
Die Irin Mairead McGuiness, bis vor Kurzem EU-Finanzkommissarin, über Fehler rund um den Green Deal, die Kapitalmarktunion – und die Gründe für den erstaunlichen Boom in ihrem Heimatland.
trend: Sie waren EU-Finanzkommissarin in der ersten Amtszeit von Ursula von der Leyen. Geht die nun vorgestellte Reform des Green Deal, der Clean Industrial Deal, in die richtige Richtung?
Mairead McGuiness: Seit der Einführung des Green Deal – und dessen Fokus auf Nachhaltigkeit – hat sich die Welt verändert: die Pandemie, Ukraine-Krieg, die neue US-Regierung. Es wäre nicht klug, an einem fünf Jahre alten Plan festzuhalten, ohne die heutige Realität zu berücksichtigen. Jetzt steht Wettbewerbsfähigkeit ganz oben auf der Agenda, aber das bedeutet nicht, dass Nachhaltigkeitsbemühungen aufgegeben werden, denn wir müssen uns weiterhin mit dem Klimawandel und der Umweltzerstörung auseinandersetzen. Die Ziele und Vorgaben des Green Deal haben sich nicht geändert, aber der Weg zu ihrer Umsetzung entwickelt sich weiter.
Es sieht eher nach Rückwärtsgang aus.
Die EU-Bürger unterstützen die Ziele zur Bekämpfung des Klimawandels und des Biodiversitätsverlustes, haben aber Bedenken hinsichtlich der Maßnahmen, die zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sind. Daher müssen wir uns noch stärker bemühen, die Leute besser mitzunehmen. Das Pendel des Green Deal schwingt nun zurück zu einem ausgewogeneren Umsetzungsplan mit dem Fokus darauf, wie wir unsere Wirtschaft und Gesellschaft rechtzeitig in Richtung größerer Nachhaltigkeit transformieren können. Resilienz muss dabei im Mittelpunkt stehen. Wichtig ist, dass wir die Ziele erreichen, und am besten tun wir das mit weniger Ideologie und mehr Pragmatismus.
Gab es Fehler in der Kommunikation?
Die meisten Menschen haben nicht erkannt, wie schwierig der Übergang zu mehr Nachhaltigkeit sein würde. Heute braun, morgen grün – das war eine recht gewagte Vorstellung. Dabei bedeutet der Green Deal harte Arbeit und ständige Reality Checks. Vielleicht gab es da und dort zu viel erhobenen Zeigefinger. Wir haben sehr viel unterschwellige Unzufriedenheit gesehen – und noch gefährlicher: Wut in der Agrarcommunity. Wenn man dann aber mit einzelnen Bauern spricht, will jeder, dass der eigene Bauernhof floriert, dass das Wasser nicht verschmutzt ist, dass die Luft sauber ist, dass nachhaltig gewirtschaftet wird.
Wettbewerb kann nur auf einem Spielfeld funktionieren, auf dem die gleichen Regeln für alle gelten. Derzeit dreht sich die Welt in eine andere Richtung: Macht statt Regeln, Zölle statt fairen Wettbewerbs. Warum dieses Versteifen auf Wettbewerbsfähigkeit?
Diese Frage trifft den Kern des Problems. Die Energiepreise bereiten den meisten Unternehmen große Sorgen, die Kommission ist sich dessen bewusst. Sie hat Maßnahmen vorgeschlagen, um diese Belastung zu verringern – das ist zu begrüßen. Unsere Unternehmen wünschen sich Planbarkeit und Stabilität, auch bei den Regulierungen. Gleichzeitig wollen sie, dass die EU auf die sich verändernde globale Situation reagiert. Zur Wettbewerbsfähigkeit gehört auch Vertrauen, dass wir im globalen Wettbewerb bestehen können. Energie spielt dabei eine Schlüsselrolle. Die neue US-Regierung kümmert sich weniger um Klima- und Umweltfragen, aber nicht alle globalen Akteure handeln so. Wir müssen uns stärker darauf konzentrieren, wie die EU Führung übernehmen und auf die Sorgen der Unternehmen zur Wettbewerbsfähigkeit eingehen kann. Und wir müssen über Geld sprechen – das Geld, das für den Übergang benötigt wird.
Sie meinen das Geld, das auf Sparkonten liegt, aber nicht investiert wird?
Die Europäer sind ausgezeichnete Sparer, aber schlechte Investoren. Österreicher beispielsweise sparen enorme Summen, investieren das Geld aber aus einer generellen Vorsicht nicht. Das Potenzial, europäische Ersparnisse als Investitionen freizusetzen, ist erheblich. Wir können es uns nicht leisten, weitere führende Unternehmen zu verlieren, die in den USA an die Börse gehen. Wir finanzieren Start-ups und haben viele innovative Start-ups in Europa, aber wir unterstützen sie nicht in der Skalierungsphase – und genau dann zieht es sie in die USA. Was es jetzt braucht, ist starkes politisches Leadership, um das Potenzial zu entfalten und das brachliegende Kapital zu investieren.
Die Kapitalmarktunion ist alles andere als sexy. Welche konkreten Schritte wären da zu machen?
Genau das ist das Problem. Die meisten Leute sprechen nicht täglich darüber – es ist nicht in ihren Köpfen präsent. Und als Bürgern ist uns oft nicht bewusst, welche Auswirkungen die vollständige Öffnung des Kapitalbinnenmarkts hätte. So sehr es starke politische Führung auf höchster Ebene braucht, so entscheidend ist es auch, dass die Bürger ihre politischen Vertreter dazu ermutigen, klare Prioritäten für Investitionen zu setzen. Es gibt eine Zeit für schöne Worte, und es gibt eine Zeit für Taten. Diese Zeit ist jetzt. Entscheidend ist, dass „European first“, zuerst europäisch, gedacht wird. Das ist derzeit nicht durchgängig der Fall.
Zur Person
Mairead McGuiness war ab 2004 EU-Parlamentarierin und ab 2020 Finanzmarkt-Kommissarin. Sie ist mit Armin Laschet Co-Vorsitzende des strategischen Beirats des Forums Alpbach.
Braucht die EU also doch eine Kerngruppe, die voranmarschiert?
Idealerweise ziehen alle mit. Aber ich bin nicht gegen die Idee einer Kerngruppe. Wenn einige vorangehen, ziehen die anderen vielleicht mit. Entscheidend ist, dass wir genug Fleisch am Knochen haben. Noch sieht man nicht viel Fleisch.
Ihr Heimatland Irland glänzt mit einem satten Budgetplus, einem prognostizierten Wachstum von über drei Prozent etc. Wie geht das?
Die irische Wirtschaft ist derzeit stark, das stimmt. Wir sind dennoch vorsichtig, wir haben die Härten der Finanzkrise 2008 erlebt und in dieser Zeit viele Iren an andere Weltteile verloren. Unser großes Asset ist, dass es politische Stabilität gibt. Wir schaffen es, Regierungen zu bilden. Zudem haben wir ein hervorragendes Bildungssystem, sprechen Englisch und haben Zugang zum europäischen Binnenmarkt.
Die hohe Abhängigkeit von Big Tech aus den USA – Apple, Facebook etc. – ist kein Problem für Irland?
Es ist eher eine Herausforderung als ein Problem. Es wird kontinuierlich daran gearbeitet, unsere einheimischen Branchen zu stärken. Unser Ziel ist es, den KMU-Sektor zu fördern, damit er aktiver am europäischen Binnenmarkt teilnehmen kann. Der Fokus auf ausländische Direktinvestitionen bleibt bestehen, da sie dazu beigetragen haben, das Land in mehreren Schlüsselbranchen zu stärken.
Es ist Zeit für Taten, haben Sie gesagt. Wie ist in Europa politische Stabilität zu erreichen?
Stabilität bedeutet nicht, dass es keine Meinungsverschiedenheiten gibt. Aber es gibt nichts Schlimmeres als den Eindruck von Stillstand. Der mutmaßlich nächste deutsche Bundeskanzler, Friedrich Merz, spricht von europäischer Einheit und Handlungsfähigkeit – das ist zu begrüßen. Die Zeit dafür ist jetzt.