Die Spitzenkandidaten versprechen Dinge, die sie nach der Wahl nicht halten können. Das kostet weiter Glaubwürdigkeit.
DIE WÄHLER SIND FRUSTRIERT, das Vertrauen in Politiker und die Zustimmung zur aktuellen Regierungs- wie Oppositionspolitik ist laut Umfragen im freien Fall. Diese Untergangsstimmung befeuert die sozialen Medien, aber auch die Parteien selbst: Die jeweils anderen sind korrupt, völlig unfähig, machen eine falsche und ungerechte Politik, schachern mit Ämtern, verschwenden Steuergelder. Das ist eine Verhöhnung der Bevölkerung, die sich das Leben ohnehin kaum noch leisten kann. Die Mieten sind zu teuer, die Steuern zu hoch, die Löhne und Gehälter zu niedrig, die Arbeitszeit ist zu lang, der Urlaub zu kurz.
Alles ist schrecklich. Und Herbert Kickl erstellt bereits Fahndungslisten.
Der Wahlkampf ist nicht einmal noch offiziell gestartet und schon sind die wechselseitigen Anwürfe der Parteien an Giftigkeit kaum zu überbieten. Dabei beziehen sie erst Position und präsentieren ihre höchst unterschiedlichen Programme für Österreichs Zukunft.
Verwirklichen sollen das wahlweise der amtierende Bundeskanzler, der Reformkanzler oder der Volkskanzler. Die Wahl wird zum Kanzlerduell stilisiert, ungeachtet der Tatsache, dass nicht der Kanzler, sondern Parteilisten mit einem Kandidaten an der Spitze gewählt werden. Eine Direktwahl des Bundeskanzlers ist der Verfassung nicht bekannt. Kanzler wird, um es genderneutral auszudrücken, jene Person m/w/d, die das Vertrauen der Mehrheit des Nationalrates erreicht. Das markiert übrigens auch die politischen Grenzen des Bundespräsidenten im Zuge der Regierungsverhandlungen und bei der Ernennung des Regierungschefs.
Das geltende Verhältniswahlrecht erschwert absolute Mehrheiten und zwingt die Parteien zu Koalitionen. Diese aber schließen derzeit die Duellanten wechselseitig kategorisch aus. Nicht mit dieser ÖVP, schon gar nicht mit der FPÖ, ganz sicher nicht mit Kickl, nur ohne/mit Vermögenssteuern, ohne/mit Erbschaftssteuer. Keine Koalition ohne Bekenntnis zur EU, zu Neutralität und Bargeld, zu Steuersenkungen und einer Bildungsoffensive. Nur wenn alles so wird, wie wir wollen, wird koaliert.
Hielten sich die Parteien nach der Wahl tatsächlich an ihre vollmundigen Ankündigungen, gäbe es keine Regierung. Also werden sie, selbst wenn sie (darnieder-)liegen, umfallen (müssen). Salzburg und St. Pölten grüßen.
Genau diese Torheiten der Wahlkämpfer demolieren aber jegliche Glaubwürdigkeit der Politik und ramponieren letztlich das gesamte demokratische System.
Es ist kein Zufall, dass die politischen Ränder Zulauf haben und die allgemeine Politikverdrossenheit auch Spaßparteien, die zu Marketing für eine Band gegründet wurden und es jetzt ernst meinen, Chancen auf den Einzug ins Parlament bietet. Selbst noch immer bekennende Kommunisten dürfen sich auf Wahlerfolge in Stadt und Land Hoffnungen machen. Gar nicht zu reden von den extremen Freunden einer Remigration genannten Massenausweisung von missliebigen Fremden.
DIE AKTUELLEN DEMONSTRATIONEN besorgter Bürger gegen die extreme Rechte sind notwendig und richtig, können aber eine engagierte und vor allem effektive Politik der Mitte, die den dringenden Wählerwunsch nach Problemlösung erfüllt, nicht ersetzen.
Genau hier offenbart sich das Dilemma einer liberalen Demokratie, die auf Interessenausgleich angelegt ist. Das ist mühsam, dauert oft viel zu lange und bringt häufig auch nicht das gewünschte Maximalergebnis. Das macht die Wähler ungeduldig und unzufrieden.
Populisten von links wie rechts bieten stets ganz einfache Lösungen für komplexe Probleme, verhöhnen die Regierenden als Schwächlinge, spielen mit dem Abbau demokratischer Rechte und berufen sich auf die vielen von uns da unten oder den Volkswillen, was immer das sein mag.
Laut aktuellen Umfragen hat eine deutliche Mehrheit der Wähler sehr konkrete Wünsche: Maßnahmen für Gesundheit und Pflege, Sicherung der Sicherheit und des Wohlstands rangieren ganz oben, danach kommen Energiepolitik, Klimaschutz und Fragen der Migration.
Das ist ein Pflichtenkatalog, den sich die Spitzenkandidaten samt Parteien ohne großartige ideologische Befrachtung widmen sollten. Die Wähler wünschen Klarheit statt wolkigen Wortgeklingels.
Der Artikel ist aus trend.PREMIUM vom 9. Februar 2024.
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