Hinter den Kulissen des Budget 2023: Warum die ÖVP Junktim-Alarm auslöste? Wie es zum Aus für die 10 Extra-Milliarden fürs Heer kam? Und warum Klaudia Tanner & Leonore Gewessler von Duell-Partnern zum Sieger-Duo im Milliarden-Showdown wurden.
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Beim Ministerrat war diesen Mittwoch nach außen hin noch Business as usual angesagt. Die Ressortchefs Martin Kocher (Arbeit & Wirtschaft) und Johannes Rauch (Gesundheit & Soziales) präsentierten vor dem Kabinettstreffen Pläne für ein Pflegestipendium. 30 Millionen sollen als Anreiz investiert werden, um den bedrohlichen Arbeitskräftemangel zu lindern.
Nach der Regierungssitzung priesen Medien-Ministerin Susanne Raab und Klubchefin Sigi Maurer ein neues 20-Millionen-Paket sowie weitere Incentives für die krisengebeutelte Medienbranche an.
Einer verließ die nur rund 30 Minuten dauernde Routinesitzung besonders raschen Schrittes. Finanzminister Magnus Brunner eilte zu einem der letzten Termine in Sachen Budget 2023.
Das eigentliche Zahlenwerk war am Mittwoch zwar bereits in Druck. Aber ausgerechnet der grüne Vizekanzler, der in beiden Koalitionslagern als verlässlicher Troubleshooter gilt, hatte last minute Troubles gemacht und mit Nachdruck auf einem Sonderwunsch bestanden.
Werner Kogler, den nicht nur Parteifreunde öffentlich unter seinem internen Wert geschlagen sehen, will offenbar künftig mehr glänzen und sich als Sportminister neu profilieren.
Auch wenn es schon nach Nennschluss war: Kogler schlug mit seinem Begehren nach einer kräftigen Erhöhung der “Besonderen Sportförderung” um 50 Prozent beim ehemaligen Präsidenten des Tennisverbands, Magnus Brunner, aber nicht hart auf. Statt bisher 80 Millionen gibt es ab kommendem Jahr 120 Millionen für die Verbände und Vereine. Der Topf war, so das Mantra einer halben Generation von Sport-Funktionären, seit 2011 nie auch nur mit einem Cent valorisiert worden.
Die budgettechnische Umsetzung ist, da es in Sachen Staatshaushalt 2023 schon Fünf nach Zwölf war, noch offen.
Das Propaganda-Match, wem nun welche gute Gaben zu verdanken sind, ist eine Woche vor der offiziellen Budget-Rede des Finanzministers aber längst eröffnet.
Die Episode mit dem Vizekanzler als Last-Minute-Hero war nur der Auftakt. Bis Mittwoch Mitternacht wurde zwischen ÖVP und Grünen auch noch offene Fragen rund um das Heeres-Budget verhandelt. Denn die Ökos ließen sich die Aufstockung des Militäretats bis zur letzten Minute teuer abkaufen.
Karl Nehammer verschob seinen Aufbruch zum EU-Gipfel nach Prag, um das Ergebnis am Morgen danach um 8 Uhr früh im Innenhof der Rossauerkaserne selbst medial zu verkaufen.
Karl Nehammer
Soldat & Bundeskanzler
An den Rednerpulten der Kanzler, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Finanzminister Magnus Brunner (alle ÖVP) - alle drei umringt von Militärangehörigen in martialischer Montur: Vermummt, behelmt und schwer bewaffnet.
“Ich bin seit 30 Jahren Soldat”, eröffnete Nehammer den Budget-Morgenappell. In diesen drei Jahrzehnten habe er immer für eine höheres Heeresbudget gekämpft. Heuer sei es, nicht zuletzt angesichts des Kriegs, endlich soweit. Das Verteidigungs-Budget wird in nächsten vier Jahren um stattliche 5,3 Milliarden Euro aufgestockt.
Die ÖVP bleibt damit freilich weit hinter ihren Versprechungen zurück.Die morgendliche PR-Offensive drohte sich so schon vom Start weg in einer selbst aufgestellten Falle zu verheddern. Denn Nehammer & Co hatten schon vor Monaten angekündigt, das Militärbudget – nach Vorbild der neutralen Schweiz - in einem ersten Schritt von zuletzt 0,6 auf 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beinahe zu verdoppeln. Und in den kommenden Jahren gar auf 1,5 Prozent auszubauen.
Ausreichend Flankenschutz sollte dabei das im Frühjahr vom Verteidigungsministerium angekündigte Neutralitätspaket von zusätzlich 10 Milliarden Euro bieten. Damit sollte vor allem die Beschaffung moderner Waffensysteme für die Luftabwehr und gepanzerte Fahrzeuge finanziert werden.
2023 gibt es zwar ein kräftiges Budget-Plus fürs Heer, aber weder eine Beinahe-Verdopplung noch Extra-Milliarden. Um das hehre BIP-Ziel von 1 Prozent des Staatshaushalts fürs Heer auf dem Papier dennoch zu erreichen, wird der - aus anderen Staatstöpfen bediente - Pensionsaufwand ab sofort zu den klassischen Heeresausgaben hinzugezählt.
Der 2023 vergleichsweise erstmals ansehnliche Militär-Haushalt wird damit auf Befehl von oben ab sofort zusätzlich schöngerechnet. Das groß angekündigte 10-Milliarden-Neutralitätspaket wurde indes lautlos politisch bestattet.
Trotz des Etappensieges kommt das Milliarden-Plus fürs Militär, mit dem die ÖVP in Sachen Sicherheit bei den verunsicherten Wähler punkten wollte, so beinahe wie eine Niederlage rüber.
Das Abspecken der hochfliegenden Pläne ist nicht nur den allgemeinen Budgetnöten in Zeiten von milliardenschweren Hilfspaketen für Teuerungsopfer geschuldet.
Ein Grund für die Zurückhaltung ist auch: Durch den Krieg in der Ukraine ist am Rüstungsmarkt derzeit wenig und das wenige nur besonders teuer zu holen.
Noch peinlicher wäre es daher wohl gewesen, an einem Sonderbudget für Beschaffungen festzuhalten und bald danach kleinlaut eingestehen müssen: Sorry, wir wollten ja mit dem neuen dicken Portemonnaie groß einkaufen, aber die Regale in den Rüstungs-Supermärkten sind leider leer. “Der Rüstungs-Markt ist von den Nato-Ländern leergekauft, auf 5 Jahre hinaus sind keine großen Beschaffungen möglich, bestenfalls Drohnen”, sagt ein Heeres-Insider.
Geht es nach der ÖVP ist die große Shopping-Tour fürs Heer freilich nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Im Budget können die Weichen für die künftige Geldverteilung maximal für vier Jahre - via Aussteckung eines Budgetpfads - gestellt werden.
Die ÖVP bestand daher darauf, dem Parlament zusätzlich zum Heeres-Budget erstmals auch ein eigenes Bundesheer-Finanzierungsgesetz vorzulegen. Dort soll der gemeinsame politische Willen festgehalten werden, die Militärausgaben bis 2030 weiter Richtung 1,5 des BIP zu steigern.
Einfache Gesetze, zumal solche die derart weit in Zukunft reichen, können unter dem Druck anderer aktueller Prioritäten und vor allem unter anderen politischen Mehrheitsverhältnissen allerdings jederzeit geändert werden.
Diese unausgesprochene Perspektive, analysiert ein Teilnehmer Beobachter, hat es so auch den traditionell bundesheerkritischen Grünen leichter gemacht, einem deutlich erhöhten Heeresbudget samt ambitioniertem Steigerungsplan zuzustimmen.
Zudem soll ein “Friedenspaket” den Ökos und ihrer Basis das Ja leichter machen. So gibt es im Budget 2023 rund hundert Millionen mehr für die Entwicklungs-Zusammenarbeit, mehr Geld für Friedens- und Zivildiener. Ankäufe im Heer werden zudem künftig von einer neu geschaffenen Kontrollkommission begleitend kontrolliert.
“Es war oft mühsam, unterm Strich ist das Ergebnis aber ok”, resümiert ein ÖVP-Teilnehmer der Budget-Pokerrunden. “Es wurde hart, aber fair verhandelt”, resümiert ein grüner Budgetverhandler.
Das Gros der Budget-Verhandlungen wickelte ein kleines Team rund um den Kabinettschef des ÖVP-Finanzministers, Clemens August Niedrist, und den neuen Bürochef des grünen Vizekanzlers, Georg Günsberg, ab.
Als Anfang September alle handelnden Personen wieder komplett zurück aus den Urlauben waren, kam das Ringen um den gemeinsamen grün-türkisen Staatshaushalt 2023 nicht nur in die heiße Phase. Das Gelingen stand kurz auch auf der Kippe.
“Die Grünen haben für die geplanten Erhöhungen bei der Landesverteidigung mehr Geld für den Klimaschutz gefordert”, so ein ÖVP-Insider, “Sie haben auch eine Einigung beim Klimaschutzgesetz damit junktimiert.”
Das bisher gültige Klimaschutzgesetz ist Ende 2020 ausgelaufen. Seit damals wird koalitionsintern um ein neues Paragraphenwerk gerungen. Das Gesetz ist dazu gedacht, die Ziele des internationalen Pariser Klimaschutzabkommens auf nationale Ebene herunterzubrechen. Dafür sollen Emissionslimits bei den Treibhausgasen von der Industrie über den Verkehr bis zur Landwirtschaft fixiert und laufend kontrolliert werden.
Im Lager der Grünen wird von einigen Verhandlern der Versuch, maximalen Druck in Sachen Klimaschutzgesetz auszuüben hinter vorgehaltener Hand erst gar nicht geleugnet.
In der grünen Klubspitze hängt man einer anderen Lesart an: “Ein Gesetz kann man gar nicht mit einem Budget junktimieren.
Eine Regierung braucht ein Budget, um weiter arbeiten zu können. Gesetze sind davon unabhängig weiter Verhandlungssache.” Sprich: Ein Budget muss sein, ein Gesetz kann sein.
Fakt ist: Das drohende Patt im Budget-Poker wurde zur Chefsache. Karl Nehammer und Werner Kogler hatten den Millionen-Showdown an sich an die Minister-Kabinette und die Parlaments-Klubs delegiert. Anfang September mussten sie sich selber der Causa annehmen und einen Weg aus der Koalitions-Sackgasse suchen.
Ergebnis: Das Klimaschutzgesetz lässt weiter auf sich warten. “Es wird weiter verhandelt”, so die Sprachregelung im grünen Klub.
Immer mehr Grüne werden derzeit zudem nicht müde aufzuzählen, was die Ökos für den Klimaschutz auch ohne entsprechendes Gesetz bereits durchgesetzt hätten: Beginnend mit zusätzlichen Geldspritzen und neuen Spielregeln zur Förderung der Erneuerbaren Energie bis hin zum Klimaticket. “Wichtiger ist, dass man beim Klimaschutz praktisch etwas weitergeht als eine Debatte um ein Gesetz um des Gesetzes willen”, sagt eine grüne Strategin.
Ein ÖVP-Regierung-Insider beschreibt den aktuellen Stand in Sachen Koalitions-Spaltpilz Klimaschutzgesetz so: In beiden Lagern laufen die Lobbys Sturm. In der ÖVP Wirtschaft und Industrie, die in Krisenzeiten neue Umweltvorschriften fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Bei den Ökos setzen die Aktivisten von “Fridays for Future” & Co den grünen Koalitionspartner allerorten unter Druck, endlich mit den neuen Emissionslimits Ernst zu machen.
Resümee eines zentralen ÖVP-Spielmachers im Regierungsviertel: “Wir haben uns mit den Grünen dann so gefunden: Das Thema Klimaschutzgesetz ist emotional und politisch so aufgeladen, dass es für ihre Community immer zu wenig ist, was bei einem Kompromiss herauskommen kann und für unsere immer zuviel.”
Nüchterner Nachsatz: “Aber mit Geld kann man vieles lösen.”
Ergebnis: Mehr Geld für die Sicherheit – zuvorderst für das Heer, aber auch für die Polizei - wurde gegen mehr Geld für den Klimaschutz abgetauscht. Die Fördertöpfe im Klimaministerium, sagen Insider, quellen inzwischen über.
Die Gewinner des Budgets 2023 auf der Regierungsbank heißen so Klaudia Tanner und Leonore Gewessler. Aus Duell-Partnern um Heeres-Milliarden versus Klima-Milliarden wurde schlussendlich ein Sieger-Duo.
Für einen wichtigen Player am Budget-Poker-Tisch war es sein letzter Staatshaushalt. Ende Oktober kehrt der aktuelle Kabinettschef im Bundeskanzleramt, Markus Gstöttner, dem Regierungsviertel den Rücken - mit vorerst noch offenem Ziel.
Gstöttner startete unter Türkis-Blau als Wirtschaftsberater und Stellvertreter des Kurz-Intimus Bernhard Bonelli am Ballhausplatz und rückte nach Bonellis Abgang im Gefolge des Sturzes von Sebastian Kurz in die Position des Bürochefs auf.
Knapp ein Jahr nach der Übernahme des Kommandos durch Karl Nehammer in der Regierungszentrale verlässt nun der “letzte Mohikaner” aus dem Kurz-Team den Ballhausplatz.
Als neuer Kabinettschef von Karl Nehammer wird einmal mehr ein Weggefährte aus dessen Zeit im Innenministerium gehandelt: Sein damaliger Bürochef und nunmehriger Sektionsleiter im Innenressort, Andreas Achatz. Der gelernte Polizist, Ex-WEGA-Offizier und nunmehrige Ressort-Spitzenbeamte mit mehrfacher Kabinettserfahrung, passt ins “Beuteschema” Nehammers bei Personalentscheidungen. Der ÖVP-Regierungschef umgibt sich gerne mit engen Vertrauten aus früheren Tagen.
Mit Gstöttner verlässt nicht nur der letzte “Kurzianer” das Kanzleramt, sondern auch der wichtigste Verbindungsmann für die Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung.
"Bei einigen im Wirtschaftsbund wird das nun noch mehr die Alarmglocken klingeln lassen”, kommentiert ein ÖVP-Insider die kolportierte Rochade von Gstöttner zu Achatz an der Nehammer-Kabinettsspitze trocken: “Jetzt haben die ÖAABler endgültig die Alleinherrschaft im Kanzleramt übernommen.”