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Ex-EU-Kommissar Hahn: „Bis zum Sommer wird es ordentlich scheppern"

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11 min
Ex-EU-Kommissar Johannes Hahn im trend-Interview©trend/Lukas Ilgner
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Der ÖVP-Politiker über die richtigen Antworten auf Donald Trumps Zölle, Bürokratie in Europa und die dreimal ungenutzte Chance der FPÖ.

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Wie soll sich die EU aus Ihrer Sicht jetzt gegenüber Trump positionieren?

Johannes Hahn

Er will ein Dealmaker sein, das ist sein habitueller Zugang. Also müssen wir schauen, welche Gegenpositionen wir aufbauen können. So wie das Juncker 2017 gemacht hat. Nach einem Treffen in Washington war der Herr Trump ganz handzahm. Man muss ein Drohpotenzial haben und klarstellen, dass man es auch nutzen würde – etwa die Digitalsteuer, die natürlich vornehmlich US-Konzerne treffen würde. Ich bin zwar immer skeptisch bei neuen Abgaben, aber diese Steuer wäre durchaus argumentierbar, auch um einen Ausgleich zwischen On- und Offline zu schaffen. Abgesehen davon, dass sich in den USA jetzt offenbar die politische mit der digitalen Macht verbündet hat, Stichwort Elon Musk, der sich auch noch ungeniert in die euro-päische Politik einmischt.

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Braucht es darauf harte Antworten aus Europa?

Johannes Hahn

Zunächst vertraue ich darauf, dass es bald einen fundamentalen Clash zwischen Trump und Musk gibt. Denn das sind zwei Alphatiere, die sich gegenseitig die Welt erklären. Was nicht gutgehen kann. Ich glaube, dass es bis zum Sommer ordentlich scheppert. Was den Digitalbereich generell anbelangt, müssen die europäischen Regulative legistisch adaptiert werden, um dieser Auswüchse Herr zu werden. Es ist inakzeptabel, dass ein Unternehmer mit seiner ganzen Macht versucht, auf demokratische Strukturen in anderen Ländern Einfluss zu nehmen. Der Glaube von Musk, er könne die Welt regieren, erinnert mich an manche James-Bond-Filme. Was offline gilt, muss auch online gelten. Ansonsten wird das Internet nicht zur Befreiung der Welt, sondern zum Gegenteil beitragen. In Indonesien oder Rumänien haben TikTok-Kampagnen die Präsidentschaftswahlen entschieden. Auch der Erfolg der FPÖ ist wesentlich darauf zurückzuführen, dass man frühzeitig auf Social Media gesetzt hat.

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Bleiben wir noch kurz bei den USA. Wie könnte der ökonomische Rückfall Europas gegenüber Amerika oder auch Asien eingebremst werden?

Johannes Hahn

Der Inflation Reduction Act der USA hat einen Boost ausgelöst, weil er Steuergestaltungsmöglichkeiten bietet, die zielgerichteter und schneller funktionieren als Maßnahmen im Green Deal der EU. In diese Richtung sollten wir radikaler und schneller umdenken. Ich habe das nie verstanden: In vielen Mitgliedsstaaten herrscht Angst, dass Länder wie Deutschland eine stärkere Feuerkraft haben, ihre Volkswirtschaften zu unterstützen. Aber das gilt für Subventionen bzw. Beihilfen viel eher als für steuerliche Anreize. Auf Einnahmen, die vorher nicht da waren, können auch weniger finanzkräftigen Staaten leichter verzichten. Außerdem könnte Europa die Umsetzung guter Forschungsergebnisse in Business Cases verbessern.

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Zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit enthalten die Reports von Mario Draghi und Enrico Letta luzide Erkenntnisse. Wird die neue EU-Kommission davon etwas umsetzen?

Johannes Hahn

Ich habe sogar vorgeschlagen, die Herren Draghi und Letta vor Beginn der Gespräche über die Dreierkoalition nach Wien einzuladen, um den Verhandlern ihre Erkenntnisse zu präsentieren. Dem ist man nicht nahegetreten. Auf EU-Ebene werden diese Reports sehr wohl die Agenda der nächsten Monate bestimmen. Zum Beispiel gibt es das Bekenntnis zu Energie- und Kapitalmarktunion. Auch die Möglichkeit, durch Fusionen leichter große europäische Player schaffen zu können, wird ein Thema sein. Man wird daraus lernen, dass wir unsere Telekomindustrie ruiniert haben, weil das versäumt wurde.

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Die EU ist kein Bürokratiemonster?

Johannes Hahn

Ich glaube nicht. Sie hat nur das Image. Es ist eher so, dass die meisten Regelungen bottom-up von Interessensgruppen getrieben werden. Wir haben vor rund zehn Jahren über 1.000 Regelungen ersatzlos gestrichen, darunter die berühmte Gurkenkrümmung. Mir ist nicht bekannt, dass so eine Initiative in Österreich oder in einem anderen Land lief. Dass ich jetzt über vier Wochen brauchte, um mein Auto von einem belgischen Kennzeichen auf ein österreichisches umzumelden, lag primär an den hiesigen Behörden. Laut diversen Studien liegt das Einsparungspotenzial durch Vereinfachungen in Europa bei 200 bis 450 Milliarden pro Jahr, wenn beispielsweise ein Produkt nur einmal für ganz Europa zugelassen werden muss. Bei der EU-Kommission ist diese Awareness da, und es werden auch Vorschläge in diese Richtung kommen.

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Die von Rechtsparteien à la FPÖ getriebene EU-Skepsis, die sich auf einem Höhepunkt befindet, liegt vor allem an der Ablehnung der Migrationspolitik. Wie sieht die Gegenstrategie aus? Und wird der jetzt dafür zuständige Kommissar Magnus Brunner da etwas ausrichten können?

Johannes Hahn

Wir haben jetzt acht Jahre den Migrations- und Asylpakt verhandelt. Es ist seine Aufgabe, den umzusetzen. Das wird nicht ohne Konflikte vonstattengehen. Aber Magnus Brunner ist ja praktisch auch der Innenminister Europas, zuständig für alle polizeilichen Tätigkeiten. Kriminalitätsbekämpfung ist ein Feld, wo ein weitgehender Konsens zwischen den Mitgliedstaaten herrscht. Hier kann man schnell Erfolge erzielen, was wiederum wichtig ist für das Standing. Wie effizient Rückführungsabkommen umzusetzen sein werden, kann ich noch nicht beurteilen. Wobei meine These immer war, dass der Schutz der Außengrenzen weit vor den Außengrenzen beginnt. Europa muss sich insbesondere in Afrika für Lebensbedingungen engagieren, die die Leute nicht zwingen, zu emigrieren.

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Reicht das? Viele Menschen geben der EU die Schuld, dass aus ihrer Sicht zu viele Ausländer da sind …

Johannes Hahn

Das liegt aber nicht zuletzt an verschiedenen nationalen Akteuren, die Misserfolge gerne europäisieren. Das wirkt sich dann auf die Stimmungslage aus. Wir haben immer gesagt: Hätten wir eine EU-Zuständigkeit für Migration, wäre manches nicht so passiert, wie es passiert ist. Es gibt drei potenzielle Migrationsströme: Westeuropa, zentrales Mittelmeer, Osteuropa. Und die wechseln. Die Staaten, die gerade weniger betroffen sind, ducken sich regelmäßig weg. Das verschärft die Probleme. Mit dem Migrations- und Asylpakt hoffe ich, dass sich eine gesamtheitlichere Sichtweise entwickelt, die letztlich dazu führt, dass man die Dinge besser beherrscht. Auf einem anderen Blatt steht die mangelnde Integration in Österreich, die Thema in den Regierungsverhandlungen sein muss. Hätten wir einen klaren Fokus auf die Integrationsbemühungen und damit verbundene Pflichten, wäre die Akzeptanz gegenüber gesteuerter Migration größer – die wir angesichts der demografischen Entwicklung dringend brauchen. Die Leute müssen das Vertrauen zurückgewinnen, dass wir Migration staatlicherseits kontrollieren können.

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Rechtsnationalistische Parteien haben quer durch Europa Zulauf. Soll man die jetzt mal regieren lassen und schauen, was sie zusammenbringen? Mit dem Risiko, dass dabei viel kaputt geht? Oder sind Sie für eine Brandmauer, wie sie in Deutschland gegenüber der AfD diskutiert wird?

Johannes Hahn

Allen diesen Parteien ist gemeinsam, dass sie Slogans produzieren, aber keine Lösungen. Sind sie in einer Regierung, müssen sie Lösungen bieten. Das ist jetzt keine Aufforderung, dass alle regieren sollen. Aber wenn es unvermeidbar ist, dann müssen sie einen Offenbarungseid ablegen – und dann auch liefern. Herbert Kickl hat gesagt, dass immer die ÖVP Regierungskonstellationen mit FPÖ-Beteiligung zum Scheitern brachte. Was blanker Unsinn ist. Das erste Mal, in der Koalition mit der SPÖ, hat sich die FPÖ durch den Wechsel von Norbert Steger zu Jörg Haider aus dem Rennen genommen. Beim zweiten Mal – mit Kanzler Wolfgang Schüssel – durch die Ereignisse in Knittelfeld und deren personelle Folgen. Beim letzten Mal durch Ibiza. Also: Die FPÖ hatte dreimal die Chance und brachte es dreimal selbstverschuldet nicht zusammen. Jetzt von den anderen Parteien Stabilität und personelle Berechenbarkeit einzumahnen, ist Hohn.

Zur Person

Das Interview in voller Länge ist im trend.PREMIUM vom 17. Jänner 2025 erschienen.

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