritt durchsetzte, dass der Parteichef nur noch von den Mitgliedern bestellt und abberufen werden kann. Ludwig missfiel dieses Vorhaben zwar, er ließ aber auch hier den neuen Parteichef gewähren, um die „Bableristas“ im fragilen Machtgefüge der Wiener SPÖ nicht als Gegner zu provozieren.

Ludwig-Kenner glauben freilich, dass die – SPÖ-intern immer öfter als mangelnde Courage kritisierte – Geduld des Stadtoberhaupts nun erschöpft sei. Ludwig nehme Babler das obstinate Nein zu seinem einzigen Personalwunsch nachhaltig übel. „Babler hatte bereits bis auf Kärnten so gut wie alle Bundesländerparteien als Gegner und nun auch massiv Wien gegen sich.“ Diese bleierne Bürde schleppt Babler trotz frischgebackener Vizekanzler-Würde mit auf die Regierungsbank.

Wie haltbar ist die Rosenmontag-Koalition?

Wie haltbar ist unter solchen Startbedingungen bei einem der zentralen Achsenpartner die Rosenmontag-Koalition? „Uns wurde schon ein Jahr vor dem Wahltermin vor allem aus dem Rathaus immer Peter Hanke als Garant für einen pragmatischen Kurs in einer ÖVP-SPÖ-Regierung versprochen. Ein Finanzminister, der das jetzt vorliegende Konsolidierungspaket noch vor vier Wochen verteufelt hat, ist da eigentlich eine Kampfansage“, sagt ein hochrangiger ÖVP-Wirtschaftsbund-Funktionär mit tragender Rolle. „Mit Markus Marterbauer hat bei uns keiner gerechnet.”

Im Wirtschaftsflügel setzt ob der Besetzung eines Schlüsselressorts mit Bablers linkem Wunschkandidaten neuerlich ein schon im Finale der Verhandlungen hörbares Raunen ein. „Was von uns keiner versteht, warum wir als Kanzlerpartei das Finanzministerium und nicht das Innenministerium hergegeben haben“, gibt ein ÖVP-Spitzenmann die Stimmung im Wirtschaftsflügel wieder. Zumal just am Tag der Angelobung bekannt wurde, dass das Wirtschaftswachstum für 2024 noch mehr eingebrochen ist als erwartet. Für die Startphase von Türkis-Rot-Pink gibt er allerdings ob der befürchteten Wende im Finanzressort eine Teilentwarnung: „Die Konsolidierungsmaßnahmen beim Doppelbudget sind paktiert. Wenn uns das, was jetzt möglicherweise noch an Sparbedarf dazukommt, gleich aus der Bahn wirft, dann sind ohnehin Hopfen und Malz verloren.“

Krisen als Dauerkitt

Prekär könnte es aber werden, so der ÖVP-Wirtschaftsbündler, wenn ab Mitte kommenden Jahres das Schnüren des nächsten Sparbudgets ansteht: „Ich hoffe, dass bis zum dritten Quartal 2026 die Wirtschaft so anspringt, dass mehr Geld als derzeit erwartet ins Budget kommt. Dann kann es mit dieser Regierung auch länger gut gehen.“

Was widrigenfalls ansteht, lässt der krisengeeichte hochrangige ÖVP-Mann bewusst offen: „Im Moment ist weltpolitisch und in Europa so viel im Umbruch, dass wir in der EU und generell noch mehr Passagier sein könnten.“ Sprich: Der permanent diktierte Krisenmodus könnte trotz zunehmender innerer Widersprüche länger als derzeit von vielen Skeptikern erwartet zusammenschweißen. Ähnlich wie zuletzt durch Corona, Ukraine-Überfall und Teuerungstsunami das türkis-grüne Experiment trotz Wechsel an der Regierungsspitze, spektakulären Justiz-Causae und kontroversen U-Ausschüssen erstmals seit Langem die fünfjährige Legislaturperiode bis zum letztmöglichen Tag eisern durchhielt.

Sieben Jahre oft härtester Bandagen zwischen türkisen Ministern und roten Oppositionsabgeordneten haben die historischen Gräben zwischen ÖVP und SPÖ allerdings vertieft. Dazu kommen auf beiden Seiten konfliktschwangere Personalia: Babler himself wird in türkisen Reihen – auch ob der Kür Marterbauers – weiterhin sehr misstrauisch beäugt.

In der SPÖ wiederum will man dem ehrgeizigen schwarz-türkisen Newcomer Wolfgang Hattmannsdorfer als neuem Superminister für Wirtschaft und Energie- und Klimapolitik nicht allzu großen Profilierungsspielraum einräumen. Einen potenziellen Konfliktherd hat Hattmannsdorfer schon vor Start ein paar Häuser weiter geschoben. Der streitbare Neos-Mann Sepp Schellhorn wird als Staatssekretär für Deregulierung, eine Art Austro-Musk, nicht im Wirtschaftsministerium stationiert, dessen Klientel am heftigsten nach weniger Bürokratie und Regeln verlangt.

Schellhorns Mission Impossible

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger muss des bisweilen polternden Schellhorn reichlich Ressort-fremd nun im Außenministerium Herr werden. „Das schauen wir uns erste Reihe fußfrei an, wie der Kammerjäger Schellhorn seinen Job anlegt“, feixt ein hochrangiger ÖVP-Wirtschaftsmann, „wenn er was weiterbringen will, muss er sich mit den Landeshauptleuten anlegen. Denn dort liegen die Wurzeln von Doppelgleisigkeiten und Paragrafendschungel.”

Eine bislang gute Nachrede hinter den Kulissen auch bei besonders ÖVP-kritischen Pinken hat der Neoregierungschef, der anfangs nur als möglicher Hauptdarsteller für den Filmplot „Plötzlich Kanzler“ gut schien. „Stocker spricht nicht viel, weiß aber, was er will, und ist dabei auch sehr direkt“, sagt ein teilnehmender Beobachter im ÖVP-Spitzenteam. Im ersten Moment galt er nach dem Blitzabgang von Karl Nehammer am Dreikönigswochenende als Interimslösung. Denn anfangs glaubte so gut wie niemand, dass Stocker die ÖVP dauerhaft oder diese gar zurück ins Kanzleramt führt.

Nach innen überraschte Stocker „mit einem pragmatischen und flexiblen Verhandlungsstil“, so rote, aber auch pinke Gegenüber. Sie erlebten den gelernten Anwalt als „ehrlichen Makler der ÖVP-Interessen bei der Suche nach einem Konsens zwischen drei Partnern“.

Bei der Zusammenstellung des ÖVP-Regierungsteams hinterließ Stocker alles andere als eine eigene Handschrift. Wer vom ÖVP-Team bleiben wollte, wurde ohne Wenn und Aber in gleicher Funktion wiederbesetzt oder upgegradet. Als einziger Schlüsselspieler neu im Team ist Wolfgang Hattmannsdorfer. In seinem um die Energieagenden aufgefetteten Wirtschaftsressort soll Ex-WKÖ-Kollegin Elisabeth Zehetner als Staatssekretärin die klima- und energiepolitischen Maßnahmen von Leonore Gewessler wo immer möglich entschärfen.

Im politischen Backoffice setzt Stocker auf eine zentrale Stütze der Ära Kurz-Nehammer. ÖVP-Klubchef August Wöginger kam, so die klubinterne Rechnung, als Politik-Allrounder in den letzten Wochen all in all auf gut 800 Verhandlungsstunden. Nachdem Nehammer bereits vor drei Jahren den türkisen „Mister Message Control“ Gerald Fleischmann als ÖVP-Kommunikationschef aus der Versenkung geholt hat, steht seit dem Annäherungsversuch an die Kickl-FPÖ auch Kurz’ persönliches Mastermind Stefan Steiner wieder im Sold der Bundes-ÖVP.

Stocker wollte ursprünglich nur dessen Expertise beim Dealen mit den Blauen reaktivieren. Steiner war vor Start der Regierung Kurz-Strache 2017 auf ein Vielfaches der rund acht Verhandlungsstunden gekommen, die Herbert Kickl nun in das Projekt einer Regierung Kickl-Stocker investierte. Nun tragen auch die rund zwei Dutzend Einleitungsseiten des dickleibigen Koalitionspakts 2025 in den ÖVP-Kapiteln die Handschrift des vierfachen Vaters und konservativen Grundsatzdenkers.

Unkenrufe im Regierungsviertel, im Windschatten Stockers würden bereits zentrale Key-Player von Kurz das Terrain für ein Comeback des bei gutem Wind Rückkehrwilligen aufbereiten, haben so wieder Hochkonjunktur.

Kurz, der hinter den Kulissen bisweilen wenig Schmeichelhaftes über einige seiner hinterbliebenen Mitstreiter in Parlament und Regierung von sich gab, lobte jüngst in einem „Heute“-Interview Christian Stocker über den grünen Klee. Und danach gabe es für die nach wie vor vielen Kurz-Fans in der ÖVP eine willkommene Gelegenheit, ihrem Idol wieder zu begegnen: Stocker-Fan Kurz feierte nämlich erstmals nach seinem Abgang vor mehr als drei Jahren in Wort und Bild eine Wiederauferstehung auf den Social-Media-Kanälen der ÖVP.

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