DAS KRÄFTEMESSEN IST VORBEI. Vor den Europa- und Nationalratswahlen schließt die SPÖ die Reihen, die Kritiker von Parteichef Andreas Babler gehen auf Tauchstation.
©SPÖ/MATTHIAS LECHNERDer Hero der SPÖ-Linken, ANDREAS BABLER, sendet immer öfter Goodwill-Signale in Richtung Wirtschaft – um nach der Wahl nicht zwischen allen Stühlen zu landen. Denn der mächtigste Rote, MICHAEL LUDWIG, setzt für danach auf ein Bündnis mit Schwarz, mit oder ohne Babler.
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In der Halle D der Wiener Messe haben sich Samstag früh kurz nach neun Uhr rund tausend Delegierte und Gäste eingefunden. Die den Genossen von vielen Parteievents bereits vertraute Moderatorin und lang jährige Wiener SPÖ-Gemeinderätin Sonja Kato stimmt die Anwesenden auf den „neuerlich papierlosen“ Parteitag ein. Alle Tagungsunterlagen sind nur noch via App abrufbar. Wer damit unter den betagteren Funktionären Schwierigkeiten hat, kann sich an einen Infoschalter wenden.
Die Rathaus-Roten setzen auch bei ihren Parteihochämtern auf Full Service. Wer sich noch stärken will, für den werden in Riesenpappkartons Gebäck, Marmelade, Butter und Mehlspeisen sowie an mehreren Ständen Gratiskaffee als schnelles Frühstück angeboten.
Parteitage als Familientreffen
Parteitage der Wiener SPÖ haben viel von einem Familientreffen im XXXL-Format. Da wird zur Begrüßung geherzt und geküsst, Kinderwagen eingeparkt, der rote Nachwuchs neugierig inspiziert.
Es ist daher nicht weit hergeholt, eine Szene aus dem Blickwinkel einer Familienaufstellung zu reflektieren. Während Sonja Kato im Saal die prominenten Ehrengäste, allen voran Ex-Kanzler Franz Vranitzky und Ex-Bürgermeister Michael Häupl, begrüßt, haben vor den bereits geschlossenen Saaltüren die Hauptakteure des Tages in Gänsemarschformation Aufstellung genommen. An der Spitze der europaweite EU-Frontman der Sozialdemokraten, Nicolas Schmit, sowie die EU-Spitzenkandidat:innen Evelyn Regner und Andreas Schieder. Dahinter die Wiener Listenerste für die herbstliche Nationalratswahl, Doris Bures, Wiens Bürgermeister Michael Ludwig und SPÖ-Parteichef Andreas Babler.
Letztere drei haben regiegemäß in einer Reihe Aufstellung genommen, wirken aber wie weitschichtige Verwandte, die das ausladende Familientreffen eher zufällig zusammengewürfelt hat.
Michael Ludwig plaudert angeregt allein mit Doris Bures. Andreas Babler tänzelt derweil wie bestellt, aber nicht abgeholt vor dem Saaleingang. Sobald die Regie das Go gibt, zieht die rote Corona unter anfeuernder Musikuntermalung und Standing Ovations in den Saal ein.
In ihren Reden streuen Michael Ludwig und Andreas Babler dann einander derart emsig Rosen, dass hinterher – ganz im Sinne der Erfinder – eine Botschaft die Schlagzeilen dominiert:
„Wien stärkt Bund den Rücken: Michael Ludwig und Andreas Babler ziehen an einem Strang“.
Umarmende Rhetorik und zähnefletschendes Händedrücken im Scheinwerferlicht sollen auch jüngste Skepsis und Kritik am Babler-Kurs von Spitzen der Wiener SPÖ vergessen machen. Denn bis heute können sich auch führende Rathaus-Genossen nicht damit anfreunden, dass sie, statt mit ihrem offensiven Njet zu Hans Peter Doskozil erfolgreich Pamela Rendi-Wagner als Parteichefin zu zementieren, mit Andreas Babler vorlieb nehmen mussten.
Rote Feuerpause bis zur Wahl
„Nun kehrt bei allen langsam die Einsicht ein, dass wir nicht mehr innerhalb der eigenen Partei, sondern gegen alle anderen entscheidende Wahlen zu schlagen haben“, sagt ein SPÖ-Präsidiumsmitglied, das nicht zu den Bableristen zählt. Sprich: Auch Skeptiker in der mächtigen Wiener SPÖ haben sich zumindest auf Zeit mit den neuen Verhältnissen an der Bundesspitze arrangiert.
Der rote Oberrealo Ludwig hat zudem rasch gelernt, dass Babler nur seinem engsten Fankreis vertraut. Ludwig ist zwar im SPÖ-internen Machtspiel leicht havariert: Nicht nur Bundesländer-Genossen nehmen ihm übel, dass er erst Doskozil mit aller Gewalt ausgebremst, den roten „Betriebsunfall Babler“ (so ein Wiener SPÖ-Bezirkskaiser) aber nicht zeitgerecht verhindert hat. Der oberste Rathausmann arbeitet hinter den Kulissen aber bereits daran, diese Scharte auszuwetzen. Ludwig ist seit Wochen dabei, die Achse zu den Schwarz-Türkisen nach Wien auch auf Bundesebene wiederzubeleben. Falls erforderlich, mit den Neos als Dritten im Regierungsbunde. Die Pinken hat der Wiener Bürgermeister bereits 2020 als – bislang verlässlichen – Rathaus-Koalitionspartner auszutesten begonnen.
Welche Rolle Babler am Ende hier spielen will und soll, ist aus Sicht der Wiener SPÖ sekundär. „Wien wird in der nächsten Bundesregierung eine tragende Rolle spielen und alles tun, dass diese auch funktioniert“, lässt Michael Ludwig intern gerne wissen.
Über die Performance der neuen Nomenklatura in der Wiener Löwelstraße wird derweil vornehmlich nur noch hinter den Kulissen hergezogen. Jene Babler-Kritiker, die noch immer darauf setzen, diesen nach der EU-Wahl am 9. Juni noch einmal als Spitzenkandidaten in Frage stellen zu können, werden auch in den eigenen Kritikerreihen als weltfremde Illusionisten gesehen.
Auf Tauchstation sind auch die schärfsten Widersacher des Traiskirchner Bürgermeisters im Reich von Hans Peter Doskozil gegangen.
„Babler profitiert derzeit auch nach innen hin von der Schwäche der politischen Gegner“, sagt ein roter Spitzenfunktionär: „So sehr die türkisen Strategen auch rudern, Nehammer kommt nicht mehr vom Fleck. Die Marke ÖVP ist hin.“
Die Aussicht der FPÖ auf Platz eins stellt zwar kein SPÖ-Stratege unter vier Augen in Frage. Die in Umfragen prognostizierten rund 30 Prozent werden freilich bezweifelt.
„Früher war die FPÖ wegen mangelnder Bekennerfreude unterbewertet. Da die meisten Umfragen online erhoben werden, ist sie heute aber überbewertet. Die Welt der Social Media hat abseits von X durch die vielen Telegram-Kanäle einen Rechtsdrall und ist daher nicht repräsentativ“, sagt der SPÖ-Insider.
Umfragen: Babler linker als die Kommunisten
Der ehemalige Juso- und nunmehrige Bundesparteichef Andreas Babler muss hingegen damit leben, inzwischen in Umfragen linker als die heimischen Kommunisten wahrgenommen zu werden.
Die Bableristen in der Löwelstraße sind daher emsig bemüht, den aggressiv Fäuste ballenden „Andi“ Richtung Mitte als adrett händereichenden „ Andreas“ zu positionieren. Babler lässt jüngst in Interviews gerne fallen, dass er sich regelmäßig mit CEOs heimischer Unternehmen trifft.
Mitte April nahm Babler, bald ein Jahr nach seiner Kür zum Parteichef, eine offene Einladung des Vorstands der Industriellenvereinigung zu einem vertraulichen Austausch an. „Er ist in der Arbeitszeitfrage durchaus auch hart, aber sachlich fair angefasst worden“, resümiert ein teilnehmender Beobachter: „Er hat seinerseits auch hervorgehoben, wie wichtig ihm in seiner Zeit als Kommunalpolitiker Betriebsansiedlungen waren. Babler war insgesamt bemüht, zu demonstrieren, dass er nicht der Gottseibeiuns der Wirtschaft und Industrie ist und sein will.“
Zuvorderst als Good-Will-Signal an die Wirtschaftswelt war auch der milliardenschwere Transformationsfonds gedacht, für den Babler seit Wochen Stimmung zu machen sucht. Dieser „Trafo-Fonds“ kam anfangs freilich als altlinker Verstaatlichungsplan an und drohte das Marxisten-Image Bablers zu verfestigen. Inzwischen wurde die Fondsidee nachjustiert und wird als Anschub-Finanzierung für Start-ups angepriesen.
Anleihe bei Bruno Kreisky, Posieren mit Bernie Sanders
Noch schwer tun sich Babler & Co. auch damit, das Erfolgsrezept von Bruno Kreiskys 1.400 Experten als Glaubwürdigkeitsturbo zu reanimieren. Für Babler, so die SPÖ-Zentrale, würden sich bislang „350 Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Fachleute aus Institutionen und Verwaltung und Expertinnen und Experten aus der Berufspraxis“ den Kopf zerbrechen. Die Ergebnisse sollen stückweise bis zur Wahl präsentiert werden, „vor allem aber in den SPÖ-Teil des Regierungsprogramm einfließen“, so ein Babler-Berater.
Bis dahin ist es aus vielerlei Gründen noch ein weiter Weg. Eine der Hürden wird am Rande des SPÖ-Parteitags einmal mehr schlaglichtartig sichtbar. Ein lang jähriger Aktivisten-Freund aus der Links-Szene eilt auf Babler am Saaleingang zu, drückt ihm ein Buch in die Hand, um damit gemeinsam für einen Handyschnappschuss zu posieren. Es ist das neueste Buch des Heros der US-Linken, Bernie Sanders. Titel: „Es ist okay, wütend auf den Kapitalismus zu sein.“
Michael Ludwig und Doris Bures, mit denen Babler hier Stunden zuvor auf den gemeinsamen Einzug gewartet hatte, hätten ein derartiges Bild höflich, aber bestimmt vermieden. Bablers Social-Media-Team freut sich sichtlich über die jüngste optische Fanbeute. Der Schnappschuss, Babler als Werbe-Ikone für „Es ist okay, wütend auf den Kapitalismus zu sein“ landete im Umfeld des Parteitags allerdings noch auf keinem der roten Social-Media-Kanäle. Die Aufnahme musste offenbar noch eine interne Entscheidungsschleife nehmen, ob diese Botschaft zum gewünschten Imagetransfer des aggressiven „Andi“ zum adretten „Andreas“ passt.
Artikel aus der trend. EDITION vom April 2024
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