Trend Logo

Kraftnahrung für Populisten

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
5 min

©iStockphoto
  1. home
  2. Aktuell
  3. Politik

Die ganze Welt scheint aus den Fugen. Politiker, die einfache Lösungen für alle Probleme anbieten, haben weltweit Zulauf.

von

ALLES SCHRECKLICH: Kriege, Terror, Klimawandel, Inflation, Antisemitismus, beginnende Insolvenzwelle, explodierende Energiepreise, horrende Mieten, Probleme im Gesundheitssystem und der Pflege, eine neue, massive Covid-Welle -und, und, und. Und Paxlovid gibt es trotz vieler Worte des Gesundheitsministers auch zu wenig. Die multiplen Krisen drücken die allgemeine Stimmung, am Stammtisch werden Politik und Parteien als die alleinig Schuldigen für die Umstände ausgemacht, die Vertrauenswerte aller Politiker sind im freien Fall.

Das ist die Stunde der politischen Ränder, nicht bloß in Österreich. Eine aktuelle, weltweite Umfrage in 30 Ländern zur Zukunft der Demokratie förderte dramatische Ergebnisse zutage: Fast ein Drittel der Wähler meinen, dass Autokratien besser für das Wirtschaftswachstum seien, ein Fünftel, dass ein guter Führer das Volkswohl eher im Auge hat als demokratisch gewählte Volksvertreter. Bei den Jungen zwischen 18 und 35 Jahren, die in Zeiten der Krisen aufgewachsen sind und politisiert wurden, glauben nur noch 57 Prozent, dass die Demokratie jeder anderen Regierungsform vorzuziehen ist.

Zeiten, wie diese befeuern die Illusion, dass illiberale Demokratien oder gar autokratische Regime besser mit den aktuellen Krisen fertig werden. Abstiegsängste der Wähler, Defizite der öffentlichen und persönlichen Sicherheit, Frust über getroffene oder nicht getroffene politische Entscheidungen sind die Kraftnahrung für Populisten von links bis ganz rechts.

Populisten schüren Ängste, berufen sich auf den Volkswillen, der hartnäckig missachtet wird, bekämpfen die herrschenden Eliten als unfähig und diskreditieren die anderen Parteien als machtversessen und korrupt. Die Sprache ist radikal, die politische Lage wird dramatisiert, der politische Gegner bedenkenlos kriminalisiert, um frustrierte Wähler zu gewinnen.

Populisten bieten einfache Lösungen für komplexe Probleme: Rechtsstaat einschränken, Grenzen dicht machen, Migranten abschieben, EU radikal zurückstutzen. Eine gerechte Politik für "unsere Leit machen", Kindern eine "gsunde, woame Mahlzeit" und allen leistbares Leben durch die Verfassung garantieren, den herrschenden Benko-Kapitalismus zähmen, steigende Preise einfach deckeln, Unternehmen höher besteuern, Vermögensund Erbschaftssteuern einführen - und schon werden Milch und Honig fließen.

LINKER WIE RECHTER Populismus bringt die politische Mitte schwer unter Druck. Die Zeiten, da Wahlen in der Mitte gewonnen wurden scheinen derzeit vorbei. Dabei weisen soziologische Untersuchungen der Sinusmilieus, die neben Geschlecht Alter, Bildung und Einkommen der Befragten auch deren Wertesystem einbeziehen, der nostalgisch-bürgerlichen und der adaptiv-pragmatischen Mitte gut 40 Prozent der Wählerschaft zu. Sie sind anpassungsbereit, fleißig, wollen Aufstiegschancen, Planbarkeit des Lebens und soziale Sicherheit. Sie wissen um die Unsicherheiten der Welt, wollen eine gesunde Umwelt und Maßnahmen gegen den Klimawandel. Aber leistbar sollen diese sein und ohne ideologische Befrachtung und Bevormundung. Sie wollen für sich und die Ihren das Bestmögliche herausholen.

Politiker gewinnen Wahlen nicht mit alten Verdiensten, sondern mit Zukunftsversprechen, so wolkig sie sein mögen. Deshalb verpuffen die Hinweise der Regierungsparteien auf volle Gasspeicher, Ausbau des Sozialstaates, Klimaticket, Erhaltung der allgemeinen Kaufkraft durch Fördermilliarden oder Abschaffung der kalten Progression, die den Staat künftig auf jährlich 3,5 Milliarden Steuereinnahmen verzichten lässt.

Fakten haben gegen Gefühle keine Chance. Natürlich gibt es nichts schönzureden. Die Koalition, die das Beste aus beiden Welten versprochen hat, hat schwere politische Fehler und Versäumnisse zu verantworten. Von den unsäglichen Chats, die tief hinter die Kulissen blicken lassen, gar nicht zu reden.

Die multiplen Krisen aber haben das gleichsam staatsoffizielle Narrativ zerstört, wonach es Jahr für Jahr materiell aufwärts geht, der Wohlstand wächst, die Politik persönliche und soziale Sicherheit und im Bedarfsfall perfekte Gesundheitsversorgung und Pflege garantieren kann.

Raue Zeiten verlangen nach anderen Erzählungen. Auch von Populisten.

Der Gastkommentar ist aus trend. edition+ vom Dezember 2023.

Über die Autoren

Logo
Jetzt trend. ab € 14,60 im Monat abonnieren!
Ähnliche Artikel