Kanzler Karl Nehammer und Vize Werner Kogler geben sich kämpferisch: "Wir müssen selbstbewusster auftreten."
©APA/Georg Hochmuth28 Antiteuerungsmilliarden, aber null Applaus. Nach der Strompreisbremse suchen Karl Nehammer und Werner Kogler verzweifelt auch nach einer politischen Crash-Bremse. Eine gemeinsame PR-Offensive soll die Stimmung heben.
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Es war kein Streit, auch gab es keine Schuldzuweisungen. Es war vielmehr ein etwas ratloses gemeinsames Räsonieren. Nach außen wollte die Regierung vor der politischen Sommerpause Ende Juli noch einmal Tatkraft signalisieren: Beim groß inszenierten Sommerministerrat im niederösterreichischen Mauerbach wurde Ende Juli eine "Strompreisbremse" angekündigt. Intern war freilich einmal mehr Katzenjammer angesagt. Die Türkis-Grünen, die seit Wochen in den Umfragen im freien Fall sind, suchen verzweifelt nach einer politischen Crash-Bremse. Denn Österreichs türkis-grüne Regierung fühlt sich weit unter Wert geschlagen.
Tenor beim gemeinsamen Wundenlecken am Kabinettstisch: Kein Land in Europa habe so schnell und so viel Geld in die Hand genommen, um die Teuerungswelle abzufedern. Dennoch dominiere die politische Debatte der Vorhalt: Die Regierung tue nichts oder viel zu wenig, um die galoppierenden Preise in den Griff zu bekommen. "Das fast zehnmal größere Italien muss vergleichsweise bescheidene 18 Milliarden als Inflationshilfe-Paket erst auf den Weg bringen. Wir haben ein erstes Paket von 28 Milliarden Euro bereits fix und fertig zur Verteilung an die Bevölkerung", räsoniert ein Regierungsinsider. "Wir haben uns daher selbstkritisch gefragt, warum es uns bisher nicht gelungen ist, das erfolgreicher zu kommunizieren."
Vor allem eine Episode, die August Wöginger in die Runde eingebracht hatte, sorgte für besondere Nachdenklichkeit. Der ÖVP-Klubobmann erzählte, sein Vater habe als Kleinstpensionist zwar jüngst 300 Euro mehr erhalten. Dass dies als Teuerungsausgleich gedacht ist und wer der freundliche Absender der Geldüberweisung ist, weiß er nur deshalb, weil ihm das August Wöginger persönlich erklärt hat.
In der ersten Augustwoche gab es auch eine zusätzliche Sonderfamilienbeihilfe von 180 Euro pro Kind. Auf die Frage der Ministerrunde an die ÖVP-Familienministerin, ob diese Extrazahlung auch als solche in den Kontobuchungszeilen ausgeschildert sei, musste Susanne Raab passen. Soweit sie wisse, habe das Bonus-Familiengeld kein Mascherl. Jetzt soll das Wissen um den gutwilligen Absender des Antiteuerungsgeldsegens unters Volk gebracht werden.
"Wir brauchen uns mit unseren Maßnahmen wirklich nicht zu verstecken", resümiert ein Mitglied am türkis-grünen Kabinettstisch:"Eine vierköpfige Familie erhält mit dem Klimabonus und Antiteuerungsbonus im Herbst 1.500 Euro aufs Konto."
Beide Regierungslager wollen jetzt reichlich spät bei der Eigenpropaganda nachbessern. Finanzminister Magnus Brunner und Familienministerin Susanne Raab priesen so jüngst die Bonus-Familienbeihilfe in einem eigenen Medienauftritt an. ÖVP-Chef Karl Nehammer will seine Sommertour durch die Bundesländer entsprechend nutzen.
Der türkise Kanzler und sein grüner Vize wollen in den nächsten Wochen vermehrt auch gemeinsam mehr Kampfeswillen um die Rückeroberung des Vertrauens in ihre Regierungskünste zeigen. "Wir müssen selbstbewusster auftreten. Ärmere Pensionisten kommen mit unseren Hilfspaketen auf locker 2.000 Euro", propagiert ein Regierungsmitglied.
Grün-intern wird nun auch eine Herbsttour für den Vizekanzler geplant. Werner Kogler will in Town-Hall-Meetings nicht nur die Antiteuerungsmaßnahmen unter die Leute bringen, sondern sich auch kritischen Fragen stellen. Denn zu den Town-Hall-Meetings sollen nicht nur Grün-Fans, sondern offensiv Bürger aller politischen Lager eingeladen werden. "Dass wir kommunikativ wieder besser werden, ist mehr als überfällig", sagt ein Regierungsstratege, "aber am Ende zählt wohl am meisten, was die Leute am Konto haben und konkret im Börsel spüren."
Im Regierungsviertel brüten so auch während der Sommerpause die Kabinettsexperten über einem bürokratisch und vor allem kommunikativ simplen Modell für die Ende Juli angekündigte Strompreisbremse.
Denn der Teufel steckt hier einmal mehr im Detail. Bei mit Steuergeld gestützten Tarifsenkungen hat es die Regierung auf dem Energiesektor mit bis zu 300 Adressaten zu tun. Daher sympathisieren wichtige Player im Regierungsviertel nach wie vor mit der Idee eines Kontingents an Gratisstrom für jedermann.
Für diesen einfachsten Weg zu einem Stromrechnungsdeckel braucht es keine Einzelabmachungen mit jedem Unternehmen, sagen Regierungsjuristen, aber eine Zweidrittelmehrheit im Parlament und damit zumindest eine dritte Partei als Partner. Sicher ist: Die Strompreisbremse wird den Finanzminister - je nach Modell - neuerlich einen einstelligen Milliardenbetrag kosten.
Die Gegenfinanzierung macht in Zeiten noch billiger Zinsen im Regierungsviertel dennoch nach wie vor am wenigsten Kopfzerbrechen. Mehr Sorgen machen politisch vorausschauenden Köpfen die nächsten Quartalszahlen der börsennotierten Energieunternehmen. Schon die zuletzt um bis zu 400 Prozent höheren Gewinnmargen lösten breite politische und mediale Debatten aus. Neuerliche Herbst-Rekordzahlen könnten den Unmut über massiv steigende Gas- und Stromrechnungen noch weiter befeuern.
Die Grünen brüten daher derzeit zudem über einem - auch dem Koalitionspartner zumutbaren - Modell einer Übergewinnsteuer. "Für uns ist das weniger eine Frage der Finanzierbarkeit der Antiteuerungsmaßnahmen, sondern primär eine Gerechtigkeitsfrage", sagt ein grüner Stratege. Im Fokus der Energiesteuerpläne sollen nicht nur Unternehmen im Staatseigentum wie etwa der Verbund sein, sondern auch alle privatwirtschaftlichen Superverdiener im Energiesektor.
Sollte die Preisexplosion bei Lebensmitteln und Treibstoffen im Herbst die nächste Eskalationsstufe erreichen, dann - deuten beide Lager schon jetzt an - werden auch bisherige Tabus massiv in Frage gestellt.
Wenn sich der Benzinpreis in Richtung 2,20 Euro oder mehr verfestigt, werden die Türkisen die CO2-Bepreisung neuerlich in Frage stellen. Am Ende könnte dann eine Mehrwertsteuersenkung herauskommen. Eine Maßnahme, die Türkis und Grün bisher unisono verworfen hatten, weil die Tarifsenkung zuletzt etwa in Deutschland durch steigende Treibstoffpreise rasch verpufft ist.
Den Mineralölfirmen, die im Verdacht stehen, im Windschatten der Steuersenkung an der Preisspirale gedreht zu haben, wollen zumindest die Grünen für diesen Fall die Rute ins Fenster stellen. Sie liebäugeln mit einer Beweislastumkehr: Nicht die Politik müsse dann den Firmen nachweisen, sich ein Körberlgeld beschafft zu haben, sondern die Ölmultis müssten beweisen, die Steuersenkung nicht für ein paar Extracent plus benutzt zu haben.
Steigen auch die Lebensmittelpreise weiter an, könnte auch hier die Mehrwertsteuer bei Grundnahrungsmitteln gesenkt werden. Um Missbrauchsmöglichkeit wie bei Treibstoffen zu vermeiden, soll vorab die Bereitschaft der beiden großen Handelskonzerne sondiert werden, sich einer freiwilligen Preisbeobachtung zu unterziehen.
Sicher ist schon jetzt: Ein heißer Inflationsherbst droht das politische Klima noch weiter anzuheizen. Um die dräuenden Verwerfungen halbwegs unter Kontrolle zu halten, suchen Karl Nehammer und Werner Kogler hinter den Kulissen auch stärker denn je, den Kontakt zu möglichst vielen politischen Playern zu intensivieren.
So werben sie beispielsweise bei den Hilfs- und Lobby-Organisationen wie Caritas, Armutskonferenz & Co. um mehr öffentliches Wohlwollen für ihre Maßnahmen. Ins schlingernde Krisenboot geholt werden sollen vermehrt auch Gewerkschaft und Industrie. Ein Schlüsselspieler im Regierungsviertel sagt mit Blick auf die kommenden Monate: "Wenn alles noch dreifach und vierfach teurer werden sollte, dann hat der Herbst das Potenzial, sehr disruptiv zu werden. Es ist und bleibt weiter ein Fahren auf Sicht."
Die weiteren Beiträge von Josef Votzi finden Sie im Thema "Politik Backstage von Josef Votzi"
Der Artikel ist der trend. Edition vom 12.August 2022 entnommen.