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“Wir haben einen schönen Koalitionspartner” [Politik Backstage]

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Werner Kogler und Karl Nehammer

ÖVP und Grüne demonstrieren nach außen koalitionäre Einigkeit. Intern befinden in der Volkspartei schon manche, dass "Ende Gelände" ist.

©APA/ROLAND SCHLAGER
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Nach außen hin machen Nehammer & Kogler auf fröhliche Wähler-Bescherung. Intern wird zunehmend ein schonungsloser Umgang der Grünen mit der Kanzlerpartei im ÖVP-Korruptionsausschuss beklagt. Der Brandherd WKStA entzündet sich gleich mehrfach neu - mit hoher Explosionsgefahr.

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Im Atrium, einem beliebten Veranstaltungsort im Zentrum von Tulln, haben im Fasching ausgelassene Tanzfeste wie der Blumenball bereits Tradition. Diesen Dienstag zog sich die ÖVP nach außen hin vollkommen lautlos hierher zurück. Die Kanzlerpartei hatte den ehemaligen Klostergarten des Tullner Minoritenklosters für einen Tag zur Nabelschau gewählt.

Die traditionelle Herbst-Klausurtagung der knapp 100 ÖVP-Nationalratsabgeordneten und Bundesräte ging diesmal nicht nur besonders still und leise über die Bühne. Die Schwarz-Türkisen hatten auch besonders viele aktuelle Krisen auf der Tagungs-Agenda – außer die eigene. Kanzler, Minister und Mandatare spulten vielmehr, um den Eindruck von Routine bemüht, einen Tag lang ihr bereits länger geplantes Programm ab.

Markus Brunner und Martin Kocher referierten über die Finanz- und Wirtschaftslage. Besonders im Fokus das tags darauf im Ministerrat hochoffiziell festgezurrte Aus für die Kalte Progression, generell die wirtschaftliche Zukunftssicherung.

WIFO-Chef als Good-News-Botschafter

Als einziger prominenter Impulsgeber von außen war der Leiter des Wirtschaftsforschungs-Instituts, Gabriel Felbermayr eingeladen. Der WIFO-Chef versuchte bei seiner Tour d’Horizon auch einen Ausblick auf die bevorstehenden Lohnrunden. Denn die Gehaltsforderungen der Gewerkschaften werden angesichts der hartnäckig hohen Inflationsraten heuer besonders kräftig, die Verhandlungen entsprechend hart ausfallen.

Felbermayr überbrachte aus Sicht der Wirtschaftspartei ÖVP auch gute Nachrichten. Die Abschaffung der Kalten Progression, meinte der Wirtschaftsforscher, könnte auch lohnpolitisch schlagend werden, die Aussicht auf “Mehr Netto vom Brutto” ab 2023 auf die tatsächlichen Lohnabschlüsse dämpfend wirken.

Eine Prognose, die vor allem die Wirtschaftsbund-Mandatare im Klub mit Wohlgefallen vernahmen, die aber nicht bei allen Abgeordneten auf nachhaltigen Glauben stieß.

Diskrete ÖVP-Klausur zur internen Nabelschau, kein Wort zu Sachslehner

Der zweite Schwerpunkt der Tagung stand unter dem Motto äußere und innere Sicherheit. Am Wort zuerst: Alexander Schallenberg, der schon länger Außenpolitik als wesentlichen Beitrag zur Sicherheitspolitik propagiert. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner machte sich einmal mehr für ein massiv höheres Heeresbudget stark. Bei Gerhard Karner stand das Thema im Mittelpunkt, mit dem die Nehammer-ÖVP schon seit Wochen an die Erfolge der Kurz-ÖVP anzuschließen sucht: Härtere Ansagen in Sachen Sicherheit in der Asyl- und Migrationspolitik.

Den Namen Laura Sachslehner, die der Partei von Karl Nehammer abwärts das Wochenende davor gründlich verdorben hatte, nahm coram publico keiner in den Mund.

Hinter den ÖVP-Kulissen sorgt die scharfe Abrechnung der glücklosen jungen Parteimanagerin (“Wir vergessen auf unsere Werte”) weiterhin für Gesprächsstoff. Öffentlich verweigert der Kanzler jüngst auch auf mehrmalige couragierte Nachfragen von ORF-Journalisten weiterhin jeden Kommentar zu den Vorwürfen Sachslehners. Nehammer preist stattdessen gebetsmühlenartig die Abschaffung der Kalten Progression als historisch einmalige Leistung der Koalition an.

Auch die grüne Klubobfrau Sigi Maurer kontert die Frage, ob das Koalitionsklima wegen der ÖVP-Kritik an der Auszahlung des Klimabonus an Asylwerber gestört sei, a la Nehammer: Der gemeinsame Kraftakt gegen die Kalte Progression sei der sprechende Beweis für den Zusammenhalt der Koalition.

Minenfeld neuer Justiz-Zugriff auf Kanzleramt-Handys

Von guter Stimmung kann auf einem regierungsinternen Minenfeld dieser Tage weniger denn je die Rede sein. Für giftige Bemerkungen der ÖVP und quälendes Taktieren gegenüber dem Koalitionspartner sorgt einmal mehr die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA).

Die WKStA will alle elektronischen Geräte von rund hundert Mitarbeitern im Bundeskanzleramt sicherstellen. Weil die als Hauptverdächtige in der Inseraten-Korruptionsaffäre geführten Ex-Presseleute von Sebastian Kurz ihre Handys kurz vor der spektakulären Hausdurchsuchung im Oktober vergangenen Jahres getauscht, alle Nachrichten und E-Mails gelöscht haben, hofft die WKStA nun auf Handys und Computern von rund hundert Mitarbeitern im weitesten Umfeld der Chefs der Message Control fündig zu werden.

Ein Begehren, das auch unter Nicht-ÖVP-Juristen umstritten ist, weil auch Unbeteiligte damit rechnen müssten, dass höchstpersönliche Nachrichten ihren Weg via Ermittlungsakten an die Öffentlichkeit finden könnten. Nach einem ersten öffentlichen Schlagabtausch zwischen BKA und WKStA ist das weitere Vorgehen offen.

Türkiser Unmut über grüne Justizministerin

“Es ist eine Provokation, dass Alma Zadic keinen Finger rührt, um zu einer für beide Seiten tragbaren Lösung zu kommen”, empört sich ein Beteiligter, “Sie lässt als für die Justiz verantwortliche Ministerin die Dinge einfach laufen.”

Im Justizministerium ist man weiter peinlich darauf bedacht, nicht einmal den Anschein zu erwecken, sich in die Ermittlungen bremsend oder beschleunigend einzumischen. Wie auch immer das jüngste Match zwischen Türkis und Justiz ausgeht, die Dauerfehde um den Einfluss der Politik auf die Justiz und vice versa ist damit nicht aus der Welt geschafft.

Noch unter Kurz versuchte die ÖVP daher einen Befreiungsschlag. Nach Jahrzehnten gab sie ihren Widerstand gegen die Abschaffung der Weisungskette auf und den Weg zu einem Generalstaatsanwalt frei. Statt einem Politiker, dem Chef des Justizressorts, soll künftig mit einem Generalstaatsanwalt ein unabhängiger Jurist das letzte Wort haben, wenn es um die Anklage oder Zurücklegung eines Tatverdachts geht.

Der politische Vorstoß ist bald zwei Jahre her, jetzt liegt erstmals ein konkreter Vorschlag einer Arbeitsgruppe von hochrangigen Juristen im Auftrag von Alma Zadic vor. Künftig soll kein Justizakt schlussendlich auf einem Politiker-Tisch landen. Letztverantwortlich für die Anklagebehörde soll dienstrechtlich ein Generalstaatsanwalt sein, die Prüfung von Anklage- und Einstellungsvorhaben soll ein oder zwei Dreier-Senaten in der Generalstaatsanwaltschaft obliegen, in denen allein Juristen im Zweifel mit Mehrheit entscheiden. Bestellt werden sollen diese obersten Entscheidungsträger durch Personalsenate innerhalb der Justiz. Die parlamentarische Kontrolle der Generalstaatsanwaltschaft soll auf abgeschlossene Causen beschränkt werden.

Dieser Vorschlag der Arbeitsgruppe des Justizministeriums wurde Donnerstag am späten Nachmittag dem Koalitionspartner, aber auch allen Parlamentsparteien übermittelt.

Neue Hürden am Weg zu Generalstaatsanwalt

Eine rasche Reform ist allerdings aus mehreren Gründen nicht in Sicht: Zum einen braucht es für eine Neuaufstellung der staatsanwaltschaftlichen Weisungskette in einigen Punkten eine Zwei-Drittel-Mehrheit - also zumindest ein Go der SPÖ. Davor braucht es freilich einen Konsens innerhalb der Koalition. Davon sind ÖVP und Grüne aber noch meilenweit entfernt.

Die Türkis-Schwarzen bemängeln nicht nur entscheidende Punkte im Generalstaatsanwalts-Plan der Arbeitsgruppe des Justiz-Ministeriums. “Das künftige Modell muss besser sein als das, was wir bisher haben”, so der erste Kommentar aus dem ÖVP-Regierungsviertel, “Ein Dreier-Senat ist das sicher nicht. Es muss eine klare Verantwortung für Entscheidungen über Anklage oder Einstellung bei einer Person geben.”

Die ÖVP ist hier mit ihrer Kritik nicht allein. “Es geht bei Anklageentscheidungen ja nicht um endgültige Urteile wie bei Gericht, daher sind anonyme Senate hier fehl am Platz”, meint ein Spitzenjurist, der selber lange als Staatsanwalt gearbeitet hat: “Dazu kommt, dass jemand der allein verantwortlich ist und damit in der Auslage steht, sich auch mehr kümmert, was neben und unter ihm passiert und im Fall des Falles auch eingreift.”

Bei der Bestellung und Kontrolle der Generalstaatsanwaltschaft plädiert Türkis-Schwarz auch für mehr Rechte des Parlaments: “Es muss wie jetzt für den Justiz-Ressortchef für jeden, der dort oben sitzt, eine parlamentarische Kontrolle geben.”

ÖVP-Preis für Staatsanwalts-Umbau: “Beschuldigte dürfen nicht mehr vogelfrei sein”

Die beiden Regierungsparteien liegen freilich nicht nur in Sachen Staatsanwaltschaft 2.0 ähnlich weit auseinander wie einst in heiklen Justizcausen Strafsektionschef Christian Pilnacek und WKStA-Chefin Ilse-Maria Vrabl-Sanda.

Eine neue Weisungskette, heißt es aus der ÖVP-Spitze, “ist nur Mini-Mini-Baustein.” Mit dem Umbau des Systems Richtung Generalstaatsanwaltschaft verknüpfen die Türkis-Schwarzen ein ganzes Bündel an weiteren Forderungen in Sachen Justiz: Schärfere Regeln für den Umgang mit – von den Ermittlungsbehörden ausgelesenen – Handy- und Computer-Daten, eine Verkürzung der Verfahren und eine Stärkung der Beschuldigten-Rechte. Interne ÖVP-Kampfparole: “Der Verdächtige darf nicht mehr vogelfrei sein.”

Neuer Zündstoff um U-Ausschüsse

Zum massiven Streitfall werden vor diesem Hintergrund auch die geltenden Spielregeln für U-Ausschüsse. Justizministerin Alma Zadic will an der bisherigen Praxis nichts ändern. In der ÖVP wird entschlossener denn je propagiert: “Es ist eine Perversität, dass ein U-Ausschuss parallel zu einem Justizverfahren läuft. Die Strafverfolgung darf nicht politisch missbraucht werden.”

Donnerstagnachmittag war vor und hinter den Kulissen live zu verfolgen, wie abgrundtief der Graben zwischen ÖVP und Grün in Sachen U-Ausschuss bereits ist. Als Auskunftsperson war der langjährige Tiroler Parteimanager Martin Malaun geladen. Die Befragung des engsten Vertrauten von Noch-Landeshauptmann Günther Platter zerrte an den Nerven aller Beteiligten. Malaun und die ÖVP-Abgeordneten stellten so gut wie jedes Auskunftsbegehren ob seiner Zulässigkeit in Frage. Dort wo ihm – nach Verdikt der Verfahrensanwältin – keine andere Wahl blieb, antwortete der Tiroler Spitzen-ÖVP-Mann abwechselnd mit: “Das kenne ich nur aus den Medien” oder “Daran habe ich keine Erinnerung”.

Im Zentrum der Fragen standen: Das mögliche Wissen um die Auszahlung von 800.000 Euro an Corona-Hilfe an die Tiroler Jungbauernschaft sowie Parteispenden und Inserate in Zeitschriften von ÖVP-Vorfeldorganisationen. Im Raum stand der schwerwiegende Verdacht, die ÖVP Tirol habe in Sachen Inseraten ähnlich fragwürdig agiert wie der Vorarlberger ÖVP-Wirtschaftsbund - federführend erhoben vom grünen Koalitionspartner.

Ein prominenter ÖVP-Mann resümierte danach empört: “Wir haben einen schönen Koalitionspartner. Jetzt ist ‘Ende-Gelände'."

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