Beurteilt den viel zitierten Inflation Reduction Act (IRA) als „maßlos überschätzt": Wifo-Chef Gabriel Felbermayr
©Trend/Lukas IlgnerWifo-Chef und Außenhandelsökonom Gabriel Felbermayr argumentiert, warum es jetzt ein Handelsbündnis nach Art der NATO braucht, um den Freihandel zu schützen.
In Ihrem neuen Buch regen Sie eine „Wirtschafts-NATO“ zum Schutz des Außenhandels an. Warum sollte das neutralitätsverliebte Österreich an so einer Allianz teilnehmen?
Aus Selbsterhaltungsgründen. Die USA und Großbritannien sind außerhalb der EU unsere wichtigsten Handelspartner. Im Streitfall ist klar, wo unsere Interessen liegen. Dazu kommt die Frage, mit wem man innerhalb eines Blocks regelbasiert arbeiten kann. Zu den BRICS-plus-Ländern gehören Nordkorea, der Iran oder Russland. Das sind Länder, bei denen man Angst haben muss, dass sie wirtschaftliche Waffen einsetzen. Wegen der Angriffe der Huthi-Rebellen im Roten Meer braucht der Handel zwischen China und Europa schon heute zwei Wochen länger und ist deutlich teurer. Deshalb brauchen wir ein Verteidigungsbündnis.
Die Idee ist, die eigenen Wirtschaftsstärken als potenzielle Waffen einzusetzen, indem man etwas nicht mehr liefert?
Ja, gemäß dem Motto „Si vis pacem, para bellum“ (Willst du Frieden, bereite den Krieg vor, Anm.). Wo wir Stärken haben, sollten wir sie weiter stärken und uns damit unentbehrlich machen. Die beiderseitige Sorge, dass der Handel eingeschränkt werden könnte, macht die Eskalation unwahrscheinlicher. In einem Gleichgewicht des Schreckens kommt es nicht zur Eskalation.
Damit der Freihandel laufen kann, braucht es Drohkulissen?
Ja, das ist etwas paradox, war aber schon immer eine Voraussetzung dafür, dass Regeln auch eingehalten werden. In Zeiten verstärkter Blockbildung muss die Drohkulisse sogar verstärkt werden. Schöner wäre es natürlich, wir hätten ein friedliches Miteinander ohne Drohkulissen.
Als der deutsche Bundespräsident Horst Köhler 2010 militärischen Flankenschutz für die deutsche Exportwirtschaft befürwortete, musste er zurücktreten. Sie meinen, so ein Konzept sei heute mehrheitsfähig?
Österreich ist da im Vergleich noch sehr weit hinten – in Deutschland hat sich die Diskussion schon verändert. Frankreich ist ohnehin anders. Die französische Westafrikapolitik hatte immer wirtschaftliche Komponenten. Das soll kein Aufruf zu einer neokolonialen Strategie sein. Aber die Weltmeere müssen frei bleiben.
Liegen in einer Zeit der Blockbildung nicht auch Chancen in einer Rolle, die neutral ist?
Ja, damit lässt sich manchmal richtig Geld machen. Die Türkei macht das, sie ist nicht den Russland-Sanktionen beigetreten, hat aber eine Zollunion mit der EU. Aber die Türkei ist keine liberale Demokratie. Gerade wir mit unserer Neutralität, die völkerrechtlich garantiert ist, sollten das Völkerrecht – die Unversehrtheit der Grenzen – schützen, notfalls auch mit Sanktionen. Übrigens: Während des Kalten Krieges entfiel der weitaus größte Anteil des österreichischen Außenhandels auf die Westländer.
Nun drohen ja auch befreundete Länder, Stichwort USA, ständig mit Waffengewalt, sprich: Zöllen. Macht man das unter Partnern so?
Eine Wirtschafts-NATO würde eben bedeuten, dass man über den Nordatlantik hinweg einen zollpolitischen Deal hat, der vor Überraschungen schützt. Die Trump-Zölle – und ihre bloße Androhung - haben dazu geführt, dass man den amerikanischen Markt eher mit amerikanischer Produktion bedient. Für Länder mit hohen Außenhandelsüberschüssen wie Österreich oder Deutschland ist diese Veränderung in der Struktur der Außenwirtschaft eine Bedrohung: Das kostet uns Wertschöpfung.
Der viel zitierte Inflation Reduction Act (IRA) der US-Regierung wird „maßlos überschätzt“, schreiben Sie. Warum?
Man sieht in den Daten noch keine wirkliche Belebung der gesamten Investitionstätigkeit in den USA. Aber man kann vermutlich sagen, dass ohne IRA die Deindustrialisierung der USA ungebrochen weitergegangen wäre. Aber es gibt ein Problem: Der IRA kostet sehr viel Geld, das fällt in der europäischen Diskussion meist unter den Tisch. Die USA haben fast sieben Prozent Budgetdefizit, und das läuft munter weiter so. Die Industriepolitik wird auf Pump finanziert, die Amerikaner haben schon Probleme, langfristige Staatsschuldverschreibungen zu begeben. Ich weiß nicht, ob sich das unter Trump oder Harris ändern würde. Der IRA ist nicht die Wunderwaffe, die man in Europa kopieren sollte.
Wenn Trump noch einmal Präsident wird – womit ist handelspolitisch zu rechnen?
Er sagt es im Grunde in jeder Wahlkampfrede, und wir wissen inzwischen ja, dass er tut, was er ankündigt: Zu rechnen ist mit einem zehnprozentigen Zusatzzoll auf alles, gegenüber China noch einmal mit Verschärfungen. Wir wissen aber auch, dass er bereit ist, Zölle wieder wegzuverhandeln. In Europa hatte man unter Jean-Claude Juncker schon einmal eine Gegenwaffe: Gegen die angedrohten Autozölle von 25 Prozent hat man eine Digital-Sales-Tax (DST) in Stellung gebracht, die die amerikanischen Tech-Konzerne getroffen hätte. Am Ende kam es weder zu den Autozöllen noch zur DST. Eine solche Drohung hätte vermutlich heute eine noch höhere Relevanz als unter Trump 1.0.