Finanzminister Magnus Brunner im trend-Interview. Er hält den Grünen vor, Steuererleichterungen für die finanzielle Vorsorge und die Eigentumsbildung zu blockieren. Sein Budget verteidigt er gegen die Opposition.
trend: Herr Minister, Sie leiten seit 6. Dezember 2021 das wichtigste Ressort dieser Regierung. Was war Ihr absoluter Tiefpunkt bisher?
Magnus Brunner: Schwierige Frage. Darüber bin ich in den letzten zwölf Monaten gar nicht zum Nachdenken gekommen. Es gibt kein einzelnes Ereignis, das mir jetzt spontan dazu einfiele.
Auf einer Notenskala von eins bis fünf: Welche Note würden Sie der politischen Kultur in diesem Land geben?
Eine Vier. Also relativ schlecht. Eine Ausnahme war die Budgetdebatte der vergangenen drei Wochen. Die war okay. Aber das politische Klima wird insgesamt aggressiver.
Haben die Kurz-Jahre die Konsensdemokratie zerstört, die ja gerade jetzt wieder ein Erfolgsmodell sein könnte?
Das glaube ich nicht, da gibt es mehrere Ursachen. Am Anfang der Pandemie hat sich gezeigt, dass Zusammenhalt möglich ist. Ich glaube, dass die Stimmung insgesamt aggressiver geworden ist und die Opposition das noch weiter befeuert.
Wie wäre das zu ändern?
Wir sollten alle auf die sachliche Ebene zurückkehren. Wenn man etwas für falsch hält, soll man kritisieren, keine Frage - aber mit dem nötigen Respekt voreinander. Das ist für mich entscheidend. Um sachlich reden zu können, braucht es Respekt. So einfach wäre das.
Und wie ist die Stimmung innerhalb der Koalition mit den Grünen? Man hört von Reibereien zwischen Ihrem Ministerium und dem Umweltressort.
Die Arbeit ist total okay und konstruktiv. Neben dem Budget bringen wir viele andere Projekte weiter. Aber natürlich gibt es auch Themen, wo unterschiedliche Zugänge herrschen. Eines davon ist die Wertpapier-KESt. Da wollen wir von der ÖVP, dass diese Steuer nach einer Behaltefrist wegfällt.
Das haben Sie im ersten trend-Interview vor einem Jahr auch gesagt.
Ja, und ich war überrascht, welche Wellen das geschlagen hat. Wir haben dem Koalitionspartner dann im April einen Vorschlag übermittelt, und seither warte ich, dass Gespräche aufgenommen werden. Ich verstehe schon eine gewisse ideologische Zurückhaltung des Koalitionspartners beim Thema Kapitalmarkt. Aber es geht um die finanzielle Vorsorge. Da verstehe ich - höflich gesagt - die Zurückhaltung nicht. Wie soll jemand aus dem Mittelstand anders vorsorgen als über Anlagen auf dem Kapitalmarkt? Wir befinden uns ja in einer völlig anderen Zinssituation als früher. Darum wollen wir mit einem sogenannten Vorsorgedepot eine attraktive Alternative bieten. Und der Punkt steht im Regierungsprogramm. Bevor man jetzt auf irgendwelche leistungsfeindlichen Steuerideen kommt, erwarte ich dringend, dass man dazu steht, was wir vereinbart haben.
Wie sieht Ihr Zeitplan aus?
Wir wollen das so schnell wie möglich umsetzen, weil es ein extrem wichtiges Thema ist. Es hat nichts mit Spekulation zu tun, deswegen gibt es den Vorschlag der Behaltefrist. Wir wären auch bereit, über deren Dauer und über Höchstgrenzen oder die Bevorzugung grüner Investments zu reden - aber dazu müssten wir erst einmal reden.
Im Regierungsprogramm steht ein Bekenntnis zum Eigentum. Dem Vernehmen nach planen Sie auch etwas im Bereich Immobilien?
Stimmt, das hängt auch mit der Vorsorge zusammen. Es gibt jetzt die sogenannte KIM-Verordnung der Finanzmarktaufsicht, die zu einem Zeitpunkt geschrieben wurde, als die Zinsen noch niedrig waren und die Krisenlage eine andere. Diese führt jetzt zu einer ziemlichen Verschärfung, wenn es um die Vergabe von Krediten für Wohnungseigentum geht. Wir hören viele Klagen aus der Bevölkerung und aus allen Bundesländern. Ich erwarte, dass die FMA unter den geänderten Rahmenbedingungen noch einmal drüberschaut und Anpassungen vornimmt. Die Schaffung von Eigentum soll nicht durch die zu scharfe Auslegung einer Verordnung blockiert werden. Zusätzlich haben wir dem Koalitionspartner vorschlagen, für den Kauf des ersten Eigenheims die 3,5-prozentige Grunderwerbssteuer abzuschaffen oder zumindest zu reduzieren - bis zu einer Höchstgrenze von 500.000 Euro. Ich würde sogar gerne noch weiter gehen und auch die Eintragungsgebühr fürs Grundbuch -1,1 Prozent - bis zu dieser Freigrenze abschaffen. Auch dazu gibt es keine Reaktion von den Grünen.
Schön, wenn Sie auf Einnahmen verzichten wollen. Ihr Budget wurde aber auch deshalb kritisiert, weil es wieder einmal keinerlei Strukturreformen gibt, die Ausgaben senken: etwa Verwaltungskosten, Ineffizienzen beim Föderalismus, das Förderwesen etc.
Wir haben viele Strukturreformen drinnen, etwa im Steuer- und Abgabenbereich mit der Abschaffung der kalten Progression oder der Valorisierung der Sozialleistungen. Das sind enorme Veränderungen, die wir einführen. Die Abschaffung der kalten Progression wurde seit 40 Jahren diskutiert. Und nicht zu vergessen die grüne Transformation: Wir nehmen über fünf Milliarden Euro bis 2026 in die Hand, um die Wirtschaft und die Industrie auf dem Weg der Dekarbonisierung zu begleiten. Also das sind für mich schon große Reformen. Zugegeben, die Senkung der Ausgaben ist momentan gerade etwas schwierig. Wir haben in diesen Zeiten mit multiplen Krisen die Verpflichtung, die Menschen und die Unternehmen zu unterstützen.
Trotz Abschaffung der kalten Progression wird laut Neos die Steuerquote in den nächsten Jahren weiter ansteigen.
Die Steuer- und Abgabenquote ist breit gefasst, das muss man sich im Detail ansehen. Unser Ziel ist weiterhin, sie zu senken. Fakt ist, dass wir mit der Abschaffung der kalten Progression massiv entlasten. Und weil dadurch der Spielraum für die Regierung kleiner wird, haben wir jetzt jedes Jahr automatisch eine Strukturreform.
Werden Sie der Forderung der Universitäten nach einer zusätzlichen Milliarde Euro nachgeben?
Es gibt eine Leistungsvereinbarung für den Zeitraum von drei Jahren. Das ist hoffentlich gut verhandelt worden. Jetzt haben wir eine massive Teuerung im Energiebereich, die vor allem die technischen Universitäten betrifft. Wir haben deswegen schon 250 Millionen pro Jahr bis 2026 mehr zur Verfügung gestellt. Manche sagen, das sei zu wenig. Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass die Mittel reichen, zumal von Minister Polaschek weitere 150 Millionen Euro frei gemacht wurden.
Sind durch die steigenden Zinsen immer höhere Staatsschulden langfristig zu verantworten?
Nein. Es ist unbedingt notwendig, dass wir mittel- und langfristig wieder zu nachhaltigen Budgetpfaden zurückkehren - und zwar auf nationaler und auf europäischer Ebene. Damit wir uns wieder Spielräume für Krisensituationen schaffen können. Und auf europäischer Ebene ist entscheidend, dass Institutionen wie die EZB auch unmittelbarer und schneller gegen die Inflation ankämpfen können. Die Budgetsituation mancher Mitgliedsstaaten lässt das aktuell leider nicht zu. Wir müssen daher sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene dringend zu nachhaltiger Budgetpolitik zurückkehren.
Inflationsdämpfend wäre auch, wenn der Staat weniger Geld ausgäbe.
Ja, durchaus. Aber nur die EZB kann in großem Stil wirksam die Inflation dämpfen. Wir achten bei den Unterstützungsmaßnahmen darauf, dass diese nicht zu inflationstreibend wirken. Die Strompreisbremse ist so eine Maßnahme, die Einspareffekte hat, weil man nur eine gewisse Menge an Strom zu einem günstigeren Preis zur Verfügung stellt. Laut Experten dämpft sie die Inflation sogar leicht.
Aber der Trend dieser Zeit scheint noch immer zu sein, dass Geld abgeschafft ist und es die Milliarden bei Bedarf nur so vom Regierungshimmel regnet, oder?
Ja, wir müssen die Dimensionen wieder zurechtrücken. Geld hat einen Wert und ist nicht abgeschafft. Wir müssen das Steuergeld wieder mehr schätzen lernen. Sich im Vorbeigehen eine Milliarde da und 100 Millionen dort abzuholen - das geht einfach nicht. Den Wert des Geldes und die Dimensionen richtig darzustellen, das ist mir echt ein Anliegen.
Das wird Sie aber nicht sehr populär machen.
Nicht alles, was auf den ersten Blick populär klingt, ist auf den zweiten auch sinnvoll.
Das passt exakt auf die Verweigerung einer nachhaltigen Pensionsreform. Die wäre nicht populär, aber doch ziemlich sinnvoll.
Ganz ehrlich: Eine große Pensionsreform halte ich momentan nicht für möglich. Mitten in einer multiplen Krise ist das nicht umsetzbar. Sehr wohl bin ich der Meinung, dass wir das faktische Pensionsalter noch weiter hinauf bringen sollten. In den letzten zehn Jahren ist es schon um über zwei Jahre gestiegen. Aber es muss noch besser werden. Dafür überlegt Arbeitsminister Kocher Maßnahmen, um etwa ältere Menschen länger im Arbeitsmarkt zu halten. Es gibt auch steuerliche oder andere Anreize.
Ohne größere Reform müssen Sie sich aber die auch in der Budgetdebatte laut gewordene Kritik, dass für die jüngeren Generationen zu wenig Mittel da sind, gefallen lassen. Was heißt zu wenig für die Jungen?
Das ist schnell gesagt, wichtig ist aber, ob im Budget Zukunftsinvestitionen berücksichtigt sind. Und das ist auch eine Definitionsfrage: Aus meiner Sicht ist die grüne Transformation eine Zukunftsinvestition, Geld für Sicherheit ebenfalls und für Pflege erst recht. Die SPÖ hat sogar gesagt, auch Pensionen sind ein Zukunftsthema. So weit würde ich nicht gehen, aber es ist schon interessant, sich das einmal zu überlegen.
Das schwedische Modell mit automatischer Anpassung der Pensionsleistungen an die Lebenserwartung reizt Sie nicht?
Ich sehe auch, dass man das System ganz grundlegend wird reformieren müssen. Aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt. Welches Modell dann in Frage kommt, kann ich heute nicht sagen. Hauptsächlich ist das ein Thema des Sozialministers.
Sprechen wir noch kurz über die hohen Energiepreise: Die Übergewinnsteuer für Mineralölkonzerne und Stromerzeuger wurde kürzlich beschlossen. Wieso eigentlich erst auf Druck der EU?
Man hätte das sicher früher machen können, wir haben die Diskussion darüber auch nie verwehrt. Dann kam der EU-Vorschlag, an den wir uns letztlich angelehnt haben. Ich sehe nicht, dass wir säumig gewesen wären. Und wir haben auch noch einige wichtige Details eingebaut: etwa die Abschläge für nachweisbare Investitionen in erneuerbare Energien. Damit kommt die OMV zum Beispiel von 40 auf 33 Prozent Steuersatz, hat aber den Anreiz für sinnvolles Investieren.
Apropos OMV: Das norwegische Konsortium, das an Teilen der OMV interessiert ist, hat sein Angebot konkretisiert und garantiert Österreich 50 Gigawattstunden Gas pro Jahr. Damit wären wir mit einem Schlag unabhängig von Russland. Klingt doch attraktiv, oder?
Das klingt auf den ersten Blick attraktiv, man muss sich aber im Detail anschauen, ob das auf den zweiten Blick hält oder nicht. Wir sind dabei, die genauen Parameter und Bedingungen zu prüfen. Die ÖBAG schaut sich auch andere Varianten an, weil sie von mir den Auftrag hat, die Versorgungssicherheit Österreichs generell zu durchleuchten. Das norwegische Angebot ist eine Möglichkeit, aber ich bin offen für jede Idee.
Die OMV will sowieso schrittweise aus fossiler Energie aussteigen. Wäre es da nicht gescheiter, gleich zu verkaufen?
Im Prinzip kann man das so sehen. Aber es bestünde ja auch zum Beispiel die Möglichkeit einer Strategieänderung bei der OMV. Das alles soll die ÖBAG evaluieren. Ich finde die norwegische Option grundsätzlich gut, aber die Voraussetzungen für Entscheidungen sind noch nicht gegeben.
Aktuell laufen hinter verschlossenen Türen auch Verhandlungen mit dem Branchenverband Oesterreichs Energie über einen generellen Schutzschirm. Braucht's den und, wenn ja, warum?
Wir führen immer wieder Gespräche mit der Branche, nicht konkret zum Thema Schutzschirm. Momentan braucht es Gott sei Dank keinen. Trotzdem müssen wir uns, wie ich schon beim Fall Wien Energie gesagt habe, auf alle Eventualitäten vorbereiten. Sozusagen auf Vorrat, falls die Preise, die zuletzt etwas zurückgegangen sind, auf den internationalen Märkten wieder aus dem Ruder laufen. Derzeit gibt es aber keine Anzeichen für Probleme bei einem der großen Versorger.
Zum Abschluss: Was war der absolute Höhepunkt in Ihrem ersten Jahr als Finanzminister?
Auf jeden Fall die Abschaffung der kalten Progression. Die wurde seit 40 Jahren heftig diskutiert, zuletzt auch innerhalb der Koalition. Die Beschlussfassung darüber ist schon ein echtes Highlight für mich.
ZUR PERSON
Magnus Brunner, 1972 in Höchst geboren, ist Jurist und war bis 2002 in der Vorarlberger Landespolitik tätig. Im Anschluss war er vier Jahre lang Direktor des Österreichischen Wirtschaftsbunds. Es folgten Stationen beim Stromerzeuger Illwerke/VKW-Gruppe und bei der OeMAG (Ökostrom). Im Jänner 2020 wurde der verheiratete Vater von drei Söhnen Staatssekretär im Umweltministerium, zwei Jahre später Finanzminister.
Das Interview ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 25.11.2022 entnommen.