Sebastian Kurz an der Klagemauer in Jerusalem 2016. Heute betreibt er mit Partnern ein Start-up in Tel Aviv.
©Daniel BiskupWarum Unternehmer und Ex-Kanzler Sebastian Kurz trotz des Hamas-Terrors glaubt, dass die jüngste Annäherung zwischen Israel und den arabischen Nachbarstaaten unumkehrbar ist. Und was die Eskalation für seine Geschäfte in Israel bedeutet.
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Sie haben das Massaker der Hamas mit mehr als tausend Opfern in Israel mit 9/11 verglichen. Nach 9/11 riefen die USA den "Krieg gegen Terror" aus und marschierten im Irak ein. Schlittert Israel ähnlich wie damals nun in Gaza in einen langen Krieg, der zum Brandsatz für die ganze Region werden könnte?
Der Terroranschlag der Hamas ist für Israel vergleichbar schlimm wie 9/11 für die USA. Seit der Shoah wurden an einem einzigen Tag nicht so viele Juden getötet wie an diesem 7. Oktober. Dazu kommt dieses unvorstellbare Maß an Grausamkeit: Dass die Hamas Babys köpft, Schwangeren den Bauch aufschneidet, Kinder mit Down-Syndrom bei lebendigem Leib verbrennt. Das ist alles schwer in Worte zu fassen und schon gar nicht auszuhalten. Die Hamas ist und bleibt eine massive Bedrohung der Menschen in Israel und auch bei uns.
Das heißt, der Einmarsch Israels in Gaza ist alternativlos?
Es sind noch immer Hunderte Geiseln in Händen der Hamas, und es ist daher notwendig, alles zu versuchen, um sie zu befreien. Es ist auch notwendig, die Hamas zu bekämpfen und zu vernichten, weil ein sicheres Leben für Juden in Israel, aber auch in Europa nicht möglich sein wird, solange es solche Terrororganisationen gibt. Natürlich gibt es die Sorge, dass dieses notwendige Vorgehen gegen die Hamas zu einer weiteren Eskalation in der Region führt. Und der Iran direkt oder indirekt über die Hisbollah im Libanon in den Krieg einsteigt. Als jemand, der sehr viel Zeit in der Region verbringt und sehr viele Freunde dort hat, hoffe ich natürlich, dass diese Eskalation zu keinem Lauffeuer wird.
Der britische "Economist" sagt: Die Hamas kalkuliert mit der Eskalation nach dem Muster von 9/11 im Irak, das zu einem neuen Nährboden für den IS wurde.
Das ist ja auch der Hintergrund für den brutalen Terrorangriff. Der Hamas ist es ein Dorn im Auge, dass die Region mit den Abraham Accords zusammengerückt ist. Es haben Israel und viele arabische Staaten in der Region nicht nur Beziehungen aufgebaut, sondern ein gutes Miteinander entwickelt. Das ist in einer unvorstellbaren Geschwindigkeit vorangeschritten. Die Hamas versucht alles, um da zu spalten. Dass westliche Medien Falschinformationen der Hamas, einer Terrororganisation, rund um die Explosion in einem Spital in Gaza übernimmt, als wären das legitimierte Nachrichten, über die es gilt, sachlich zu berichten, dreht mir den Magen um. Das Ziel der Hamas ist kein friedliches Miteinander im Nahen Osten. Das Ziel der Hamas ist das Töten der zehn Millionen Juden, die dort leben.
Der ÖVP-Außenpolitiksprecher Martin Engelberg sagte jüngst im Parlament: "Die Hamas ist schlimmer als die Nationalsozialisten." Hat er recht? I
Ich schätze Martin Engelberg überaus für alles, was er politisch in Österreich leistet, wie er die Beziehungen Österreichs mit Israel vorantreibt und für sein Engagement im Kampf gegen Antisemitismus. Wenn ich die Bilder der unglaublichen Grausamkeit sehe, die sogar noch den IS übertrifft, dann fehlen mir selber fast die Worte. Was man sagen kann, ist, dass die Grausamkeit, die wir durch den IS erlebt haben, hier noch einmal gesteigert wird. Ich finde es daher mehr denn je notwendig, dass in den Medien auch in Europa das, was da passiert, richtig eingeordnet wird. Es geht hier nicht um Juden gegen Palästinenser. Es geht hier nicht darum, ob man Verständnis für die Schwierigkeiten vieler Palästinenser hat. Es gibt viele Palästinenser, die kein Verständnis für das Vorgehen der Hamas haben. Auch die Autonomiebehörde der Palästinenser hat sich distanziert.
Sie wurden vor einem Jahr als einziger europäischer Vertreter in den Beirat des Abraham Accords Peace Institutes berufen. Das unter der Schirmherrschaft Donald Trumps abgeschlossene Abkommen zwischen Israel mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Sudan und Marokko hat die Normalisierung der Beziehung zwischen diesen Ländern zum Ziel. Die Anzeichen standen mit der Eröffnung von Direktflügen und dem Aufbau von diplomatischen Beziehungen gut. Ist damit jetzt wieder Schluss?
Die Situation ist, mitgeprägt durch die Verbreitung von Falschinformationen, extrem heikel. Die Führung in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrein betreibt aber weiterhin eine sehr besonnene Politik für den Frieden in der Region. Diesen starken Willen für ein friedliches Zusammenleben und die Überwindung alter Trennlinien halte ich für eine gute Basis, dass sich mittel- und langfristig auch weiterhin die Dinge in die richtige Richtung entwickeln.
Dieser Wunsch nach Zusammenarbeit wird und kann die Eskalation mit Terror und Krieg politisch tatsächlich überleben?
Abraham Accords-Partner Saudi- Arabien war zuletzt nicht einmal mehr bereit, US-Präsident Joe Biden bei seiner jüngsten Nahost-Tour zu einem Besuch zu empfangen. Es gab im letzten Jahr eindeutige Schritte von Saudi-Arabien, die wesentlich stärker und rascher waren, als ich mir hätte vorstellen können. Daher gehe ich davon aus, dass der Wille zu einem friedlichen Miteinander über religiöse und staatliche Grenzen hinaus weiter bestehen bleibt. Die heikle Situation, die jetzt herrscht, ändert ja nichts am Grundzugang derAkteure. Daher habe ich nicht nur die Hoffnung, sondern auch das Vertrauen, dass es dabei mittel-bis langfristig bleibt.
Mittel- bis langfristig heißt umgekehrt, dass wir auf Sicht mit Monaten, wenn nicht Jahren weiterer Eskalation im Nahen Osten rechnen müssen?
Niemand kann im Moment abschätzen, wie sich die nächsten Monate entwickeln. Aber wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass es dem Iran gelingt, einen Krieg in der Region zu entfachen.
Sie sind seit zwei Jahren Unternehmer mit Büros in Tel Aviv und Abu Dhabi. Was bedeutet die Eskalation in Nahost für Ihre Geschäfte und Expansionspläne?
Wirtschaftlich haben sich die Dinge sehr gut entwickelt, dafür bin ich sehr dankbar. Das ist im Moment aber nicht das Relevanteste. Das ist vielmehr die Situation von Freunden und Kollegen in Israel: weil sie von Terroristen bedroht wurden und fliehen mussten. Weil sie selbst als Reservisten in die Armee einberufen wurden oder ihre Söhne und Töchter mit 19 zum Militärdienst eingerückt sind. In Israel ist jede Familie direkt oder indirekt von den Folgen des Hamas-Terrors betroffen. Da merkt man, was wirklich relevant ist im Leben.
Der Start des Verfahrens gegen Sie wegen falscher Zeugenaussage wurde auch international breit registriert. Müssen Sie bei einer Verurteilung nicht auch um Ihren Ruf als seriöser Geschäftsmann fürchten?
Ich habe in meinem politischen Leben so viel an Angriffen erlebt und überlebt, dass auch hier gilt: Es ist gibt Menschen, die mich schätzen, und solche, die mich ablehnen. Das ist gestern so gewesen, das ist heute so, und das wird auch morgen so sein. Ich persönlich bin zuversichtlich, dass sich auch vor Gericht erweist, dass diese Vorwürfe gegen mich falsch sind.
Wie haben Sie die ersten Prozesstage im Gerichtssaal erlebt?
Das wird vielleicht überraschen: Aber es ist nach zwei Jahren Vorwürfen, die medial rauf und runter breitgetreten wurden, ein gutes Gefühl, wenn man selbst einmal seine Sicht der Dinge öffentlich darlegen darf. Ich stelle mich dieser Diskussion, warum ich zum Beispiel "Ich war informiert" und nicht "involviert" gesagt habe, sehr gerne. Nachdem diese politische Diskussion aufgrund einer Anzeige der NEOS nun zu einer strafrechtlichen wurde, bin ich zumindest froh, die Gelegenheit zu haben, das im Gerichtssaal darzulegen. Dass ich den Trend, mit Anzeigen Politik machen zu wollen, aber generell nicht gut finde, ist, glaube ich, mittlerweile bekannt.
Interview aus der trend. PREMIUM-Ausgabe vom 27.10.2023