Deutschlands Ex-Umweltminister JÜRGEN TRITTIN im trend. Interview über die neue antiökologische Allianz der politischen Rechten und die Klimaschutz-Chancen des geplanten Freihandelsabkommens EU-Mercosur.
Von Klimaschutzpolitikern höre ich in Hintergrundgesprächen immer öfter das Wort "Backlash": Das Renaturierungsgesetz, wichtiger Pfeiler des Green Deals, hat im EU-Parlament nur eine extrem knappe Mehrheit gefunden, das Habeck'sche Heizungsgesetz wird von Rechtspopulisten und Boulevardmedien in die Zange genommen, das E-Auto hat Akzeptanzprobleme.
Es gibt ein gemeinsames neues Feindbild von konservativen Christdemokraten vom Schlage eines Manfred Weber wie auch von Faschisten à la Vox oder Fratelli d'Italia. Neben dem Feindbild der Migranten, die für diese Kreise identitätsbildend sind, ist das der Klimaschutz. Es handelt sich um einen antiökologischen Diskurs, der mit der Leugnung des Klimawandels und der Verleugnung der Notwendigkeit der Transition einhergeht. Aber das ist kein "Backlash", sondern ein Kampf gegen die notwendige Veränderung. Wir haben in den ersten zwei Jahren der Ampel 170 Gesetze auf den Weg gebracht, wir erleben die Transformation jetzt hautnah. Diese Entwicklung versuchen rechte Kräfte zurückzudrehen. Aber dieser Versuch ist nicht immer erfolgreich, wie man bei "Restore Nature" im EU-Parlament gesehen hat.
Es lobbyiert doch auch die europäische Industrie stark für eine Neuformulierung der Ziele und Vorgangsweisen des EU Green Deals. Erwarten Sie noch größere Korrekturen?
Weite Teile des Green Deals sind inzwischen geltendes Recht, das ist das große Verdienst der EU-Kommission, fast hätte ich gesagt, der Timmermans-Kommission. Und es hat sich etwas geändert seit Anfang der 2000er, als ich Umweltminister war. Damals hat sich die Industrie gegen einen zu schnellen Fortschritt in der Klimaschutzpolitik formiert, um dann ein paar Jahre später zu sagen, sie sei ja schon immer an der Spitze gewesen. Dieser Mechanismus funktioniert heute so nicht mehr. Wir erleben, dass etwa in der Diskussion um das Verbrenner-Aus Teile der Industrie auf der Seite des Klimaschutzes, ja auch der Grünen gestritten haben. Und auch die Finanzwirtschaft ist heute in ihrem Anlageverhalten bedeutend weiter als noch vor wenigen Jahren. Friedrich Merz steckt im Vergleich dazu mental noch immer in den 1990ern fest. Die einheitliche Front "Wirtschaft gegen Ökologie" gehört der Vergangenheit an.
Habeck solle wohl "sturmreif geschossen" werden, haben Sie den grünen Wirtschaftsminister mitten in der Heizungsgesetzdebatte verteidigt. Gab es auch handwerkliche Fehler?
Es gab vielleicht kommunikative Fehler. Und der Fehler war eher, dass wir das Gesetz nicht schon im letzten Herbst gemacht haben.
Damals drohten die Gasversorger mit massiven Preiserhöhungen, in so einer Situation wäre das Gesetz auf große Zustimmung gestoßen.
Wir sind im Grunde Opfer unseres eigenen Erfolges geworden. Wir haben es geschafft, als Putin Deutschland den Gashahn zugedreht hat, alternativ Gas zu beschaffen sowie den Verbrauch in der Industrie um 20 Prozent, bei den privaten Haushalten um zehn Prozent zu reduzieren und so den Preis wieder runterzubringen. Wir haben uns in einem Jahr von Russland abgekoppelt und sind trotzdem nicht in den Blackout gerutscht. Der Druck zur Notwendigkeit der Veränderung hatte nachgelassen, als das Gesetz vorgelegt wurde. Was jetzt neu dazu gekommen ist, ist der antiökologische Schulterschluss der politischen Rechten. Wir haben zum ersten Mal erlebt, wie Jens Spahn und Friedrich Merz von der CDU quasi mit den gleichen Worten und den gleichen falschen Zahlen agiert haben wie Alice Weidel und Tino Chrupalla von der AfD. Angeführt wurde das von der "Bild"-Zeitung, die das ja nicht ohne Grund macht. Der größte Anteilseigner von Springer, der KKR-Fonds, ist massiv in fossile Industrien investiert.
Auf der anderen Seite geht der Erneuerbaren-Ausbau fast unbeirrt voran. Sind global verbindliche Ausbauziele bei der nächsten Klimakonferenz Ende November in Dubai realistisch?
Das ist jedenfalls eines unserer Hauptziele für die Konferenz. Damit stehen wir ja nicht allein: Der Inflation Reduction Act (IRA) der USA zielt auf die Förderung dieser Technologien. Wir erleben, dass in China so viel Geld wie nirgendwo sonst für den Ausbau Erneuerbarer ausgegeben wird, und wir sehen auch, dass Indien das Ziel hat, bis 2030 500 GW ans Netz zu bringen. Diese Initiativen zusammenzufassen und auf diese Weise tatsächlich eine Dekarbonisierung der Weltenergieversorgung auf den Weg zu bringen, das ist ein zentrales Projekt.
Was nehmen Sie von der Regierungsarbeit der österreichischen Grünen wahr?
Österreich hat eine riesige umweltpolitische Sensation geschafft: das Klimaticket. Alle meine österreichischen Freunde haben mir im Sommer bei meinen Besuchen in Wien und Salzburg davon vorgeschwärmt und erzählt, dass sie deshalb jetzt immer weniger mit dem Auto fahren. Das ist eine große Leistung, da können wir Grünen in Deutschland den Hut davor ziehen. Wir haben zwar das 49-Euro-Ticket durchgesetzt, aber das ist nicht so umfassend. Ein Instrument wie das Klimaticket würde auch bei uns helfen, die Schwachstellen im Klimaschutz zu beseitigen. Wir reden ja immer gerne über die Stromerzeugung - da sind wir sehr gut, die Ausbauziele sind übererfüllt. Wir haben jedoch zwei Sorgenkinder: die Industrie und den Verkehr. Bei Letzterem steigen die Emissionen sogar noch. Da ist Österreich für Deutschland noch Anreiz und Vorbild.
Anders als die österreichischen Grünen sind die deutschen nicht prinzipiell gegen das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen - unter der Voraussetzung, dass der Schutz des Regenwalds, des Klimas und der Menschenrechte in dem Vertrag verankert wird. Können Sie Ihren österreichischen Freunden erklären, warum diese Position sinnvoll ist?
Wir sind keine naiven Freihandelsbefürworter. Warum Mercosur grundsätzlich sinnvoll sein kann, hängt mit einer veränderten Welt zusammen. Wir haben dieser Tage eine Erweiterung der BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika erlebt. Wer nicht möchte, dass wir in eine Situation kommen, in der sich der globale Süden unter Führung von autoritären Mächten gegen die kapitalistischen Demokratien verbündet, der muss mit den Demokratien im globalen Süden verlässliche politische und wirtschaftliche Beziehungen anstreben. Dazu zählt neben Brasilien auch Argentinien, das jetzt Mitglied der BRICS werden will. Der Versuch eines Handelsabkommens und eine enge Bindung daran sind deshalb richtig. Die Alternative dazu wäre, diese Länder schlicht und ergreifend China zu überlassen. Das kann nicht im europäischen Interesse sein.
Das heißt, es gibt noch eine Chance, diese Länder für Bündnisse mit dem Westen zu gewinnen?
Es ist eine offene Auseinandersetzung. Der Ansatz der deutschen Außen-und Sicherheitspolitik - sowohl in der nationalen Sicherheitsstrategie wie in der neuen China-Strategie - ist, eine Politik zu entfalten, mit der wir andere Länder enger an uns koppeln, ohne unsere Beziehungen zu China, einem unserer größten Handels- und Investitionspartner, aufzugeben. Wir wollen kein Decoupling, also keine vollständige Abkopplung von China. Aber Sie haben gesehen, dass Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock anders als früher ihre ersten Reisen nicht nach China absolviert haben, sondern nach Japan und Indien, und dass es eine ausführliche Reisetätigkeit auch nach Brasilien gegeben hat. Wir meinen es also ernst, dass wir gute Beziehungen in dieser multipolaren Welt aufbauen wollen. Das ist die entscheidende globale Auseinandersetzung, die derzeit geführt wird: Wird Multpolarität nach dem Prinzip des Stärkeren gelebt oder schaffen wir es, mit ähnlich interessierten Kräften die Herrschaft des Rechts durchzusetzen?
Was sind aus Ihrer Sicht in den nächsten Monaten die wichtigsten politischen Themen, die innen- und außenpolitisch angegangen werden müssen?
Zentral ist die Frage, wie wir mit den Kriegen dieser Welt umgehen, nicht nur jenen in der Ukraine, sondern auch in Äthiopien oder im Kongo. Eine Welt, die weiterhin mit solchen Kriegen und Krisen beschäftigt ist, wird sich nicht darüber unterhalten können, ob es ihr gelingt, Fluchtursachen zu beseitigen. Nein, im Gegenteil: Wir sind durch unsere Politik mit dabei, diese Fluchtursachen zu vermehren. Diese Entwicklung zu durchbrechen ist die große Herausforderung. Dazu kommt natürlich die Frage, ob wir es schaffen, den Anstieg der klimaschädlichen Emissionen zu bremsen.
Die letzten Jahre hatten es in sich. Brexit, Trump, Covid, der russische Überfall auf die Ukraine - es schaut noch immer sehr viel stärker nach neuer Unordnung aus als nach neuer Ordnung. Sie haben neulich in Richtung der so genannten Boomer-Generation gesagt: "Hört auf zu heulen!" Sind wir wirklich so weinerlich geworden?
Es gibt eine Neigung, zu sagen: Früher war alles besser. Dabei ist es nur logisch, dass sich die Welt verändert. Und auf diese Änderungen muss man sich einstellen.
Zur Person: Jürgen Trittin, 69, war von 1998 bis 2005 unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder Umweltminister. Er ist Mitglied des deutschen Bundestags und außenpolitischer Sprecher seiner Partei.
Das Interview ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 8. September 2023 entnommen.