Die Präsidentschaftskanzlei am Wiener Ballhausplatz
©Peter Gugerell / Public DomainWas der Bundespräsident bei einem diskreten Dinner mit Babler zu besprechen hatte. Wie es VdB & Co nach Fico- & Trump-Attentat mit dem Personenschutz halten. Und warum der türkis-grüne Personalpoker auf der Stelle tritt.
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Für heimische Fußball-Fans gab es Mittwoch vergangener Woche einen Pflichttermin. Mit England gegen die Niederlande stand das letzte Match im Halbfinale der EM 2024 in Dortmund an.
Am Wiener Heumarkt schlendern rund gut zwei Stunden vor Spiel-Beginn Alexander Van der Bellen und Doris Schmidauer Richtung des Edel-Beisls “Gmoakeller”. Im Schlepptau haben der Bundespräsident und seine Frau SPÖ-Chef Andreas Babler und dessen Partnerin Karin Blum.
Im schattigen Gastgarten machen sich an diesem frühen Abend eines einmal mehr extrem heißen Juli-Tages zunehmend halbwegs erträgliche Temperaturen breit. In die von der Tageshitze noch aufgeheizten Innenräume zieht es daher so gut wie niemanden. Die Ehepaare Van der Bellen und Babler bleiben daher diskret unter sich als sie in einem Eck im weitläufigen Gastraum Platz nehmen.
Geeiste Gurkensuppe im "Gmoakeller"
Zum Aperitif werden Prosecco, Bier und ein Sommerspritzer geordert. Gegen die Hitze lässt die Vierer-Runde geeiste Gurkensuppe und dem Wetter entsprechend leichtere Kost wie Lachssteak und geröstete Eierschwammerl servieren.
Es ist zwar nicht alltäglich, dass der Bundespräsident mit Politiker-Kollegen abends auf ein Bier und einen Happen geht. Van der Bellen pflegt aber seine Kontakte mit Amtsträgern in der Republik nicht nur hinter der berühmten Tapetentür in der Wiener Hofburg. Im Regierungsviertel laufen sich Präsident, Kanzler, Minister, Sozialpartner-Spitzen oder Abgeordnete auch abseits der Hofburg bei Empfängen, Eröffnungen oder anderen offiziellen Terminen regelmäßig über den Weg.
VdB urgiert rasche EU-Kommissars-Kür
Dabei ergibt sich auch das eine und andere informelle Vier- oder Mehraugen-Gespräch – so wie zuletzt als Van der Bellen bei ÖVP-Spitzenleuten wiederholt auf eine rasche Entscheidung bei der Besetzung des EU-Kommissars drängte.
Ein Wunsch, der zustimmend und höflich zur Kenntnis genommen, in der ÖVP aber auch gallig so kommentiert wurde: Erste Adresse bei Drängen auf eine rasche Lösung des Personalknotens seien die VdB nicht ganz unvertrauten grünen Parteispitzen, die im Personalpoker noch immer nicht ihre kompletten Karten auf den Tisch legen würden.
Mit Babler hatte Van der Bellen an diesem Abend anderes zu besprechen. Der Traiskirchner Bürgermeister ist gerade erst seit einem Jahr in der Spitzenpolitik. Abseits des offiziellen Vorstellungstermins und ein paar flüchtiger Begegnungen hatte die beiden noch wenig Gelegenheit, einander persönlich zu beschnuppern.
Auf ein paar Zigaretten mit Babler
Nicht nur der Bundespräsident ist mit Aussicht auf die komplexe Gemengelage nach der kommenden Wahl daran interessiert, ein halbwegs belastbares Vertrauensverhältnis für die erwartbar schwierigen Sondierungs- und Koalitionsgespräche aufzubauen.
Nirgendwo kommt gemeinhin mehr Vertrautheit auf als bei der einen und anderen gemeinsamen Zigarette. Als Alexander Van der Bellen und Andreas Babler sich dazu in ein Eck des Gastgartens begeben, postiert sich ein Mitglied aus dem Begleitteam des Bundespräsidenten vor der Eingangstür ins Lokal. Drei Begleitpersonen haben mit Beginn des Abends am ersten Tisch links vom Eingang des Gmoakeller Platz genommen.
24 h-Personenschutz für Präsident, Kanzler & Innenminister auf österreichisch
Der Bundespräsident zählt gemeinsam mit dem Kanzler und dem Innenminister zu den Personen, die in jedem Fall unter permanentem Schutz stehen. Bierernst nehmen es die Cobra-Bewacher mit dem permanenten Personenschutz an diesem lauen Abend für das Staatsoberhaupt aber nicht. Die beiden Politiker verziehen sich bald in eine Seitengasse des Heumarkts, wohl um niemanden mit den Rauchschwaden zu belästigen und wohl auch, um unbehelligt von neugierigen Beobachtern ihrem Laster zu frönen. Ein paar Gäste huschen dennoch ums Eck, um ein Selfie mit Van der Bellen zu ergattern.
Der diensthabende Beamte bleibt seelenruhig in der Tür stehen und würdigt das Geschehen, das sich längst außerhalb seines Sichtfeldes verlagert hat, keines Blickes.
Dass der Umgang mit Sicherheitsfragen auch im unmittelbaren persönlichen Umfeld hierzulande oft lockerer als anderswo genommen wird, wurde der breiten Öffentlichkeit rund um ein Cobra-Team geläufig, das mit den Folgen eines Umtrunks im Wohnzimmer der Kanzler-Familie für Schlagzeilen sorgte.
Gros der Cobra-Bewacher hochprofessionell
Das Gros der Beamten, so der Tenor im Regierungsviertel, macht aber einen hochprofessionellen und untadeligen Job.
Rund um die wöchentliche Ministerrats-Sitzung tummeln sich oft mehr auffällig unauffällige Männer mit einem Knopf im Ohr in den Räumen des Kanzleramts als Journalisten. Selbst die paar Meter zwischen den Sitzungsräumlichkeiten und Kanzlerbüro durchs Stiegenhaus legt der Regierungschef abgeschirmt von ein paar Cobra-Leuten zurück.
In der Cobra-Spitze gab es auch ein großes Aufatmen als Van der Bellen bald nach Amtsantritt aus seiner damaligen Privatwohnung in Wien-Neubau auszog. Die Dachgeschoß-Wohnung war ob des im Fall des Bundespräsidenten gebotenen permanenten Personenschutzes beim besten Willen nicht ausreichend zu sichern. In seinem neuen Altbau-Domizil unweit des Diplomaten-Viertels im Dritten Bezirk bezogen die Personenschützer ein Appartement im Eingangsbereich und können so dafür bürgen, rund um die Uhr im Blick zu haben, wer im Haus ein- und ausgeht.
Auch Zadic, Raab & Rauch zeitweilig unter Personenschutz
In Spitzenzeiten standen zuletzt bis zu sechs Regierungsmitglieder unter Personenschutz.
Alma Zadic hatte schon vor Amtsantritt Drohbriefe ob ihres Migrationshintergrunds erhalten. Erste Interviews noch vor ihrer Angelobung als Justizministerin konnte sie daher nur in durch die Cobra sicherbaren Extrazimmern von Kaffeehäusern führen.
Auch ihre ÖVP-Minister-Kollegin Susanne Raab stand wegen ihrer Zuständigkeit für Integrationsfragen zeitweilig unter Personenschutz.
Im Fall von Ex-Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein war es der letzte Anstoß aus der Politik wieder auszusteigen, als er wegen Morddrohungen im Gefolge der beschlossenen Corona-Impfpflicht eine schusssichere Weste tragen sollte. Obwohl die Impfpflicht politisch und praktisch längst obsolet ist, musste auch sein Nachfolger Johannes Rauch zeitweilig auf Schritt und Tritt mit Personenschutz leben.
In den letzten Monaten hatte sich wieder etwas mehr von der davor gewohnten Routine breit gemacht.
Nach Fico- & Trump-Attentaten wird Personenschutz nachgeschärft
Das Attentat auf den Regierungschef der Slowakei, Robert Fico, hat intern die Aufmerksamkeitsspanne erhöht. Dramatische Auswirkungen hatte auch der Attentats-Versuch auf Donald Trump vom vergangenen Wochenende hierzulande noch nicht, versichern Insider im Viertel rund um Ballhausplatz.
ÖVP-Ressortchef Gerhard Karner ließ dieser Tage aber wissen: Das Innenministerium werde in Hinblick auf den dräuenden Wahlkampf alle Polit-Player kontaktieren, um deren Sicherheitskonzepte an ein bereits erstelltes neues "umfassendes Lagebild für jede Partei" anzupassen.
Türkis-grüner Personalpoker bleibt Causa prima
In den türkisen und grünen Kabinetten der Regierungsspitzen dominiert aber nach wie vor eine andere Causa Prima. Die Regierung hat nicht nur einige Spitzenjobs in der Nationalbank und in der Finanzmarkt-Aufsicht (FMA) vorzeitig zur Nachbesetzung ausgeschrieben. Österreichs Top-Position in der EU, der Posten des künftigen EU-Kommissars, ist tatsächlich zeitnah zu besetzen.
Mit der Wiederwahl von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gibt es keine Ausreden mehr, dass die Entscheidung noch Zeit habe. Viele Staaten haben ihre Kandidaten und Portfolio-Wünsche schon in Brüssel deponiert. Der Kanzler und der Wunsch-Kandidat der ÖVP, Finanzminister Magnus Brunner, ließen zwar die alte und neue Kommissions-Chefin schon bei ihrem Wien-Besuch Anfang Juni wissen, dass sich Brunner für ein Portfolio rund um Wettbewerbs- und Finanzagenden interessiert. Sechs Wochen danach gibt es dafür bald mehr Kandidaten als die derzeit erwarteten rund vier einschlägigen Kommissarsjobs.
Brunner lässt intern daher bereits verlauten, dass er nicht um jeden Preis Kommissar werden muss. Für ein Orchideenagenden-Ressort bei der Kompetenzen-Restel-Verwertung für die neue EU-Kommission stehe er nicht zur Verfügung.
Grüne drohen mit Njet gegen "EU-Sparefroh Brunner"
Wenn es nach den Grünen geht, sind Brunners Bedenken ob seiner künftigen Agenden in Brüssel bald obsolet. Brunner sei viel zu wenig europäisch und komme als türkis-grüner Kommissars-Kandidat daher nicht in Frage, heißt es von der Spitze der Grünen: ”Er ist ein Anhänger der Kleinstaaterei und gehört zur Sparefroh-Gruppe innerhalb der EU, die weniger statt mehr Geld in die Hand nehmen will. Etwa zum Ausbau der europäischen Infrastruktur und für den klimagerechten Umbau der Wirtschaft.”
Die Schwarz-Türkisen wissen um die grundlegende grüne Skepsis gegen Brunner und setzen daher auf die Taktik: Alles oder nichts. Während die Grünen die Personalentscheidungen Zug um Zug abhandeln wollen, wollen Nehammer & Co alle offenen Personalagenden zu einem Paket zusammenschnüren und in einem Aufwaschen entscheiden.
Das ginge so weit, mokiert sich ein Grün-Insider, "dass auch die Besetzung von Beiräten durch einen last minute beförderten Sektionsleiter mit in das Personalpaket gepackt wurde. Das ist absurd mit welchen Kleinigkeiten die Besetzung von Top-Jobs hier verknüpft wird.”
"Alles oder nichts" versus "Zug um Zug"
Unter den Grünen wurde daher die Parole ausgegeben: “Die ÖVP wird sich bewegen müssen, damit wir hier weiterkommen.”
In der ÖVP wiederum wird zunehmend beklagt, dass “die Grünen nicht alle ihre Karten auf den Tisch legen”. Und: “Die Grünen haben keinen klaren Exit. Sie wollen Brunner nicht, weil er zu wirtschaftsliberal sei. Mit Edtstadler können sie vorgeblich schon gar nicht. Wer ist denn genehm für die Grünen, außer am Ende vielleicht der Gust Wöginger, weil der mit Sigi Maurer nach wie vor gut kann?”, ätzt ein ÖVP-Wirtschaftsbund-Mann.
Mit dem dringenden Wunsch von Ursula von der Leyen nach ihrer erfolgreichen Wiederwahl an die EU-Mitgliedsstaaten, je einen Mann und eine Frau zur Sicherung der Geschlechterparität als Kommissars-Kandidaten zu nominieren, tut sich eine neue Hürde für Türkis-Grün auf: Brunner und Edtstadler auf dem Österreich-Ticket wäre für die Ökos ein doppeltes No-Go.
ÖVP bringt EU-Evergreen Hahn ins Spiel
Das Powerplay rund um das Personalpaket zerrt ÖVP-intern indes derart an den Nerven, dass zuletzt tatsächlich unerwartete Varianten ins Spiel gebracht wurden. Wohl primär, um die Grünen aus der Reserve zu locken wurde im Kreis um Karl Nehammer ausgelotet, ob der scheidende EU-Kommissar Johannes Hahn nicht noch einmal in Brüssel einrücken will.
Der 66jährige ÖVP-Mann war seit 2010 bereits zweimal von einer rot-schwarzen Regierung zum Kommissar gekürt worden. Seine dritte Bestellung verdankt er dem politischen Chaos und Patt nach Ibiza. Die – nach der Abwahl des Kabinetts Kurz – eingesetzte Beamtenregierung wollte mit der Wiederbestellung von Amtsinhaber Hahn das Risiko des Scheiterns im Parlament vermeiden.
Denn nach dem einstimmigen Ja der Regierung muss auch der Hauptausschuss des Nationalrats grünes Licht geben. Zu ihrem Kommissars-Kandidaten von gestern und vorgestern konnten Rot und Schwarz schwer Nein sagen.
Wahlkampfbühne Ballhausplatz: Kanzler Nehammer, wer sonst?
Auf der Vorderbühne ließ Karl Nehammer diese Woche einmal mehr wissen, dass er in Sachen EU-Kommissar keinen Zeitdruck sehe. Der Kanzler wollte sich so auch seine neueste Inszenierung nicht stören lassen. Gemeinsam mit den Chefs von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung, Harald Mahrer und - Georg Knill, präsentierte der Regierungschef derweil lieber einen “Wachstumsplan für Österreich”.
Das umfangreiche Maßnahmenpaket zur Behebung des Fachkräftemangels, Senkung der Lohnnebenkosten und Belebung des Kapitalmarkts hat eines gemeinsam: Die hehren Pläne müssen unter dem türkis-grünen Kanzler Papier bleiben und können bestenfalls von einer kommenden Regierung in Angriff genommen werden.
Das ficht die Strategen am Ballhausplatz nicht an, denn sie proklamieren, wo immer sie können, bereits lautstark: „Das ist eine Aufgabe für die nächste Regierung Nehammer.“
Das ist nicht die einzige Message dieser Art, die die Kanzler-Truppe dieser Tage öffentlich trommelt. Nehammer wolle 2025 auch zwei Straßenbauprojekte in Niederösterreich wiederbeleben, die das türkis-schwarze Feindbild Leonore Gewessler als Infrastruktur-Ministerin abgeblasen hatte.
Personalpakete können aus ÖVP-Sicht noch warten. Ab sofort ist am Ballhausplatz ein schwarz-türkises Wunschkonzert eröffnet, in dem die Grünen garantiert keine Rolle mehr spielen sollen: Kanzler Nehammer, wer sonst?