Trendwende in der Wählergunst? Die ÖVP mit Bundeskanzler Karl Nehammer sieht sich im Aufwind und bereits wieder Kopf an Kopf mit Herbert Kickls FPÖ.
©Imago / trendJüngste interne Umfragen befeuern die Hoffnung der ÖVP: Der Wiedereinzug von Karl Nehammer als Nummer 1 ins Kanzleramt sei kein Fiebertraum, sondern greifbar. Warum die Schwarz-Türkisen dabei darauf setzen, dass auch die Grünen stark abschneiden. Wie sich derweil die FPÖ bereits für die Zeit nach der Nationalratswahl rüstet.
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Zum dreitägigen Parlamentskehraus ging die “veritable Regierungskrise” (so Kanzleramtsminister Karoline Edtstadler) gerade in die dritte Woche. Auf der Bühne lieferten sich einmal mehr grüne Mandatare Wortgefechte vor allem mit der streitbaren Kanzleramts-Ministerin.
Astrid Rössler, grüne Ex-Landesrätin aus Edtstadlers Salzburger Heimat, attackierte diese auf der Regierungsbank im Parlament auch direkt: "Wir brauchen intakte Natur. Sie blockieren und bekämpfen die Umsetzung." Die massive Kritik der ÖVP-Ministerin am Agieren ihrer grünen Kollegin, Leonore Gewessler, qualifizierte die Grünen-Mandatarin vom Rednerpult aus gar als "faktenbefreit und irrational". Vor allem die Strafanzeige des Koalitionspartners ÖVP gegen die Umweltministerin und die Nichtigkeitsklage beim EuGH sorgte weiter für Empörung bei den Ökos. "Zum Glück hat sie dafür gestimmt", kochte Rössler den Konflikt um den "Verfassungsbruch" (Edtstadler) neu auf.
Die Rolle als Quertreiberin in Sachen Umweltschutz wollte die EU-Ministerin wiederum nicht auf sich sitzen lassen. "Ich nehme das sehr ernst", konterte die Verfassungsministerin im Hohen Haus: "Aber man muss in einem Rechtsstaat auch die Form und den Inhalt auseinanderhalten und es ist in einem Rechtsstaat nicht egal, was in der Verfassung steht und woran man gebunden ist." Man dürfe "nicht die eigene Ideologie voranstellen und die Dinge einfach durchsetzen ohne Rücksicht auf Verluste", geißelte Edtstadler neuerlich den aus Sicht der ÖVP rechtswidrigen Alleingang der Umweltministerin.
Neue Koalitions-Eiszeit mitten im Hochsommer?
Boulevardmedien machten darob gar eine "neue Eiszeit" mitten im Hochsommer im Regierungsviertel aus.
Hinter den Kulissen sehen sich die Strategen in beiden Regierungslagern freilich als Gewinner aus dem seit Wochen strapazierten Megaknatsch rund um Gewessler. Sobald sich der Pulverdampf mit Beginn der kurzen Polit-Sommerpause endgültig gelegt habe, werde immer klarer sichtbar werden, so ein ÖVP-Spitzenmann: “Am Ende werden von der Auseinandersetzung sowohl wir als auch die Grünen profitieren.”
Was auf den ersten Blick paradox klingt, weil nach einem derartigen Dauer-Donnerwetter landläufig gilt: Streit in der Regierung – und noch dazu ein tiefgehender wie dieser – befördert die Politikerverdrossenheit und schadet allen Akteuren. In diesem Fall gelte aber: Im Konflikt um das Renaturierungsgesetz stehen nicht taktische Manöver oder kleinräumige Terraingewinne im Vordergrund. Beide Seiten suchen zuvorderst inhaltlich zu argumentieren. Klimaschutz ist zudem ein Thema, das nicht nur hoch emotionalisiert, sondern abseits von Politik-Politik-Geplänkeln tatsächlich sehr viel mit dem Alltagsleben zu tun hat. Daher, so die Sichtweise von ÖVP-Strategen, würde Niederösterreichs ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner mit ihrem intern gern gebrauchtem Diktum Recht haben: "Innerkoalitionärer Streit ist nicht immer schlecht. So kriegen die Leute halt mit, wer von uns für was ist und das hilft beiden bei unseren Wählern.”
ÖVP-Stratege will "starke Grüne", um SPÖ zu schwächen
Ein ÖVP-Spitzenmann im Wiener Regierungsviertel ergänzt nüchtern: “Wir haben nichts gegen starke Grüne, denn wir haben keinen Wähler-Austausch mit ihnen. Starke Grüne heißen auf der anderen Seite eine schwächere SPÖ. Schwache Grüne würden wiederum eine stärkere SPÖ bedeuten. Das ist nicht das, was wir uns wünschen.”
Denn in der ÖVP nehmen die Wahlkampfplaner nach den glimpflich ausgegangenen EU-Wahlen endgültig das eigentliche Großereignis des Jahres ins Visier. Am 9. Juni lagen die größten drei Parteien Blau, Schwarz-Türkis und Rot nicht nur näher beisammen als viele Umfragen signalisiert hatten. Vor allem eines weckt in der ÖVP besonders große Hoffnungen: Herbert Kickl und Karl Nehammer lagen im Rennen um Platz 1 nur ein paar zehntausend Stimmen auseinander.
Für die Startaufstellung kommen den Schwarz-Türkisen dabei – auch wenn es vordergründig anders aussieht – am Ende im Profilierungsstreit frisch gestärkte Grüne zupass. Sie laufen weniger Gefahr Richtung Rot auszurinnen und damit Karl Nehammer indirekt im Kanzler-Rennen für den 29. September und für die Zeit danach gefährlich zu werden. Je schwächer die SPÖ, desto billiger werde danach der schwarz-türkise Preis für eine gemeinsame Regierungsbildung.
Denn die ÖVP glaubt derzeit nicht nur Andreas Babler erfolgreich Platz 2 streitig zu machen, sondern rechnet sich im Windschatten der EU-Wahlen und der jüngsten Regierungskrise auch ernsthaft Chancen auf einen Wahlsieg aus.
Jüngste ÖVP-Umfrage nährt Nummer-1-Hoffnung
Der in der Demoskopen-Branche angesehene ÖVP-Meinungsforscher Franz Sommer unterfütterte diese bislang auch in ÖVP-Funktionärskreisen bezweifelte Aussicht jüngst auch mit harten Zahlen. Die meisten von dessen umfangreichen Datenanalysen im Gefolge der EU-Wahl, so ein ÖVP-Insider, signalisierten zunehmend eindeutig: Ein Wiedereinzug von Karl Nehammer als Regierungschef am Ballhausplatz nach dem 29. September sei kein schwarz-türkiser Fiebertraum.
Ende vergangener Woche meldete Sommer zudem folgenden Stand in der Wählerpräferenz in Prozentanteilen in der ÖVP-Zentrale ein:
FPÖ: 26 %; ÖVP: 25 %; SPÖ: 21 %; Grüne: 9 %; Neos: 8 %; Bier: 5 %; KPÖ: 3 %
Die ÖVP-Strategen glauben: Konflikte mit den Grünen wie der wegen des „Ja“ von Leonore Gewessler zum EU-Renaturierungsgesetz, würden für den entscheidenden Rückenwind im finalen Wahlkampf sorgen.
“Wir haben uns nicht nur sehr stark von den Grünen abgegrenzt. Gleichzeitig zeigen wir, dass wir bei allem Streit eine staatstragende Partei sind, die den Kanzler stellt und für Stabilität statt Chaos steht”, resümiert ein ÖVP-Regierungsmann.
Motivations-Spritze bei geheimer ÖVP-Klausur am Wolfgangsee
Bei der jüngsten ÖVP-Motivationsklausur Anfang der letzten Juni-Woche im Hotel Scalaria am Wolfgangsee gab der neue ÖVP-Wahlkampfleiter und Ex-NÖ-Landesparteisekretär Bernhard Ebner vor 400 schwarz-türkisen Landtags- und Parlaments-Mandataren die Parole aus: “Jeder muss am Stammtisch bis zu zehn Funktionäre motivieren für die ÖVP zu rennen. Von denen muss jeder wieder das Gleiche tun”.
Karl Nehammer nutzt zudem die kommenden politisch ruhigeren Juli-Wochen für eine Neuauflage seiner ÖVP-Bürgermeister-Tour quer durch Österreich. Die ÖVP setzt darauf, über ihre Ortskaiser am Land gegenüber der FPÖ noch Terrain aufholen.
Zusätzlich beflügelt das Antreten der Bierpartei bei den Schwarz-Türkisen den Glauben, dass die blauen Bäume nicht in den Himmel wachsen. Mit der einstigen Spaßpartei, die mit ihrem Antreten bei einer Nationalratswahl erstmals ernst machen will, werde das Protest-Monopol der FPÖ gebrochen. Dominik Wlazny, so die ÖVP-internen Prognoserechnungen, werde auch die FPÖ Stimmen kosten.
FPÖ-Spitze rüstet auch bereits für Nummer 1 in der Steiermark
In der FPÖ-Spitze waren Herbert Kickl & Co zwar vom Abschneiden bei der EU-Wahl nicht überrascht. Dort wurde schon Wochen vor dem 9. Juni mit etwa 26 Prozent der Stimmen gerechnet und kam damit an das tatsächliche Ergebnis von 25,4 Prozent fast haarscharf heran.
An den von Nehammer & Co mehr denn je für greifbar gehaltenen Durchmarsch der ÖVP an die Spitze bei der kommenden Nationalratswahl glaubt in der blauen Führungsriege aber nach wie vor niemand. Platz 1 für die FPÖ gilt derzeit auch für die meisten Meinungsforscher weiterhin als gesetzt.
Die blaue Führungsriege stellt sich allerdings schon jetzt auf ein paar weitere Jahre in der Opposition ein – freilich unter aus FPÖ-Sicht besonders vorteilhaften Bedingungen. “Wenn die zwei kaputten Parteien ÖVP und SPÖ wie geplant zusammengehen und die Neos als dritten Partner dazunehmen müssen, dann kann man uns jetzt schon für die übernächste Wahl gratulieren”, feixt ein FPÖ-Spitzenmann.
In den FPÖ-internen Planspielen werden daher bereits die nächsten Etappen nach dem 29. September strategisch aufgerollt. Nach dem Bund wählen binnen weniger Monate Vorarlberg, die Steiermark und das Burgenland. Nach dem blauen Durchmarsch bei der EU-Wahl in einst roten Hochburgen wie der Obersteiermark, sieht sich auch der steirische FPÖ-Chef und Ex-Verteidigungsminister Mario Kunasek bereits am Sprung zur Nummer 1. Nachdem auch im steirischen Landhaus – so rechnerisch möglich – die schwarz-rote Achse danach gemeinsam weiterregieren will, will die FPÖ nach der Bundeswahl auch das steirische Wahlergebnis im November für die Parole nutzen: Das Volk macht uns zur Nummer 1, das “System” sperrt die wahre Volks-Partei weiter davon aus, die Wünsche der Wähler umzusetzen.