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Wie viel Kurz steckt in Schilling? [Politik Backstage]

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Politik-Jungstars: Sebastian Kurz, damals 27, bei seiner Präsentation als Wiener ÖVP-Spitzenkandidat für die Nationalratswahl am 3. Juni 2013 und Lena Schilling, 23, bei ihrer Präsentation als GRÜNE Spitzenkandidatin für die EU-Wahl am 22. Jänner 2024. Wie viel Kurz steckt in Schilling?

©IMAGO / Andreas Stroh / Eibner
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Der Supergau des EU-Wahlkampfs gibt internen grünen Kritikern neue Nahrung: Ließen sich die Ökos vom türkisen Virus anstecken und blind auf eine Hero-Inszenierung setzen?

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Unter dem Motto “Jeder gegen Jeden” hatte der Nachrichtensender Puls 24 diesen Montag Abend zu hundert Minuten Hardcore-Infotainment geladen. In zehn Runden zu je zehn Minuten trafen je zwei der fünf Spitzenkandidaten abwechselnd zur Direktkonfrontation aufeinander. Zwei Wochen vor der EU-Wahl wurde hier meist zum Dreschflegel statt zum Florett gegriffen. Vor allem die Runden mit Harald Vilimsky wurden sowohl für das Gegenüber als auch die Zuseher zu einer großen Herausforderung.

Der blaue Spitzenkandidat hielt sich an keine Regeln, setzte einmal mehr auf Diskurszerstörung und sucht jeden Ansatz von Kritik mit einer Gegenattacke zu ersticken.

Es war aber vor allem die Performance von Lena Schilling, die am Tag danach das Gesprächsthema war. Sowohl in den sozialen Medien als auch in den polit-medialen Zirkeln rund um das Regierungsviertel machten umgehend zahlreiche Bewertungen der 23-jährigen grünen EU-Spitzenkandidatin die Runde.

"Schilling zaubert Lächeln ins Gesicht"

“Ein guter Abend war das gestern Abend. Ich hab mir jetzt in der Früh alles erst nachschauen können, aber die Performance und die inhaltliche Stärke von @LenaSchilling1 hat mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.”

Dieses Posting auf der Social-Media-Plattform X stammt freilich nicht von einem leicht entflammbaren TV-Zuschauer, der seinem Fan-Herzen öffentlich Luft machen will. Diese Huldigung setzte Ralph Schallmeiner, Gesundheitssprecher der Grünen im Parlament, auf seinem X-Account einen halben Tag nach dem TV-Duell-Marathon auf Puls 24 ab.

Sich derart öffentlich in den Staub für einen Spitzenkandidaten zu werfen, war im Regierungsviertel bislang aus jenen Jahren geläufig, als Sebastian Kurz bei den Türkisen das alleinige Sagen hatte. Unter Grünen wurden Huldigungen wie diese dort wie da als No-Go gesehen.

Ist das nur der Erleichterung entsprungen, dass die grüne Nummer 1 auf der EU-Wahlliste nach drei Wochen medialer Dauerkritik, befeuert von ehemaligen Freundinnen und Vertrauten, nicht die Nerven verloren hat und ihre täglichen Wahlkampfauftritte absolviert, als wäre nichts passiert? Oder ist das noch mehr Wasser auf die Mühlen jener, die schon rund um die intern umstrittene Kür Lena Schillings hinter vorgehaltener Hand monierten: „Nun sind auch die Grünen endgültig dem Kurz-Virus erlegen?“

Sprich: Weil der Partei in Umfragen das Wasser bis zum Hals stand (und mehr denn je steht), hofft man bis zuletzt mit einer neuen strahlenden Führungsfigur zu retten, was noch zu retten ist.

Grüne Basis-DNA contra Hero-Inszenierung

Einwände und Debatten, ob die Hero-Inszenierung einer politisch unerfahrenen Quereinsteigerin mit der grünen DNA vereinbar ist, gab es intern schon rund um die Kür der Klimaaktivistin. Die grüne Spitze, allen voran Klubobfrau Sigrid Maurer, boxte aber deren Inthronisierung als Spitzenkandidatin für die EU-Wahlen gegen alle Bedenken aus Partei und Parlamentsklub durch.

Mit der einstimmigen Wahl Schillings Ende Jänner verstummte nicht nur die interne Kritik. Auch die für eingefleischte Grüne toxischen Vergleiche Lena Schillings mit Sebastian Kurz hatten für ein paar Wochen weitgehend Pause. Mit der vom “Standard” losgetretenen Berichterstattung über Kabalen im privaten Umfeld Schillings, die diese in einem Fall auch zu einer gerichtlichen Unterlassungserklärung zwangen, flammt nun intern die Debatte wieder auf: Wie viel Sebastian Kurz steckt in Lena Schilling? Wie sehr ließen sich die Grünen nach fünf Jahren gemeinsamen Regieren von den Türkisen politisch anstecken?

Was Kurz und Schilling gemeinsam haben

Die Parallelen, aber auch Unterschiede wurden und werden grünintern heftig diskutiert.

Hier der türkise Jungstar, der mit 24 ohne Berufsausbildung oder abgeschlossenes Studium über Nacht zum Integrationsstaatssekretär berufen wurde und dem bald die ganze Partei sowie viele Medien bewundernd zu Füßen lagen. Dort die linksalternative Klimaaktivistin, die mit 23 über Nacht ohne Berufsausbildung oder abgeschlossenes Studium als grüne Spitzenkandidatin für die EU-Wahl auf den Schild gehoben wird. Und deren Erfinder auf ähnlich starken Rückenwind wie im Fall Kurz bei Wählern und Medien spekulierten.

Beide galten und gelten in den eigenen Reihen als politische Ausnahmetalente und einnehmend perfekte Kommunikatoren. Beide mussten und müssen sich nun zugleich aber mit dem Ruf herumschlagen, bei der Wahl ihrer Mittel keine großen Skrupel zu haben und Grenzen zu überschreiten.

Auch Kurz wurden höchst fragwürdige und belastende Chats – freilich erst viele Jahre nach seinem kometenhaften Aufstieg – politisch zum Verhängnis. Schilling muss sich schon in ihrem ersten Wahlkampf zu flapsigen Bemerkungen über die Grünen und anderen Chats mehr erklären. Freundinnen, mit denen sie sich per Handy ausgetauscht hatte, wurden nun zu Kronzeugen der Anklage massiver Untiefen und dunkler Seiten in Lena Schillings Charakter.

Was Kurz und Schilling unterscheidet

“Schilling hat aber mit dem Klimaschutz eine sehr persönliche Mission”, mahnen auch ihre größten Skeptiker bei den Grünen gravierende Unterschiede ein. "Bei Kurz waren die Inhalte austauschbar: Als Staatssekretär forcierte er Integrationsmaßnahmen. Als Außenminister gab er nur noch total populistische Parolen wie die ‘Schließung der Balkanroute’ aus.”

Auf einen Unterschied legen Grüne vor allem nach außen hin beim Vergleich zwischen Kurz und Schilling allerdings den größten Wert. “Bei Kurz untersucht die Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs der Inseratenkorruption. Schilling ist in Sachen Korruption über jeden Verdacht erhaben”, sagt eine Schilling-Kritikerin der ersten Stunde.

Und wie erleben nun grüne Spitzenpolitiker nach drei Wochen Schilling-Negativ-Schlagzeilen die finalen Tage des Wahlkampfs?

Politiker-Frust prägt EU-Wahlkampf

“Die Stimmung ist im Vergleich zu den letzten EU-Wahlkämpfen generell ganz anders. Früher wurde von den Wählern auch inhaltliche Fragen angesprochen und heftig diskutiert, von der Gentechnik bis zum Fracking. Jetzt gelingt es beim Straßenwahlkampf den Leuten gerade noch ein paar Gummibärli in die Hand zu drücken", so eine grüne Nationalratsabgeordnete. “Das ist aber nicht nur bei uns, sondern auch bei anderen Parteien so. Viele Menschen haben von der Politik einfach die Nase voll”, ergänzt ein Kollege aus der Öko-Fraktion.

In Sachen Schilling berichten mehrere grüne Wahlkämpfer übereinstimmend, gäbe es sowohl "Solidarisierungs-Bekundungen und Durchhalte-Wünsche für Schilling" als auch offene Kritik: “Das geht so gar nicht”.

Demoskopen sehen grünen Einbruch, aber keinen Einsturz

Weitgehend übereinstimmend ist das Bild, das das Gros der Meinungsforscher vermittelt. “Der Impact der Affäre Schilling auf das Wahlverhalten ist bisher geringer als viele bei den Grünen befürchtet haben”, sagt ein Demoskop. Nach dem überdurchschnittlich erfolgreichen Comeback (nach dem Rauswurf 2017 aus dem Hohen Haus) bei der EU-Wahl 2019 mit 14 Prozent, starteten die Grünen noch vor Ausbruch der Affäre Schilling in den Umfragen mit rund 12 Prozent ins EU-Rennen. In jüngsten Erhebungen müssen sie davon 2 bis 3 Prozentpunkte abgeben.

Von einem da und dort bereits ventilierten Scheitern an der Vier-Prozent-Hürde oder dem gerade noch überlebensrettenden Rückfall auf einen einzigen EU-Parlamentssitz (statt zuletzt drei Mandaten) ist unter Demoskopen eine Woche vor dem Wahlgang am 9. Juni aber keine Rede.

“Lena Schilling als Spitzenkandidatin hat ja am Anfang sehr gut funktioniert, sie hat Menschen mitgerissen und mobilisiert. Vor allem die Jüngeren haben sich sehr angesprochen gefühlt”, resümiert ein grüner Insider. Und hofft weiterhin, dass dieses Vertrauenskapital bis zum Wahltag nicht zur Gänze wieder dahin ist.

Die bisherigen TV-Debatten und öffentlichen Auftritte Lena Schillings kamen ihrer schwer außer Tritt geratenen Partei dabei offenbar zu Hilfe. “Wie sie dort bisher aufgetreten ist, vermittelte den Eindruck: Hier kämpft eine tapfere junge Frau, die einen Blödsinn gemacht hat, sich aber davon nicht beirren lässt”, sagt ein erfahrener Meinungsforscher:

“Ich glaube daher, dass die Folgen bei der EU-Wahl geringer sein werden als vor einer Woche aus Sicht der Grünen noch befürchten war. Was offen ist, sind aber Auswirkungen auf die grüne Spitze. Wenn der Zwang zur Disziplin wieder gelockert ist, könnten Kogler und Maurer das missglückte Krisenmanagement und die Unzufriedenheit der eigenen Partei nach der Wahl noch zu schaffen machen.” 

Politik Backstage

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