Das jüngste Regierungsoberhaupt vor Gericht: Das Damoklesschwert eines Schuldspruchs schwebt über Sebastian Kurz.
©APA/HELMUT FOHRINGERWie Sebastian Kurz nun vor Gericht mit allen Mitteln gegen einen möglichen Schuldspruch wegen falscher Zeugenaussage mobil macht. Warum Thomas Schmid nach wie vor um seinen Kronzeugen-Status zittern muss.
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Auf den ersten Blick ließ sich der achte Prozesstag im Fall Kurz & Bonelli diesen Mittwoch wie eine Verschnaufpause in diesem Verhandlungsmarathon wegen falscher Zeugenaussage im Ibiza-U-Ausschuss an.
Geladen war eine einzige Zeugin: Iris Ortner, Geschäftsführerin der Industriegruppe Ortner, die unter anderem 40 Prozent des Baukonzerns Porr hält. Ortner kam auf die Ladungs-Liste, weil, sobald Thomas Schmid den für ihn maßgeschneiderten Umbau der Verstaatlichten-Holding zur ÖBAG vollendet hatte, eines der vier der ÖVP zustehenden ÖBAG-Aufsichtsratsmandate mit ihr besetzt wurde. Prozessgegenstand war einmal mehr, welchen und vor allem wieviel Einfluss Sebastian Kurz und sein ehemaliger Kabinettschef Bernhard Bonelli auf die Kandidaten-Kür in Vorstand und Aufsichtsrat genommen hatten.
Ortner erschien nicht in Begleitung eines Rechtsbeistands, sondern der Kommunikationsberaterin Christina Aumayr-Hajek. Auf eine öffentlich eindeutige Wirkung war denn auch ihre Aussage angelegt: Das Angebot in den ÖBAG-Aufsichtsrats einzuziehen habe ihr der damalige Finanzminister und ÖBAG-Eigentümervertreter Hartwig Löger gemacht. Sie sei davon “überrascht gewesen”.
Diskretes Dinner beim Millionenspender
Sebastian Kurz habe sie bei “Abendveranstaltungen” zwar immer wieder getroffen, mit ihm aber kein einziges Wort über den ehrenvollen Job (Ortner: “Mein Vater war stolz auf mich”) gewechselt. Ortner kann sich weder daran erinnern, dass die konstituierende ÖBAG-Aufsichtsratssitzung sehr kurzfristig verschoben werden musste, noch an den Grund: Der vom Finanzministerium gekürte Platzhalter für Kurz’ Wunsch-Aufsichtsratschef Siegfried Wolf war, so indizieren digitale Nachrichten, in letzter Minute auf Wunsch des Kanzleramts zurückgepfiffen worden. Der Richter wird am Ende auch Aussagen wie diese zu würdigen haben.
Just zwei Tage vor der erfolgreichen Konstituierung des Kontrollgremiums (mit einem dem Kurz-Team genehmen Aufsichtsratschef) lädt Klaus Ortner eine handverlesene Runde von etwa zwölf Gästen zu einem seiner regelmäßigen Dinner in seiner Wiener Villa, darunter auch Sebastian Kurz, den türkisen “Personalchef” Axel Melchior (heute im Sold von Ortner) und Thomas Schmid. Dass Thomas Schmid bei dem abendlichen Get-together anwesend war, daran habe sie keine Erinnerung mehr (“Es war ein langer Tisch für 12 - 14 Personen”). In jedem Fall habe sie kein Wort mit ihm gewechselt, schon gar nicht über seine zwei Tage danach anstehende Wahl durch den Aufsichtsrat zum ÖBAG-Chef.
Das Beziehungsgeflecht zwischen den Ortners und den Türkisen beschäftigte schon einmal die Justiz. Firmenboss Klaus Ortner hatte die Machtübernahme der Türkisen in der ÖVP mit insgesamt 1 Million Euro gesponsert. Eine Anzeige, die von einem Zusammenhang zwischen Millionen-Spende und Aufsichtsrats-Mandat wissen wollte, wurde nach Prüfung mangels Beweismasse von der WKSTA zurückgelegt.
Kurz' Flashback: "Angst vor Strafverfolgung"
Weil die beiden Staatsanwälte Gregor Adamovic und Roland Koch einen neuen Anlauf unternahmen, hier in laufender Verhandlung nachzubohren, machte sich für Sebastian Kurz und Bernhard Bonelli ein Fenster auf, in die Gegenattacke zu gehen.
Nach einer Verhandlungspause ersuchten die beiden ums Wort und taten in gleichlautender Formulierung kund. Ihre inkriminierten Aussagen im U-Ausschuss seien von einem bedrohlichen Gefühl begleitet gewesen: “Der Angst vor strafrechtlicher Verfolgung”.
Die eben über die Bühne gegangene Vernehmung von Iris Ortner beschrieb Kurz gar als eine Art Flashback. Der Ex-Kanzler verband das mit einer Brandrede: Er habe das Gefühl, dass einmal mehr “Spenden und Aufsichtsratsbestellungen kriminalisiert werden”. Seine Mitstreiter und er müssten sich "dauernd vor Strafverfolgung fürchten, auch wenn man sich nie etwas zuschulden hat kommen lassen".
Kurz schloss sein Plädoyer in eigener Sache mit der Proklamation, dass er in Sachen ÖBAG-Personalia alles andere als eine Hauptrolle gespielt habe: “Die einzigen zwei Aufsichtsräte, die ich gewollt habe, sind es nicht geworden: Sigi Wolf und Karl Theodor zu Guttenberg.”
Alle rüsten bereits für Berufungs-Verfahren
Mit diesem Auftritt der beiden Angeklagten ist das nächste Gerichts-Match, das sich seit Wochen abzeichnet, endgültig eröffnet. Richter, Staatsanwälte, Verteidiger und Angeklagte rüsten sich bereits für die nächste Instanz. Drei Monate nach Start des Verfahrens rechnen immer mehr Prozess-Beobachter mit einem Schuldspruch für Kurz & Co.
Das sehen auch ÖVP-nahe Juristen so, die die Strategie von Kurz vor Gericht für Harakiri mit Anlauf halten. “Der Sebastian agiert vor Gericht wie in der Politik, vom regelmäßigen Statement vor Prozessbeginn bis hin zu seiner generellen Strategie”, sagt ein schwarzer Justizkenner: “Er will gewinnen und inszeniert sich als dominant. In der Justiz gelten aber andere Regeln.” Kurz hätte von Anfang an auf den einzig möglichen Fluchtweg "Aussagenotstand" setzen sollen, so der ÖVP-Justiz-Insider.
Pilnaceks letzter Ratschlag an Kurz
Mehrere ÖVP-Quellen sagen: Genau das habe auch der verstorbene Ex-Spitzenbeamte im Justizministerium, Christian Pilnacek, noch eine Woche vor seinem Tod Kurz in einem Gespräch dringend geraten.
Auch wenn Kurz öffentlich nach wie vor auf locker und entspannt macht. Enge Vertraute, die mit ihm während den Weihnachtsfeiertagen Kontakt hatten, berichten: Sie hätten den türkisen Sonnyboy von gestern noch nie so niedergeschlagen erlebt, da er mit einer Verurteilung in den kommenden Wochen rechne.
Das jüngste Bekenntnis vor Gericht, nach wie vor in “Angst vor Strafverfolgung” zu leben, ist einer last minute Hoffnung von Kurz geschuldet: Das Zugeständnis eines “Aussagenotstands” durch den Richter sei die einzige Chance, einen Schuldspruch doch noch abzuwenden.
Rettungsring „Aussagenotstand"?
“Auch wenn sich beim Richter das Bild verfestigt hätte, dass Kurz und Bonelli vorsätzlich die Unwahrheit gesagt hätten, kann er nicht einfach einen Schuldspruch fällen. Er muss aufgrund der Aussagen über die Angst vor Strafverfolgung prüfen, ob das einen Aussagenotstand begründet, der strafbefreiend wirkt”, sagt ein Mitglied des türkisen Prozess-Strategie-Teams.
Deshalb seien Kurz & Bonelli in den Prozess mit Gürtel und Hosenträger gestartet. Schon in ihren Eröffnungs-Statements war am Rand auch von “Angst vor Strafverfolgung” die Rede. Ihr Kalkül: Platze die anfangs lange gehegte Hoffnung auf einen glatten Freispruch, dann bleibe immer noch der strafbefreiende Aussagenotstand.
Ein langjähriger Strafrechts-Anwalt mit bürgerlichem Hintergrund sieht den richtigen Zeitpunkt für diesen Prozess-Schachzug aber unwiederbringlich versäumt: ”Das mit dem Aussagenotstand wird jetzt nicht mehr funktionieren. Wenn Du zuerst im Verfahren sagst, ich habe die Wahrheit gesagt, dann gibt es auch kein Fenster mehr, um doch noch auf Notstand zu plädieren.”
Richter will keinen "Heber" riskieren
Bei Prozessbeobachtern wird so auch das Verhalten des Richters zunehmend als juristische Absicherung eines Schuldspruches interpretiert: Michael Radasztics erweist sich bei den Wünschen nach Zeugenladungen oder Vorlage von Beweismitteln als besonders großzügig. Das hat auch besonders lange und viele Verhandlungstage zufolge.
Der ausnehmend sachlich und ruhig agierende Prozess-Vorsitzende will, wie es in der Juristen-Sprache heißt, sichtlich keinen “Heber” riskieren – sprich eine Aufhebung eines Urteils in der nächsten Instanz. Je mehr er an Spielraum für die Verteidiger zulässt, desto weniger Angriffspunkte bietet er für eine erfolgreiche Bekämpfung seines Urteilspruchs.
Am Tag des bisherigen Prozess-Höhepunkts, der Aussage des Kronzeugen-Anwärters Thomas Schmid, brach der Richter auf Drängen der Kurz-Advokaten so gar mit ehernen Justiz-Usancen. Die Verteidiger konnten den entscheidenden Belastungszeugen noch vor Redaktionsschluss einiger Tageszeitungen “grillen”. Erst danach war die WKStA mit Fragen an ihr Prozess-As dran.
Glaubwürdigkeits-Duell Kurz vs. Schmid
Die Kurz-Anwälte lassen nach wie vor nichts unversucht, die Glaubwürdigkeit von Thomas Schmid zu erschüttern. Kurz vor Weihnachten präsentieren sie die Aussagen von zwei russischen Geschäftsmännern. Diese hätten mit Thomas Schmid im August 2023 an seinem aktuellen Wohnort in Amsterdam Gespräche über einen möglichen Job, eine Führungsfunktion in einem georgischen Öl-Unternehmen, geführt.
In einer in Tiflis im November abgegebenen eidesstattlichen Erklärung halten sie zudem fest, was Schmid auf Befragen über seine Rolle in laufenden Justizverfahren in Wien gesagt habe:
„Thomas Schmid erzählte uns, dass er von den Staatsanwälten unter enormen Druck gesetzt wurde. (...) Laut Thomas Schmid hat er dem Druck der Staatsanwälte nachgegeben und beschlossen, sich auf ihre Seite zu stellen und ihnen zu helfen, indem er in einer Weise aussagte, die die Staatsanwälte zufrieden stellte, obwohl diese spezifischen Aussagen jenseits dessen lagen, was er als wahr in Erinnerung hatte.“
Die Eidesstaatliche Erklärung allein wurde vom Richter aber nicht als Beweismittel zugelassen. Begründung: Sie verstoße sie gegen das Prinzip der “Unmittelbarkeit”. Sprich eine eidesstattliche Erklärung sei kein Ersatz für eine Zeugenaussage. Falls diese zu einer solchen bereit wären, stünde dem freilich seinerseits nichts im Wege, gestand der Richter in der Folge aber den Kurz-Anwälten zu.
Anfang Jänner ließen die vom Kurz-Team präsentieren Belastungszeugen der Glaubwürdigkeit von Thomas Schmid nun den Richter wissen, dass sie “leider nicht in der Lage sind nach Wien zu kommen”. Sie seien allerdings bereit, sich etwa im Konsulat von St. Petersburg einer Befragung per Video zu stellen.
Eine formelle Zeugenladung nach Wien wäre zwar theoretisch möglich gewesen. Eine solche würde aufgrund eines komplexen Konsultationsverfahrens zwischen dem österreichischen und russischen Justizministerium unter Einschaltung der Botschaften aber viele Wochen dauern und mangels Vollstreckbarkeit nur beschränkt erfolgversprechend sein.
Die angebotene Video-Befragung bedarf freilich neben dem bereits erfolgten grünen Licht durch Richter & Verteidiger auch der Zustimmung der Staatsanwälte.
Wie kamen russische Headhunter ausgerechnet auf Schmid?
Sie erbaten für ihre Entscheidung Bedenkzeit.
Kommt es tatsächlich zur Video-Einvernahme, dann werden wohl abseits der Schmid-Aussagen auch Fragen wie diese eine Rolle spielen:
Wie kamen russische Geschäftsleute mit Wohnsitz St. Petersburg dazu, einem ihnen bis dahin unbekannten Österreicher, der in Amsterdam lebt und der sich schon auf Grund einer simplen Google-Recherche als höchst skandalumwittert entpuppt, ein Jobangebot als CEO zu machen?
Und: Wie kam es in der Folge zum Kontakt zwischen den Geschäftsleuten aus Russland und den Kurz-Anwälten?
Sollte es tatsächlich zur Einvernahme der beiden Russen kommen, steht nicht nur die Glaubwürdigkeit von Thomas Schmid am Prüfstand.
Kronzeugen-Status, bitte warten
Offen ist so auch, ob und wie das auf seinen beantragten Kronzeugen-Status durchschlagen könnte. Darum machen sowohl Staatsanwaltschaft als auch die Justiz generell ein großes Geheimnis.
Alle Indizien deuten darauf hin, dass hier noch keine Entscheidung getroffen ist. Das landläufige Ondit, die WKStA wolle Schmid noch möglichst lange in der Hoffnung auf noch mehr Belastungs-Material zappeln lassen, wird in WKStA-Kreisen entschieden zurückgewiesen.
Tatsächlich unterliegt der Kronzeugen-Status einem diffizilen Entscheidungs-Prozess innerhalb der Justiz bei der auch die juristische Reputation der WKStA auf dem Spiel steht. Diese hat wie in Fällen von Anklage oder Verfahrenseinstellung einen juristisch umfangreich begründeten Antrag zu stellen. Dieser durchläuft nicht nur die Entscheidungskette Oberstaatsanwaltschaft, Ministerium, Weisungsrat und landet schlussendlich zum Letztentscheid auf dem Tisch der Justizministerin. Eine Schlüsselrolle kommt in dem Fall auch dem Rechtsschutzbeauftragten zu, der von den verfahrensbeteiligten Anwälten angerufen werden kann.
Dem formellen Antrag auf den Kronzeugen-Status für den manischen Handy-Nachrichten-Schreiber Thomas Schmid steht derzeit ausgerechnet die Auswertung von Handy-Daten im Wege. Und zwar jener, die bei seinem ehemaligen medialen Achsenpartner, "Österreich"-Herausgeber Wolfgang Fellner, beschlagnahmt wurden. Handy-Daten von Journalisten unterliegen aufgrund des Redaktionsgeheimnisses einem besonderen Schutz vor dem Zugriff durch die Justiz. Es muss vor der Weitergabe in einem aufwändigen Verfahren erst abgeklärt werden, welche Chats oder SMS tatsächlich verfahrensrelevant sind und welche durch das Redaktionsgeheimnis eisern geschützt sind.
Vor Abschluss dieses noch laufenden Prüfverfahrens ist seitens der Staatsanwaltschaft auch keine abschließende Beurteilung der Werthaltigkeit von Thomas Schmids Aussagen in Sachen des Verdachts der Inseratenkorruption möglich, mit denen er seinen Kronzeugen-Status endgültig erwirken will. Kommt es auch hier zu einer Anklage gegen Sebastian Kurz, dann steht für diesem im Falle eines Schuldspruchs im gerade laufenden Verfahren als "Vorbestrafter" dann über Nacht mehr als eine bedingte Strafe auf dem Spiel.