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Herbert Kickls Kick, ein Suchrätsel [Politik Backstage]

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Herbert Kickl beim FPÖ Neujahrstreffen in Wiener Neustadt am Samstag, 14. Jänner 2023.
Herbert Kickl ignoriert noch alle Netzwerke und will seinen Weg nach oben alleine fortsetzen.©APA/ALEX HALADA
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Von Jörg Haider bis Heinz-Christian Strache pflegten alle FPÖ-Chefs beizeiten ihre Wirtschaftsnetzwerke. HERBERT KICKL bleibt demonstrativ auf Distanz. Wie Kickl wirklich tickt, wer mit ihm kann und wie er seine Politik weiter anlegt.

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Wenn in Wirtschaftkreisen das Gespräch auf die jüngsten Verwerfungen in der Politik kommt, dann herrscht auch unter selbstbewussten Firmenbossen und erfahrenen Sozialpartner-Spitzen oft ratloses Schulterzucken. Tenor des politischen Smalltalks: So schwer einschätzbar waren die künftigen Machtverhältnisse schon lange nicht mehr.

Auslöser des ratlosen Nebelstocherns: der Wiederaufstieg der FPÖ oder, genauer gesagt, der Motor der rasanten blauen Welle, Herbert Kickl.

Der FPÖ-Chef ist zwar seit drei Jahrzehnten im Politikgeschäft. Persönlich ist der 54-Jährige außerhalb der engeren blauen Zirkel aber nach wie vor ein unbeschriebenes Blatt. Den direkten Kontakt zu den wichtigsten Playern etwa in der Sozialpartnerschaft und das Netzwerken mit Wirtschaftszirkeln überlässt der neue Oberblaue der zweiten und dritten Reihe in der FPÖ.

"Die pflegen zwar weiterhin die Kontakte, aber sobald es darum geht, auszuloten, wohin in konkreten Fragen die Reise geht, heißt es vage: Der Herbert wird da sicher was tun", so ein Spitzenmann in der Welt der Wirtschaft: "In der FPÖ hat allein ein Zirkel von drei, vier Personen rund um Kickl das Sagen."

Kickl signalisiert "null Interesse" an Austausch und Kontakten

Jörg Haider pflegte hinter den Kulissen regelmäßig persönliche Kontakte zu Wirtschaftskreisen. Topindustrielle wie Herbert Turnauer zählten nicht nur zu engen Vertrauten, sondern auch zu seinen tragenden finanziellen Unterstützern.

Auch der mit der Attitüde des antibürgerlichen Heros auftretende FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache knüpfte höchstpersönlich sein Netzwerk zu Spitzenmanagern und Topentscheidern. Der ehemalige Teilnehmer an Wehrsportübungen im Neonazi-Milieu nutzte etwa seinen Kontakt zum umtriebigen Unternehmer Martin Schlaff, um zu versichern, dass er mit seiner Vergangenheit gebrochen habe und an geordneten Beziehungen zur jüdischen Welt und zu Israel interessiert sei. Bei diskreten Dinners in Schlaffs Wiener Villa lotete Strache noch Monate vor der Schlüsselwahl 2017 beim damaligen SPÖ-Kanzler Christian Kern zudem die Chancen für eine rot-blaue Koalition aus.

Der Kurz-Zeit-Nachfolger Norbert Hofer unterhielt als Infrastrukturminister schon von Amts wegen viele Managerkontakte. Nachdem Herbert Kickl Mitte 2021 den in seinen Augen zu verbindlichen Burgenländer erfolgreich weggemobbt hatte, nahm er zwar da und dort Einladungen zu einem Kennenlerntermin in Wirtschaftskreisen an. Über das Austauschen von Höflichkeiten, so der einvernehmliche Befund, kamen diese Kontakte aber nicht hinaus.

"Ich habe nicht den Eindruck, dass es ein Interesse gibt, sich auszutauschen", so ein Spitzenmanager. Das festigt in Wirtschaftskreisen ein Bild von Herbert Kickl, das sich von dem seiner Vorgänger substantiell unterscheidet: Haider oder Strache haben persönlich nie dem Image entsprochen, das sie gerne vor sich hergetragen haben. Sie waren bei aller öffentlichen Rhetorik im persönlichen Umgang gesprächsfähig und am Austausch von Argumenten interessiert.

"Gescheit und skrupellos, eine gefährliche Melange"

"Vor Haider oder Strache habe ich mich nie gefürchtet", sagt so auch ein bürgerlicher Wirtschaftsmann, "bei Kickl ist das erstmals anders. Er ist gescheit, skrupellos und in seinem Verhalten halb autistisch. Das ist eine gefährliche Melange."

Dieses Bild aus der Welt der Wirtschaft deckt sich grosso modo mit jenem in der Politik. Beim erfolgreichen Misstrauensantrag gegen die nach dem Abgang der Blauen im Gefolge der Ibiza- Affäre 2019 mit Experten aufgefettete Regierung Kurz II sowie auch in den nachfolgenden U-Ausschüssen machten die Roten zwar ohne Berührungsängste mit den Blauen gemeinsame Sache gegen die ÖVP. Belastbar vertrauensvolle Kontakte zum aktuellen FPÖ-Parteichef gibt es aber aus keinem politischen Lager.

Einer der wenigen engen Vertrauten von Herbert Kickl sucht, dies so zu erklären. "Jetzt intensiven Kontakt zu anderen Parteien zu suchen, bringt ihm nichts", so sein nüchterner Befund, "zuerst müssen bei Wahlen die Karten neu gemischt werden, damit Gespräche auf Augenhöhe möglich sind. Dass der Herbert dazu in der Lage ist, hat sich in der türkis-blauen Regierung gezeigt."

Nachhaltig belastetes Verhältnis zur ÖVP, Zweckbündnisse mit SPÖ

Das Verhältnis Kickls zur ÖVP sei im Gefolge des Umgangs mit dem Ibiza- Video aber nachhaltig zerrüttet, so der FPÖ-Insider: "Die Niederösterreicher, angeführt von Mikl-Leitner, wollten ihn aus dem Innenministerium weghaben. Als Kurz ihn so stattdessen als Sozialminister ins Spiel gebracht hat, war klar, dass sie uns scheibchenweise abmontieren und unglaubwürdig machen wollen, um dann in Neuwahlen abzuspringen."

Die Achse zur SPÖ sei zwar frei von solchen historischen Belastungen, so der Kickl-Kenner, "aber schwierig: Wer ist dort das Vis-à-vis? Selbst wenn Doskozil wider Erwarten das Rennen macht, ist es die gleiche Partei, die er übernimmt. Dann werden die Linken das mit ihm machen, was er jetzt mit Rendi-Wagner macht."

Ein FPÖ-Verbinder in der SPÖ will Kickl im Parlament im Fall des Falles bislang als paktfähig kennengelernt haben: "Er hat Handschlagqualität. Wenn etwas ausgemacht ist, geht er damit durch dick und dünn. Für zwei Drittel der ÖVP gilt das nicht."

"Kickl setzt auf totale Polarisierung"

Der rote Kickl-Kenner entwirft für die kommenden Monate ein ähnliches Szenario wie langjährige Kickl-Weggefährten in der FPÖ. Der blaue Vormann werde "so wie einst Haider auf totale Polarisierung setzen. Und bei der Wut, die derzeit in der Bevölkerung gegen die Politik herrscht, wird die FPÖ damit reüssieren. Da ist nicht mehr entscheidend, ob der Parteichef ein Sympathieträger ist oder nicht."

Ähnlich sieht es auch ein intimer blauer Kickl-Kenner: "Er nimmt sich aus allen politischen Entscheidungen heraus und forciert damit das Alleinstellungsmerkmal der FPÖ als einziger Anwalt der Missstimmung gegen die da oben. Die Ausgrenzung spielt ihm dabei in die Hände. Wenn es dann Spitz auf Knopf steht, wird er die SPÖ aber auffordern, endlich aufzumachen. Denn es braucht endlich jemanden, der die ÖVP in die Schranken weist."

Auch wenn sich vor allem in ÖVP-Wirtschaftskreisen hartnäckig das Ondit hält, zwischen Doskozil und Kickl sei Rot-Blau nach burgenländischem Vorbild längst ausgemacht. Derzeit ist ein Szenario mit Kickl als Achsenpartner oder gar als Kanzler von roten oder schwarzen Gnaden ein No-Go. So gut wie fix ist aber: Ziehen ÖVP oder Grüne nach zwei bevorstehenden Landtagswahlen in Kärnten und Salzburg einmal mehr nicht die Notbremse und springen in Neuwahlen ab, dann werfen die Blauen ihre Propagandamaschinen noch einmal an.

In der FPÖ rauchen deswegen gerade die Köpfe: Ganz im Sinne seiner Strategie der totalen Polarisierung überlegt Kickl, mit einem Volksbegehren einen Zwischenwahlkampf als Kraftprobe für die Wahlgang 2024 hinzulegen. Zur Auswahl stehen FPÖ-intern eine Neuauflage des Anti-Ausländer-Volksbegehrens ("Österreich zuerst"), ein Plebiszit gegen die Teuerung generell oder speziell in Sachen Ukrainekrieg.

Derzeit in der FPÖ am höchsten im Kurs stehen eine Antisanktionskampagne und Pro-Neutralitäts-Kampagne. Der dahinter stehende Befund: Die Kritik an Österreichs Haltung zum Russland-Feldzug und den EU-Maßnahmen brodle abseits der offiziellen Foren längst ähnlich intensiv wie einst die an den Anti-Corona-Maßnahmen. Die nachhaltige Proteststimmung gegen Lockdowns und Impfpflicht hat sich jüngst bei der Niederösterreich-Wahl mit einem gewaltigen Stimmenzuwachs für die Blauen entladen.

Den Artikel finden Sie auch in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 10.2.2023.

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