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Einmal Reformen mit alles, bitte

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Gastkommentar. Ohne Neustart der Politik und Neuordnung der Institutionen wird die EU international weiter an Einfluss verlieren.

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DIE EUROPAWAHL IST GESCHLAGEN – und damit auch die EU. Gewählt wurden ausschließlich nationale Kandidaten und das nach völlig unterschiedlichen Wahlsystemen. Transnationale Listen und gesamteuropäische Kandidaten sind bei der EU-Wahl nicht vorgesehen.

Abgestimmt wurde europaweit von bloß knapp der Hälfte der Wahlberechtigten über jeweils heimische Politiker und nationale Probleme, auch wenn diese in vielen Fällen in ganz Europadeckungsgleich sind: Migration, Teuerung, Soziales sowie innere wie äußere Sicherheit. Verteilt wurden aber nationale Denkzettel. Das Ergebnis der EU-Wahl ist die Summe von 27 nationalen Abrechnungen mit den jeweiligen Regierungen.

Die Schwächeanfälle Europas sind längst nicht mehr zu übersehen.

Europa- und Innenpolitik sind siamesische Zwillinge.

Das zeigt sich in Frankreich, wo der deutliche Ruck nach rechts ins nationale Abseits führte. Die rasche Parlamentswahl sollte Emanuel Macron die Schmach der Cohabitation mit einem politisch andersgläubigen Premier ersparen.

Das ist gründlich schiefgegangen und wird die EU weiter destabilisieren.

In Deutschland markiert die EU-Wahl das Ende der chaotischen Ampelkoalition, auch wenn sich Olaf Scholz oder ein Nachfolger wahrscheinlich noch bis zur Herbstwahl im kommenden Jahr an der (Ohn-)Macht halten wird.

Damit sind die beiden europäischen Machtzentren deutlich geschwächt, der EU droht in zukunftsentscheidenden Fragen eine Zuschauerrolle.

Abgemeldet im globalen Machtspiel zwischen den vom drohenden Comeback Donald Trumps und seinen Rabiat-Republikanern gelähmten USA, dem aggressiven Imperialismus Russlands, dem wirtschaftlich anstürmenden kapitalistischen Kommunismus Chinas und den wachsenden Ansprüchen des globalen Südens.

Die Schwächeanfälle Europas sind längst nicht mehr zu übersehen. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit sinkt, der Euro verliert gegenüber dem Dollar (leicht, aber doch) als Weltwährung, die schleichende Deindustrialisierung schreitet voran, die Inflation und der Zwang zu massiven Investitionen in Infrastruktur, Energietransformation und Verteidigung gefährden den Wohlstand. Das alles stört das schöne Narrativ vom stets steigenden Wohlstand.

Die erfolgreiche Erzählung von der EU als Hort der Sicherheit und einzigartiges Friedensprojekt hat Wladimir Putin in der Ukraine weggebombt.

Allen offiziellen Erklärungen zum Trotz ist die Ukraine-Politik der Union bloß Ergebnis von mühsam ausgehandelten Kompromissen, die bisweilen nur möglich sind, weil interne Widerstände der Putin-Versteher mit viel Geld weggekauft werden. Der Rechtsruck bei der Wahl ist eine zusätzliche Belastung für die künftige Eindämmungspolitik gegenüber Russlands Aggressionen gegen Europa und den gesamten Westen.

Die sogenannte demokratische Mitte von Europäischer Volkspartei, Sozialdemokraten und den (geschwächten) Liberalen wird ihre Mehrheit in der kommenden Legislaturperiode für einen politischen Neustart und massive Reformen einsetzen müssen. Hoffentlich reicht der politische Mut.

Die dringende Notwendigkeit, den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Klimaneutralität zu forcieren und die aktuell starken nationalen Widerstände gegen wesentliche Teile des „Green Deals“ zeigen eines der Kampffelder der nächsten Jahre.

„Europa, aber besser“ ist eine putzige Formel für den notwendigen Anspruch, die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sicherheits- und integrationspolitischen Herausforderungen zu meistern. Ganz zu schweigen von der Notwendigkeit wieder an Innovationskraft zu gewinnen, um International mitzuspielen. Schutzzölle und weitere kleinteilige bürokratische Auflagen werden die Situation nicht verbessern.

Dringend notwendig auch, das Institutionengeflecht der Union, das in den 50er-Jahren entwickelt wurde, zu reformieren. Damals hatte die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sechs Mitgliedsstaaten. Trotz aller tiefgreifenden Reformen der Verträge von Rom bis Lissabon erweist sich die Konstruktion als anfällig für lähmende Differenzen und politische Irrläufe. (Siehe etwa die Anerkennung Palästinas durch Spanien und Irland.)

Die innere Lähmung wird sich wohl gleich nach der Übernahme des Ratsvorsitzes durch Ungarn ab 1. Juli in aller Deutlichkeit zeigen.

Es ist Zeit, zu handeln.

Der Gastkommentar ist trend. PREMIUM vom 12. Juli 2024 entnommen.
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EU-Politik

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