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Gernot Wagner: "Es wird immer billiger, umweltbewusst zu leben"

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Gernot Wagners Rezept gegen die Klimakrise: moderne Technologien und die richtige Lebenseinstellung

Gernot Wagners Rezept gegen die Klimakrise: moderne Technologien und die richtige Lebenseinstellung

©Columbia Business School
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Warum der renommierte US-Klimaökonom Gernot Wagner moderne Technologien als einzig wirksames Rezept gegen die Klimakrise sieht. Was der Möbelkonzern Ikea damit zu tun hat, wie er seine Wohnung in New York vor vier Jahren für Nullemission fit gemacht hat und warum das heute nur noch die Hälfte kosten würde.

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Sie sind in Amstetten aufgewachsen und leben, seit Sie 18 sind, in den USA. Wo lässt sich die Klimakrise auf Sicht besser überstehen: in Europa oder in den USA?

Gernot Wagner

Vor ein paar Jahren hätte ich gesagt, nirgendwo besser als auf ein paar Hundert Metern Seehöhe abgeschottet in den Alpen im seligen Österreich. Heute stellt sich auch dort die Frage: Wann kommt der nächste Murenabgang? Wo bricht der nächste Berg ab, wo es niemand hervorgesagt hat? Wo wird als nächstes ein ganzes Dorf begraben? Genau diese Ungewissheit führt dazu: Es gibt darauf keine definitive Antwort mehr. Bis vor Kurzem war aus Sicht von US-Bürgern der beste Ort, der Klimakrise zu entkommen, Kanada. Jetzt sehen wir auch, dass es Wirbelstürme in diese Breiten schaffen und der halbe Wald brennt. Vieles davon wurde von der Forschung natürlich bereits schon lange vorhergesagt, aber die Geschwindigkeit, mit der sich die Dinge verändern, hat uns dann doch alle überrascht.

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Sie wollten als Klimaökonom auch zeigen: Man muss nicht immer nur auf die Politik warten, sondern kann auch persönlich etwas tun. Sie haben mitten in New York Ihre 70-Quadratmeter-Wohnung mit Einsatz von 120.000 Dollar CO2-neutral gemacht. Ausreichend ökonomische Mittel sind der Schlüssel zur ökologischen Wende. Wie kann das in der Breite gelingen, dass auch ausreichend privates Geld investiert wird?

Gernot Wagner

Das ist jetzt auch schon drei bis vier Jahre her, und es ist faszinierend: Hätten wir es jetzt erst gemacht, hätte es halb so viel gekostet. Die Technologien sind billiger geworden, gleichzeitig gäbe es jetzt Förderungen durch den Inflation Reduction Act (IRA). Aber den größten Brocken würde die massiv gesunkenen Preise bei neuen Technologien ausmachen. Ikea verkauft inzwischen für 60 Dollar eine Induktionsplatte. Unser Induktionsherd hat vor vier Jahren 4.000 Dollar gekostet. Der ist hochmodern. Ich weiß aber immer noch nicht wie ich die WLAN-Funktion, die er hat, verwenden soll. Selbst der kostet heute ein Drittel weniger. Ikea Schweiz verkauft mittlerweile Solaranlagen und Wärmepumpen. Ikea wird die Welt nicht retten, aber bis vor Kurzem war der 300-Dollar-Gasherd die billigste Möglichkeit. Jetzt sind die Kosten für dieselbe Funktion mit modernster Induktionstechnologie 60 Dollar. Es wird kein gesundheitsschädliches Gas verbrannt, von dem Kinder Asthma bekommen. Es gibt in der Klimapolitik auch so etwas wie einen positiven Kipppunkt. Es wird zunehmend billiger, ökologisch zu leben als umweltschädigend. Solarenergie ist laut der Internationalen Energieagentur die billigste Form, Energie zu produzieren. Diese positiven Kipppunkte sind unumkehrbar.

Technologie bringt uns weiter und muss mit der richtigen Politik einhergehen.

Gernot WagnerUS-Klimaökonom
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Ist das wirklich so verallgemeinerbar oder doch noch sendungsbewussst übertrieben? Löst allein die ökonomische Logik à la longue eine ökologische Wende aus?

Gernot Wagner

Das ist nicht übertrieben. Erneuerbare Technologien werden immer besser und billiger. Kohle, Öl, Gas sind Rohstoffe, deren Preise fluktuieren und alle zehn Jahre eine Energiekrise auslösen. Da brennen dem Typen im Kreml die Sicherungen durch, und am nächsten Tag schnellen die Gaspreise aufs Drei- bis teils Zehnfache. Die Abkehr von fossiler Energie und damit der "Fossilflation" ist nicht nur die ökologisch, sondern auch ökonomisch beste Lösung.

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Die US-Regierung nimmt mit dem "Inflation Reduction Act" rund 500 Milliarden Dollar in die Hand, um - großteils steuerliche - Anreize für den Umbau der Wirtschaft in Richtung grüne Technologien zu geben. Europa hat mit dem Green Deal zwar ein Instrument geschaffen, diskutiert aber noch immer darüber, ob es angesichts der Riesenbeträge, die die USA einsetzen, als politische und ökonomische Antwort ausreicht. Agiert Europa einmal mehr too late and too little?

Gernot Wagner

Erst Anfang September hat Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union die Parole von der grünen Reindustrialisierung Europas ausgegeben. Es gibt nun tatsächlich einen globalen Wettlauf in diese grüne Zukunft. Nicht jedes Unternehmen wird hier mithalten können. Aber gesamtwirtschaftlich gesehen werden sowohl die USA als auch Europa und darüber hinaus die globale Wirtschaft von diesem grünen Wachstum profitieren. Egal, ob das jetzt der Vorstand der voestalpine in Linz oder der Chef von VW in Wolfsburg ist, es weiß jeder, dass es nicht mehr ums Ob, sondern um das Wann geht. Das Wann ist entscheidend. Zum Beispiel, ob die Voest ihren letzten fünften Hochofen erst 2045 umstellt, das wäre verdammt spät. Es 2033, wie die Salzgitter AG zu machen, wäre verdammt ambitioniert. Der Unterschied sind zwölf Jahre. Das sind zwei durchschnittliche Legislaturperioden des Voest-Vorstands. Es geht also um die Frage: Sind wir vorne mit dabei oder lassen wir uns bitten?

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Für das Tempo ist am Ende auch die Größe der steuerlichen Anreize entscheidend. Für den letzten großen Solarerzeuger in Europa, Meyer Burger, war der IRA der entscheidende Anstoß, eine Produktionsstätte in die USA zu verlagern. In Europa wurden 200 Millionen an Förderung geboten, in den USA das Sechs- bis Achtfache. Die deutschen Wirtschaftsweisen haben jüngst vor einem Subventions-Wettlauf gewarnt. Zurecht?

Gernot Wagner

Bisher war es so: Die schmutzige Industrie ist nach Asien ausgewandert. Jetzt wandert die saubere Industrie nach Amerika aus. Um dem in Europa Einhalt zu gebieten, muss die EU wohl auch mehr Geld in die Hand nehmen. Denn es ist ein Wettlauf von dem am Ende alle profitieren, wie ein Kollege von mir jüngst in einem Paper mit dem Titel "Clean Growth" analysiert hat. Aus rein makroökonomischer Sicht löst der IRA nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und weltweit Wachstum allein durch die Produktivitätssteigerungen aus. Um es an einem simplen Beispiel zu sagen: Bei der Installation der ersten Solaranlage weiß der Dachdecker noch nicht, wo oben und unten ist. Bei der zehnten weiß er es schon, und bei der tausendsten installiert er fünfmal so viele am Tag. Das Bruttoinlandsprodukt geht durch positive Steueranreize wie den IRA automatisch hinauf, und zwar nicht nur einmalig, sondern permanent. Tatsächlich ist es ein Wettlauf in die richtige Richtung. Schließlich gibt es global jedes Jahr immer noch Billionen an Subventionen für fossile Energieträger.

Jeder weiß, es geht nicht mehr ums Ob, sondern um das Wann.

Gernot WagnerUS-Klimaökonom
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Sie plädieren nicht nur für Förderungen, sondern auch sehr radikal für Verbote von SUVs oder Kurzstreckenflügen. Was ist aus verhaltensökonomischer Sicht wirksamer: positive Anreize oder strenge Verbote?

Gernot Wagner

Wir haben mittlerweile die Sensoren und technologischen Möglichkeiten, um für jeden Schritt, jede Bewegung mit einem Fahrzeug zu zahlen: die Abnutzung des Bodens, die Erzeugung von Feinstaub und vieles mehr. In einer solchen Gesellschaft möchte ich nicht leben. Bezahle ich für jeden Schritt am Gehsteig mehr, weil ich festere Schuhe trage? Besser und gesellschaftlich verträglicher ist der Weg der Steuerung durch eine rationale Politik, sprich: Dinge in die richtige Richtung zu lenken. Die Bahnfahrt von Linz bis direkt zum Flughafen nach Wien und Weiterflug nach Peking, gut getaktet mit einem einzigen Ticket, ist vor allem ein Anreiz. Wenn ich das auf Sicht mit einem Verbot von Kurzstreckenflüge verbinde: Ist das jetzt eine Verbotsgesellschaft, oder ist das eine rationale Entscheidung? Nicht nur aus klimapolitischen Gründen wäre es einfach dumm, so einen Regionalflughafen auszubauen. Klar geht es auch darum, Alternativen zu schaffen, etwa eben schnelle Zugverbindungen.

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Verbote sind trotz eines vielfältigen Angebots an Anreizen verhaltensökonomisch also unvermeidlich?

Gernot Wagner

Mord und Totschlag sind verboten. Sollen wir die etwa durch einen Preis ersetzen? Oder ein anderes Beispiel: Selbst im konservativen Tirol gibt es für Durchreisende ein Abfahrverbot von der Autobahn. Theoretisch könnte jedes Kuhdorf selbst mit einer Maut die richtigen Anreize bieten. Die Politik legt aber in Tirol fest, dass das verboten und zugleich nur Tempo 100 erlaubt ist. Das ist also Steuerung und ein klarer Schritt in die richtige Richtung. Und ja, es geht auch hier um Alternativen, etwa darum, mehr Urlauberverkehr auf die Schiene umzulenken.

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Das Wann, Was und Wie-viel wird in der Klimapolitik immer schärfer zum Konfliktstoff. Am radikalsten sichtbar durch die sogenannten Klimakleber. Haben Sie bei ihren jüngsten Aufenthalten in Österreich eine Aktion der Klimakleber hautnah miterlebt? 

Gernot Wagner

Nein. Aber direkt vor dem Klimaministerium habe ich ein SUV erlebt, das einen Rettungswagen abgeschossen hat. Ich weiß nicht, was das für den Patienten bedeutet hat, der abgeholt werden sollte oder im Krankenwagen lag. Am gleichen Tag habe ich gelesen, dass bei einer Aktion der Klimakleber ein Rettungswagen im Stau gesteckt ist und ein Mensch deshalb zu Tode gekommen sei. Diese Erstmeldung musste dann relativiert werden. Mit anderen Worten: Wenn wir jeden Autounfall so behandeln wie jeden Stau durch die Klimakleber, dann schaut die Sache anders aus.

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Gernot Wagner begrüßt nicht jede radikale Aktion zum Thema Klimaschutz.

© Floria Wieser/APA/Picturedesk
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Die Klimakleber lösen bei vielen Autofahrern aber Aggressionen statt mehr Verständnis für Klimapolitik aus. Sind diese Aktionen nicht kontraproduktiv?

Gernot Wagner

Nicht jede radikale Aktion von jungen Leuten ist zu begrüßen. Bei mir brennen die Sicherungen durch, wenn zuletzt in London ganze U-Bahn-Linien blockiert werden. Diesen Aktivisten stelle ich dann meinerseits die Frage: Warum klebt ihr euch nicht auf die Autobahn, statt Tausende Menschen an der Benutzung des umweltfreundlichsten Verkehrsmittels zu hindern? Insgesamt finde ich es heuchlerisch, wenn jemand sagt: Ich bin ja für Klimaschutz, aber weil ich nicht alle Methoden der Jungen für gut halte, bin ich jetzt dagegen. Wenn jemand einen ohnehin verglasten Van Gogh mit Tomatensuppe anschüttet - so what?

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Die Klimadebatte wird immer mehr zu einem gesellschaftlichen Spaltpilz wie zuvor die Corona-Politik. Was kann die Wissenschaft dazu beitragen, um diese Debatte zu entemotionalisieren?

Gernot Wagner

Ich glaube, die Wissenschaft kann vor allem mit wissenschaftlichen Tatsachen zu einer rationaleren Debatte beitragen: Wenn ich zur Arbeit radle und mich insgesamt mehr bewege, lebe ich länger. Wenn ich weniger Fleisch esse oder weniger Hormone im Schnitzel habe, lebe ich gesünder und länger. Alle jene, die solchen Änderungen zur Lebenseinstellung skeptisch gegenüberstehen, sollten sich nur anschauen, wie jene leben, auf die sie die Hoffnung setzen, die Technologie wird schon alle unsere Probleme lösen. Die Tech-Milliardäre stehen zeitig in der Früh auf, um erst mal zu meditieren, dann mit ihrem Personal Trainer zu arbeiten und dann vegetarisch zu frühstücken. Ein jeder Tech-Milliardär ernährt sich mit dem bestmöglichen Essen, trainiert fleißig. Ohne Änderung der Lebenseinstellung nutzt mir die beste Technologie allein nichts. Ich glaube, wir müssen aufhören, Ideologie vor Rationalität zu stellen: Warum kann jemand allen Ernstes heute noch sagen, wir haben keinen Platz mehr für Windräder in Niederösterreich? Gleichzeitig schafft die Politik Platz für 50.000 neue Einfamilienhäuser im Tullnerfeld. Oder: Warum ist es immer noch legal, ein Dach zu bauen, das weder grün noch mit Solaranlagen gedeckt ist?

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Wo stehen ideologische Blockaden einer rationalen Klimapolitik mehr im Wege: in den USA oder in Europa?

Gernot Wagner

Ideologischer als in den USA geht es derzeit selbst in Österreich nicht zu. Wir haben auch hier unseren eigenen Herbert Kickl. Amerika steht da um nichts besser da. Wir haben aber mit Joe Biden einen Präsidenten, der jetzt Gesetze unterschrieben hat, die derart weitreichend sind, dass es kaum noch ein Zurück gibt. Das ist ähnlich wie beim Glühbirnen-Verbot: Das hat George W. Bush 2007 unterschrieben, in Kraft treten sollte es schrittweise bis 2020. Als Donald Trump 2016 sein Amt angetreten hat, wollte er das Verbot mit Verweis auf die "Freiheit" aufheben. Kaum jemand hat das irgendwie als "Freiheit" angesehen, altertümliche Technologie wiederzubeleben. Kein Unternehmen begann wieder mit der Produktion. LED-Lampen sind einfach die bessere Technologie, die 99 Prozent der Energie in Licht umwandeln, anstatt wie bei der Glühbirne, wo 90 Prozent der Energie in Wärme umgewandelt worden ist. Elektroautos fahren mit derselben Energie fünfmal so weit wie Verbrenner, und Wärmepumpen sind fünfmal so effizient wie Gasheizungen. Technologie bringt uns weiter und muss mit der richtigen Politik einhergehen. Darin liegt auch die Hoffnung, diesen saudummen ideologischen Debatten zu entkommen.

Zur Person

Das Interview ist in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 27.10. 2023 erschienen.

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