IM ANGRIFFSMODUS. FPÖ-Chef Herbert Kickl beim Parteitag der Wiener Blauen: „Unsere treibende Kraft ist der Schulterschluss zwischen der Bevölkerung und uns.“
©Getty ImageIm Lichte des Spionageskandals und der blauen Bande zu Putin sucht die ÖVP den Möchtegern-Volkskanzler nun als „Volksverräter“ zu branden. Mit HERBERT KICKL zu regieren, wird damit wohl endgültig zum schwarz-türkisen No-Go.
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Im Wiener Prater ist vergangenen Samstag pralles Freizeitleben angesagt. Strahlender Sonnenschein und Sommertemperaturen am ersten April-Wochenende locken Tausende Wiener in die grüne Lunge der Bundeshauptstadt.
Im unweit des Wurstelpraters gelegenen Kongresszentrum der Reed Messe Wien finden sich diesen Samstag bereits am frühen Vormittag rund 400 Wiener – überwiegend Männer mittleren und höheren Alters – ein. Ein paar Polizei-Mannschaftswagen und eine Handvoll Exekutivbeamte vor dem Entree signalisieren, dass in den Messeräumlichkeiten keine Verkaufsausstellung angesagt ist. Die Wiener FPÖ lädt zum 37. ordentlichen Landesparteitag.
Auf der Tagesordnung stehen routinemäßig die Wiederwahl von Parteichef Dominik Nepp, diverse Rechenschaftsberichte und nur acht inhaltliche Anträge. Darunter blaue Dauerbrenner wie die Forderung nach einem „Gedenktag für Wien am 12. September, dem Jahrestag der Türkenbefreiung“. Begründung: „Ohne den Mut und die Opferbereitschaft Tausender Wienerinnen und Wiener würde ein abendländisch geprägtes Wien heute überhaupt nicht mehr existieren. Die Kämpfer gegen die Islamisierung verdienen unseren Respekt und unsere Dankbarkeit“.
Dafür hatten die freiheitlichen EU-Abgeordneten zuletzt auch im EU-Parlament erfolglos kampagnisiert: Nicht nur alle EU-Institutionen sollten den 12. September als arbeitsfreien Feiertag begehen, sondern auch allen EU-Mitgliedsstaaten die Einführung eines nationalen Feiertags empfehlen.
Blaue Parteimanager müssen sparen
Rein äußerlich wirkt der blaue Event diesen Samstag, als hätte sich auch hier jemand zu viel vorgenommen. Der langgestreckte Tagungssaal des Kongresszentrums wird nur im ersten Drittel wirklich genützt. Die dahinter liegenden mit einer Barriere abgetrennten Zuschauerplätze für Parteitagsgäste sind mit zwölf gestreckten Tischen großzügig dimensioniert, bleiben bis auf rund ein Dutzend Zuhörer aber gähnend leer.
In den Jahren davor hatte die Wiener FPÖ noch im imperialen Ambiente der Wiener Hofburg getagt. Nach dem Ibiza-Skandal 2019 und – weiter justizanhängigen – Vorwürfen des Missbrauchs von Parteigeldern für private Zwecke stürzte die FPÖ bei der Wien-Wahl 2020 von zuletzt stolzen 30 Prozent auf mickrige sieben Prozent ab. Dementsprechend muss auch jene Landesgruppe, die bis dahin im staatlichen Parteienförderungs-Geld schwamm, kleinere Brötchen backen. Bei der Wahl des Tagungsorts wurde so offenbar mehr auf den günstigen Preis als auf die passende Größe geschaut.
Kickls Rachegelüste
Die Parteitagsregie sucht die nüchterne Atmosphäre mit besonders hoch dosierten Stimmungsaufhellern wettzumachen. Parteichef Dominik Nepp garniert seine Rede zwischendurch immer wieder mit neuen, besonders deftigen Video-Clips. In nur äußerlich putzig bunt anmutenden Zeichentrick-Sequenzen wird aggressiver denn je gegen den „Räuber am Rathausplatz“ Michael Ludwig agitiert.
On Fire bei seiner Parteitagsrede ist dann auch Herbert Kickl. „Vor Kurzem haben sie noch über uns gelacht“, versucht der einstige Gagschreiber von Jörg Haider, die Stimmung aufheizen: „Am Wahlabend werden sie aber eingeschlafene Gesichter haben.“
Die FPÖ-Spitze präsentiert sich wenige Monate vor dem Wahltag siegessicher wie nie. Die Blauen standen bereits im Gefolge der Migrationskrise 2015/16 in Umfragen monatelang stabil mit rund 30 Prozent als sicherer Anwärter auf Platz eins. Erst der putschartige Machtwechsel in der ÖVP drehte den Spieß zugunsten der Türkisen um.
Parteistrategen: Platz eins ist FPÖ nicht mehr zu nehmen
Diesmal, sind erfahrene Partei-Strategen aller Lager überzeugt, ist den Blauen erstmals Platz eins bei einem Bundeswahlgang nicht mehr zu nehmen. Vor allem in der ÖVP, die am meisten an Stimmen und Macht zu verlieren hat, schrillen deshalb seit Monaten die Alarmglocken. Trotz erst jüngst paktierter Koalitionsbündnisse mit der FPÖ in Niederösterreich und in Salzburg trommelt die ÖVP-Spitze von Karl Nehammer abwärts seit Wochen ein Njet zu jeglicher Zusammenarbeit mit der „Kickl-FPÖ“.
Nachdem diese Kampagne bisher in Umfragen wenig bewegte, wollen die ÖVP-Strategen in den verbleibenden Wochen bis zur heißen Wahlkampfphase einen Zahn zulegen.
Dabei, so das Kalkül, kommt ihnen eine jüngste Weichenstellung im Parlament zupass. Nachdem die SPÖ gemeinsam mit der FPÖ einen neuen U-Ausschuss in Sachen Cofag-Milliarden ins Leben rief, suchte die Noch-Kanzlerpartei nach dem Dauerfeuer im Ibiza- und ÖVP-Korruptionsausschuss nach einem Befreiungsschlag.
Blaue Putin-Bande im ÖVP-Visier
Parallel zum Cofag-Ausschuss wollen ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger & Co. nun als Revanche den „rot-blauen Machtmissbrauch“ in einem eigenen U-Ausschuss durchleuchten. So wie im oppositionellen Cofag-Ausschuss längst nur noch von den Steuerprivilegien für René Benko die Rede ist, soll nun auch der von der regierenden ÖVP eingesetzte U-Ausschuss politisch umfunktioniert werden.
Statt zuvorderst die Inseraten- und Auftragspolitik von roten und blauen Regierungsspitzen bis ins Jahr 2006 unter die Lupe zu nehmen, sollen nun die Beziehungen der Blauen zu Putins Russlands auf die Agenda kommen.
In den jüngsten Enthüllungen rund um Spionageaktionen von ehemals führenden Mitarbeitern des Staatsschutzes im Innenministerium (BVT) und deren Beziehungen zur FPÖ ortet die ÖVP zusätzlichen Zündstoff. Vor allem Kickls Rolle bei der Hausdurchsuchung und De-facto-Zerschlagung des BVT, bei der offenbar Doppelagenten im Solde Moskaus eine Schlüsselrolle spielten, will die ÖVP nun ins Zentrum rücken. „Wir werden den Herrn Kickl als das in Szene setzen, was er ist: kein Volkskanzler, sondern ein Volksverräter“, lässt ein schwarz-türkiser Stratege wissen.
Der ÖVP-Mann ist sich freilich dessen bewusst, dass „es auch unter unseren Wählern viele Putin-Versteher gibt. Aber die werden weniger werden, wenn Ihnen klar wird, wer hier Österreich ausspionieren lässt. Da gilt nicht mehr die landläufige Parole wie bei der Korruption, ‚Es haben eh alle Dreck am Stecken‘. Da hat die FPÖ ein Alleinstellungsmerkmal.“
Hohe Erwartungen setzt die schwarztürkise U-Ausschuss-Regie dabei nicht primär auf die Ladung von FPÖ-Funktionären von Herbert Kickl abwärts vor den U-Ausschuss, sondern auf neue Aktenlieferungen aus dem Innen- und Justizministerium.
Kickl setzt derweil unverdrossen auf sein bisher stärkstes Atout für den kommenden Wahlkampf. „Bei Corona haben wir gezeigt, wie wir eine Wende zum Positiven schaffen. Unsere treibende Kraft ist der Schulterschluss zwischen der Bevölkerung und uns. Das ist stärker als alle Schmutzkübel“, trommelt der FPÖ-Chef jüngst vor den Wiener Parteikameraden: „Wir werden daher das erste Mal die FPÖ zur Nummer eins machen. Je klarer, desto weniger Interpretationsspielraum wird sein, damit in der Hofburg niemand auf blöde Gedanken kommt.“
Die massive Kritikwelle aus allen Lagern an der FPÖ in Sachen Putin-Connections sprach am blauen Partei-Hochamt weder Kickl noch einer der anderen Redner offen an. Hinter den Kulissen wird vielmehr die Parole ausgegeben: „Das alles kommt bei den Leuten nicht an. Den einen ist das viel zu kompliziert. Die anderen halten die Vorwürfe für aufgeblasen“, so ein FPÖ-Insider.
Fakt ist, dass in Sachen FPÖ die beiden Regierungsparteien erstmals auch im U-Ausschuss an einem Strang ziehen.
"Die FPÖ, der verlängerte Arm Russlands"
Bislang nahmen die grünen Mandatare auch ÖVP-Zeugen ohne Koalitionsrücksichten in die Mangel. ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger ist ob des neuen koalitionären Schulterschlusses im U-Ausschuss hinter den Kulissen so auch voll des Lobs über die Grünen. „Die FPÖ agiert als verlängerter Arm Russlands. Ein Kanzler Kickl stellt eine konkrete Gefahr für Österreichs Sicherheit dar“, proklamiert dieser Tage denn auch der grüne Ausschuss-Mandatar und Sicherheits-Sprecher David Stögmüller.
Ein FPÖ-kritischer Stratege in der ÖVP resümiert angesichts der neuen politischen Gefechtslage in Sachen Russland und FPÖ nüchtern, aber bestimmt: „Beim Wähler werden die blauen Verstrickungen in den russischen Spionageskandal vielleicht nicht mehr den Durchbruch bringen, um den FPÖ-Vormarsch entscheidend zu bremsen. Aber je mehr es uns gelingt, die Russland-Beziehungen von Kickl und der FPÖ zu thematisieren, desto geringer sind die Erfolgschancen für jene in der ÖVP, die nach der Wahl trotz allem wieder gerne mit der FPÖ regieren würden.“
Der Artikel ist trend. PREMIUM vom 12. April 2024 entnommen.
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