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Grüne grillen [Politik Backstage]

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Die Grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler bei der Abstimmung über das EU-Renaturierungsgesetz am Montag, 17. Juni 2024. Ihre "Ja"-Stimme ermöglichte den Beschluss des Gesetzes und löste in Österreich eine Koalitionskrise aus. Die FPÖ will Gewessler mittels Misstrauensvotum aus dem Amt befördern.

©APA/BMK/CAJETAN PERWEIN
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Die Blauen rangen bis zuletzt um die richtige Strategie in der Causa Gewessler. Wie Kickl & Co den nächstwöchigen Parlaments-Kehraus zum Showdown mit Türkis-Grün nützen wollen. Und warum eine grüne Minister-Anklage ein prominentes schwarzes Vorbild hätte.

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Unter FPÖ-Spitzenpolitikern sorgte hinter den Kulissen jüngst ein Thema für kontroversielle Debatten: Wie können die Blauen die politische Bühne in den fußballfreien Tagen noch nützen, um nach dem Mega-Knatsch um Leonore Gewessler die türkis-grüne Regierung noch einmal öffentlich gnadenlos vorzuführen?

Der Parlaments-Kehraus ab Mittwoch kommender Woche im Hohen Haus bietet sich dafür aus Sicht der Blauen am besten an. Ab Mittwoch steht – zumindest für drei Tage – kein Match an, bei dem das heimische EM-Team wieder alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnte.

Die Blauen wollen die bereits jetzt absehbare Spielpause nutzen, um das tiefe türkis-grüne Zerwürfnis rund um das „Ja“ von Leonore Gewessler zum EU-Renaturierungsgesetz noch einmal scharf ins Visier nehmen. Der Positionswechsel der österreichischen Umweltministerin von Enthaltung zu Zustimmung machte – als Zünglein an der Waage – das knappe EU-Ja zu diesem Schreckgespenst des ÖVP-Bauernbunds erst möglich.

Blaue setzen auf ÖVP-Bauernbündler

Auf dem kleinsten aber vergleichsweise mächtigsten ÖVP-Bund ruhen denn auch die Hoffnungen der Blauen in der Causa Gewessler.

Fix war schon seit Tagen, dass die FPÖ einen Misstrauensantrag gegen die Ministerin einbringen wird. Auf diese Weise war zuletzt – historisch einmalig – im Mai 2019 mit den entscheidenden Stimmen von Blau und Rot Sebastian Kurz als Kanzler und mit ihm die ganze türkise Regierungs-Reichhälfte gestürzt worden. Die blauen Minister hatten schon davor aus Protest gegen den Hinauswurf von Herbert Kickl – bis auf die schon damals verhaltensauffällige Außenamts-Chefin Karin Kneissl – demissioniert.

Minister aus einer – zumindest formal weiter bestehenden – Koalition hinauszuschießen, kann nur gelingen, wenn es die Opposition schafft, Regierungsmandatare auf ihre Seite zu ziehen. Beste Chancen dafür bestehen bei einer geheimen Abstimmung über einen Misstrauensantrag. Wer hier aus der Parteilinie ausschert, tut das unauffällig mittels Stimmzettel in einem verschlossenen Kuvert und ist so auch für die eigenen Leute beim besten Willen nicht identifizierbar.

Knappe Koalitionsmehrheit knackbar?

Einige FPÖ-Leute rund um den niederösterreichischen FPÖ-Chef und Landeshauptfrau-Vize, Udo Landbauer, spielten daher mit dem Gedanken, auf eine geheime Abstimmung im Hohen Haus zu drängen. Die ÖVP verfügt derzeit über 71, die Grünen über 26 Mandatare. Es bräuchte bei der ÖVP nur 6 Abweichler, damit die nur einstellig abgepolsterte Koalitionsmehrheit von 97 Mandaten unter die Mehrheitshürde von 92 (von insgesamt 183) Abgeordnetenstimmen fällt.

Aus Sicht von FPÖ-Planspielern eine leichte Übung: Es reicht, wenn nur jeder dritte der 18 Bauernbund-Mandatare im geschützten Geheimen die Abstimmungsfaust gegen Gewessler ballt. Das Feindbild Nr. 1 der rechten Reichshälfte wäre als Ressortchefin Geschichte. Die Zeichen stünden wegen Gegenstimmen aus den eigenen Reihen auf Koalitionsbruch und Karl Nehammer stünde mit Werner Kogler endgültig vor einem Scherbenhaufen.

Alle Pläne, gemeinsam noch ein paar gewichtige Job-Vergaben abzutauschen und last minute gemeinsam durchzudrücken, wären perdu. Über allem wäre auch der jüngste, zentrale Slogan der ÖVP zertrümmert: Karl Nehammer beißt als Staatsmann noch einmal die Zähne zusammen und macht mit den grünen "Gesetzesbrechern" nur weiter, um dem Land ein totales Chaos und den Steuernzahlern viele Milliarden zu ersparen.

Blaues Planspiel mit Fallen

Das blaue Planspiel, die Regierung in den kommenden Parlamentstagen ins finale Out zu spielen, hat zwei entscheidende Schönheitsfehler.

Ein Antrag auf eine geheime Abstimmung kann durch das Verlangen von nur ein paar Handvoll Abgeordneter auf namentliche Abstimmung ausgehebelt werden. Im Sinne der Transparenz sticht das Begehren nach einer offenen das nach einer geheimen Abstimmung aus. Im Fall der namentlichen Abstimmung kann freilich jeder auf Grund der Farbe des coram publico eingeworfenen Stimmzettels sehen, wer mit Ja und wer mit Nein stimmt. Drei Monate vor dem Endkampf um deutlich weniger Mandate wäre ein Ausscheren aus der Parteilinie Harakiri mit Anlauf.

Die Realisten in der FPÖ gehen daher für kommende Woche davon aus: Die ÖVP wird auf einer namentlichen Abstimmung bestehen. Die auch im Fall Gewessler in der ÖVP zähneknirschend ausgegebene Parole, “Wir lassen uns von der FPÖ keine Ministerin rausschießen” wird halten.

Pinkes Ja-Aber, gespaltene Rote

Bei den Grünen gibt sich das Team um Kogler & Co selbst für den höchst unwahrscheinlichen Fall einer geheimen Abstimmung über die frisch gestrichene “grüne Heldin” Leonore Gewessler entspannt. Selbst wenn die schwarz-türkisen Dämme da und dort brechen würden, fürchten die Grünen nicht den Sturz der Ministerin. Die 31 Stimmen der FPÖ reichten auch mit ein paar Dutzend schwarz-türkisen Abweichlern nicht für eine Mehrheit gegen Gewessler. Der Rest der Opposition ist zumindest gespalten.

Die Neos sehen zwar deren innerösterreichische Vorgangsweise sehr kritisch, die Entscheidung in der Sache auf EU-Ebene halten die Pinken aber für richtig. Die SPÖ ist zumindest in den zwei mandatsstärksten Bundesländern last minute auf die Linie Gewesslers eingeschwenkt und machte – aus deren Sicht – ihr Vorgehen bei der historischen Abstimmung in Luxemburg erst möglich. Denn mit dem Ausscheren Wiens per Landesregierungsbeschluss knapp eine Woche vor dem D-Day für das EU-Renaturierungsgesetz, war – zumindest politisch – die bisher eherne Länderfront gegen dieses Kernstück des "Green Deal" gebrochen. Auch der Kärntner SPÖ-Chef und Landeshauptmann Peter Kaiser signalisierte persönlich ein klares Ja zum Gewessler-Kurs. Für einen herzeigbaren Regierungsbeschluss fehlte Kaiser freilich die Unterstützung seines Koalitionspartners ÖVP.

Namentliches Misstrauens-Votum gegen Gewessler fürs Wahlkampf-Blaming

In der FPÖ dürfte sich so inzwischen die Meinung durchgesetzt haben: Der Misstrauens-Antrag gegen Gewessler soll und wird namentlich abgestimmt werden. Vor allem aber das Nein zum Ministerin-Sturz jener Bauernbund-Mandatare, die Gewessler besonders heftig attackiert hatten,  soll und wird danach in deren Wahlkreis massiv als Beleg für deren "Scheinheiligkeit" kampagnisiert werden.

“Wir werden es der ÖVP ab sofort überall schwer machen, mit ihrer Doppelzüngigkeit durchzukommen: Auf der Vorderbühne Gewessler zu Recht zur Staatsfeindin zu erklären, im Hinterzimmer aber bis zum bitteren Ende weiter mit den Grünen packeln”, proklamiert ein FPÖ-Mann.

Schwarz-türkiser Erklärungs-Notstand

Das ist nicht nur besonders starker Tobak aus dem blauen Eck des vormaligen türkisen Koalitionspartners. Jeder Tag mehr in den verbleibenden drei gemeinsamen türkis-grünen Regierungsmonaten zementiert zudem den Erklärungsnotstand der ÖVP: Gewessler Ungebrochen offensiv des Verfassungsbruchs zu bezichtigen, aber weiterhin mit ihr am Regierungstisch sitzen zu bleiben.

Den Einsatz der schärfsten Waffe, einer Ministeranklage, hat die ÖVP mit Hinweis auf ein sonst drohendes politisches und budgetäres Chaos ja verworfen. Offen ist aber, ob eines der ÖVP-geführten Bundesländer Gewesslers Abstimmungsverhalten vom Verfassungsgerichtshof bewerten und allenfalls auch ahnden lässt.

Dass damit erstmals eine Ministeranklage in Österreich ins Rollen käme, hält einem zweiten, genauem Blick freilich nicht stand. Diese schärfste juristische Waffe gegen einen amtierenden Vertreter der Staatsspitze wurde bisher nur einmal eingesetzt – allerdings nicht gegen ein Regierungsmitglied, sondern gegen einen Landeshauptmann, der den gleichen Spielregeln unterliegt.

Vor nunmehr dreißig Jahren brachte pikanterweise die damalige rot-blaue Regierung unter SPÖ-Kanzler Fred Sinowatz und FPÖ-Vizekanzler & Wirtschaftsminister Norbert Steger eine Ministeranklage gegen den Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer, Vater des amtierenden gleichnamigen ÖVP-Landeschefs, vor dem Verfassungsgerichtshof ein.

Länder-Feindbild Gewessler in den Fußstapfen eines bockigen Landesfürsten?

Der heute gern für erste Weihnachtseinkäufe genutzte Marien-Feiertag am 8. Dezember war 1984 noch den strikten Regeln des Ladenschlusses und Arbeitsruhegesetzes für Feiertage unterworfen. Haslauer erlaubte den Salzburger Händlern aber ausdrücklich das Aufsperren ihrer Geschäfte aus wirtschaftlichen Gründen. Andernfalls würden 2 Milliarden Schilling (inflationsbereinigt heute mehr als eine Viertel-Milliarde Euro) aus Salzburg Richtung der schon damals uneingeschränkt offenen deutschen Geschäfte im Salzburger Grenzraum abfließen.

Obwohl das die zuständigen Minister ausdrücklich untersagten, glaubte sich Haslauer über die Order aus Wien rechtsgültig hinwegsetzen und via mittelbare Verwaltung wegen "wirtschaftlichen Notstands" eine Ausnahmegenehmigung erlassen zu können.

Erste Minister-Anklage endete mit klarem Schuldspruch

Die rot-blaue Bundesregierung witterte beim schwarzen Landesfürsten einen “Verfassungsbruch” und rief den Verfassungsgerichtshof an. Mehr als ein halbes Jahr danach sprachen die Hermelin-Träger Haslauer im Rahmen einer Ministeranklage als ersten und bislang einzigen Amtsträger schuldig. Über den höchstrichterlichen Schuldspruch hinaus blieb das Urteil freilich folgenlos. Haslauer blieb im Amt, musste weder eine Geldstrafe zahlen oder wurde sonst wie pönalisiert. Er musste mit dem für den eingefleischten Juristen schmerzhaften Makel eines höchstgerichtlich festgestellten Rechtsbruchs leben.

Als Rechtsvertreter von Wilfried Haslauer vor dem Verfassungsgericht trat damals sein Sohn auf, inzwischen längst auch sein Nachfolger im Amt.

In der Causa der widerspenstigen Umweltministerin agiert Wilfried Haslauer jun. zwar auf Parteilinie. Im Vergleich zur martialischen Wortwahl der Salzburger Ministerin Karoline Edtstadler wie “Verfassungsbruch” oder "schrecklich und gefährlich" greift Haslauer zur feinen Klinge: “Das Vorgehen von Bundesministerin Gewessler ist undemokratisch und äußerst bedenklich. Darüber hinaus ist es rechtswidrig, dieser EU-Verordnung unabgestimmt und trotz fehlender Zustimmung der Bundesländer den ‚Sanctus‘ auszusprechen.”

Das Vokabel “Ministeranklage” kommt Wilfried Haslauer jun. dreißig Jahre nach der leidvollen einschlägigen Premiere mit keiner Silbe über die Lippen.

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