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Die Gelbwesten-Phobie geht um [Politik Backstage]

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Ziemlich beste Freunde? ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer und der Grüne Vizekanzler Werner Kogler.
DAS NEUE DUO. Werner Kogler und Karl Nehammer beteuern zwar, sich gut zu verstehen. So richtig sichtbar wurde das aber bisher noch nicht.©APA/ROLAND SCHLAGER
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Anti-Corona-Demos und Impfgegner-Partei sitzen der Regierung nachhaltig im Nacken. Karl Nehammer und Werner Kogler schnüren ein Anti-Teuerungspaket, bei dem beide Parteien über ihren Schatten springen.

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Im Regierungsviertel geht die Angst vor einem neuen Virus um. Es geht nicht um eine der vielen Corona-Mutationen. Es sind auch nicht die Affenpocken. Die Phobie ist hoch politisch und hört auf den Namen Gelbwesten. In den internen Debatten spielen immer öfter jene Bilder eine Rolle, die die französische Politik erstmals vor drei Jahren in Atem hielten. Binnen weniger Wochen bildete sich eine - anfangs schwer zuordenbare - Protestbewegung, die ein gemeinsames Erkennungsmerkmal hatte. Die Demonstranten streiften sich bei ihrem "Marsch auf Paris" allesamt gelbe Warnwesten über.

Ausgelöst hatte die Gelbwesten-Bewegung eine geplante höhere Besteuerung von Treibstoffen von bis zu sieben Cent pro Liter. Präsident Emmanuel Macron wollte damit die Energiewende finanzieren. Die Öko-Steuer an der Tankstelle wirkte angesichts einer ohnehin rasanten Teuerung wie Zunder.

Per 1. Juli soll nun auch hierzulande eine CO2-Abgabe das Tanken aus Umweltschutzgründen um bis zu neun Cent pro Liter teurer machen. Zur Abfederung der sozialen Folgen wurde der "Klima-Bonus" erfunden: Je nach Qualität der Anbindung an den öffentlichen Verkehr als Pkw-Alternative sollen ab 1. Oktober zwischen 100 und 200 Euro pro Kopf ausbezahlt werden.

Seit Wladimir Putin mit dem Ukraine-Krieg Sanktionen lostrat, steht europaweit nicht nur die Russland-Politik generell auf dem Prüfstand. Die im Gefolge von Corona losgetretene Teuerungswelle wurde durch die Sorge vor Öl-und Gasknappheit derart beschleunigt, dass im Herbst gar zweistellige Inflationsraten befürchtet werden. Im Regierungsviertel stehen so die Alarmsignale auf Rot.

Von der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich hat am meisten die rechte Bewegung rund Marine Le Pen profitiert. In Österreich setzt sich die SPÖ seit Wochen auf das Thema Anti-Teuerungs-Maßnahmen. Ein Teil des wachsenden Zuspruchs für die Sozialdemokraten und die seit Wochen stabile Poleposition in Umfragen fußt darin. Auch die FPÖ versucht nun auf den fahrenden Zug aufzuspringen.

Das erste Anti-Teuerungs- Paket der Regierung war mit einer Gesamtsumme von vier Milliarden Euro zwar durchaus herzeigbar. Die Maßnahmen kommen, etwa im Fall von befristeten Steuersenkungen wie der Erdgas-und Elektrizitätsabgabe, aber derart indirekt daher, dass sie angesichts der massiven Preissteigerungen bei Energie weitgehend unbemerkt bleiben.

Die Erhöhung des Pendler-Pauschale und des Pendler-Euros wird erst mittelfristig spürbar. Der Auszahlungs-Modus des vielgepriesenen Energie-Bonus von 150 Euro bleibt derart umständlich, dass auch hier der Effekt politisch zu verpuffen droht.

Paradoxes Ergebnis: Je länger die Regierung ihr Vier-Milliarden-Paket in den vergangenen Wochen anpries, desto größer wurde in Umfragen die Unzufriedenheit mit der Regierung in Sachen Inflationswelle.

Die ersten Appelle aus Wirtschaft und Politik, den nächsten absehbaren Teuerungsschub an der Energie-Front, die CO2-Bepreisung, zu verschieben, wurden bis vor Kurzem aber nicht nur von den Grünen, sondern auch im ÖVP-Finanzministerium als "Mission Impossible" abgetan. Die Ökos glaubten, nach der Kritik aus dem eigenen Hinterland, die CO2-Steuer starte viel zu zaghaft, endgültig als Umfaller dazustehen. Die ÖVP wiederum fürchtete, die Grünen könnten so das ganze Ökosteuer-Paket samt Goodies für die Wirtschaft wie etwa die Senkung der KÖSt. neu aufschnüren.

Die zuletzt massiv beschleunigte Teuerungswelle und die regierungsintern wachsende Gelbwesten-Phobie lässt Türkis und Grün nun gemeinsam die Notbremse ziehen. Der Zulauf bei den Anti-Corona-Demos und der Erfolg der Impfgegner-Partei haben das Umdenken im Regierungsviertel zudem beschleunigt.

Für Türkis-Grün könnte der nachhaltige politische Druck, den die Teuerungswelle lostrat, zum Turbo für ein erstes herzeigbares gemeinsames Projekt des neuen Duos Nehammer-Kogler werden. Die beiden Parteichefs beteuern zwar, dass sie sich gut verstehen. Politisch breit sichtbar wurde das bislang aber nicht. Im Gegenteil: Karl Nehammer muss sich nach dem inhaltslosen Jubel-Parteitag, der mehr der Jahresversammlung einer Drücker-Kolonne glich, mehr denn je nach seiner politischen Handschrift fragen lassen. Werner Kogler zeigt weiterhin wenig Ehrgeiz, mehr von sich reden zu machen. Das liegt wohl auch daran, dass da wie dort immer weniger die politischen Köpfe, sondern wieder vermehrt die Technokraten das Sagen haben.

Unter Sebastian Kurz wurden alle politischen Pläne von seinen Vasallen Stefan Steiner, Gerhard Fleischmann &Co auf Propaganda-Verträglichkeit zur höheren Ehre des Parteichefs abgetestet.

Was nicht ins Bild passte, wurde eisern blockiert. Bei den Grünen wiederum wachte vor allem Ex-Grünen-Geschäftsführer Stefan Wallner als Kabinettschef von Werner Kogler darüber, dass die türkisen Bäume nicht in den Himmel wuchsen. Das führte zwar wiederholt zu Konflikten innerhalb der Koalition, aber auch innerhalb der Grünen. Dort, wo die Auseinandersetzungen auch öffentlich wurden, dienten sie freilich auch der Schärfung des politischen Profils von Türkis und Grün.

Das war lange ein Win-win-Game, das sich in den Meinungsumfragen für beide Regierungspartner bezahlt machte. Nach dem Aus für Kurz & Co zog zu Ostern auch der grünen Strippenzieher Wallner die Reißleine. Denn die grün-internen Konflikte um den richtigen Kurs waren mit Abgang von Kurz alles andere als dahin. Auch innerhalb des grünen Regierungsteams gibt es eine Gruppe, die dem geräuschlosen Abtausch von Projekten den Vorzug gibt gegenüber einem Kurs, der via Konflikten zu Ergebnissen kommen will. Diese fühlt sich durch das weniger konfliktfreudige ÖVP-Gegenüber im Kanzleramt nun gestärkt.

Der aktuelle Zustand der Koalition gibt nicht nur diesen Blick auf die inneren Verhältnisse preis. Die Verschiebung der Öko-Steuer auf Herbst weckt vor allem in der ÖVP auch verblüffende Erinnerungen an die Verhandlungen um die ökologische Steuerreform.

Die Türkisen setzten im Finale der Budget-Verhandlungen Anfang Oktober des Vorjahrs bis zum Schluss auf wohldosierte Dramaturgie. Sebastian Kurz ließ Gernot Blümel, Werner Kogler & Co stundenlang allein um ein Ergebnis feilschen, saß bis kurz vor Abschluss zu Hause und ritt erst zum finalen Poker im Finanzministerium ein.

Die Türkisen hatten sich eine Trumpfkarte bis zum Schluss aufgespart. Der Einstiegspreis in die CO2-Steuer müsse klar über jenen 25 Euro pro Tonne liegen, mit denen die Deutschen starten. Das türkise Kalkül dahinter: Damit könnten vor allem die Grünen das Paket als Erfolg verkaufen.

Kogler & Co stiegen auf dieses Lockangebot, dank der großzügigen 35 Euro pro Tonne CO2 den Sack endlich zuzumachen, freilich nicht wie erwartet ein. Stattdessen machten sich die grünen Spitzen weiter für eine breite soziale Abfederung der Energie-Verteuerung durch die neue Ökosteuer stark.

Die Grünen drängten auf einem Öko-Bonus, der die Folgen der CO2-Bepreisung mehr als wettmacht. Die Türkisen, allen voran Sebastian Kurz, wiederum bestanden vor allem darauf, dass die Landbevölkerung, die nicht so leicht auf öffentliche Verkehrsmittel ausweichen kann, mit einem höheren Klimabonus rechnen kann. Das Ergebnis war eine vierteilige Staffelung zwischen 100 und 200 Euro Klimabonus je nach Qualität der Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel.

Der dieser Tage in der Regierung ausgehandelte Deal in Sachen Öko-Steuer macht noch stärker sichtbar: Bei den Grünen geht es nicht längst nicht mehr um die Vorherrschaft von Fundis oder Realos. Die grüne Binnenwelt teilt sich in einen sozialen und einen ökologischen Flügel.

Und das jetzt kommende Anti-Teuerungs-Paket zeigt einmal mehr auch deutlich: Im Zweifel gibt bei den Austro-Ökos der soziale Flügel den Ton an. Die Grünen winken jetzt nicht nur die Verschiebung ihres Leuchtturm-Projekts CO2-Steuer auf Herbst durch. Sie ließen sich diese auch entsprechend abkaufen. Die soziale Abfederung der künftigen Öko-Steuer soll nun mehr als verdoppelt werden.

Der Autor

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Josef Votzi © trend Wolfgang Wolak

Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst Josef Votzi jede Woche "Politik Backstage".

Der Artikel ist auch in der trend. EDITION vom 10. Juni 2022 zu finden.

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