In Sachen regieren heißt es bald „Game over“. Mit einer Doppelspitze suchen die Grünen weiter im Spiel zu bleiben. Werner Kogler ist als Wahllokomotive bei der Nationalratswahl gesetzt. Klimaministerin Leonore Gewessler soll die Frontfrau bei der EU-Wahl geben.
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Am letzten Dienstag im Juli gab die Regierung mit einem Ministerrat noch einmal ein Lebenszeichen von sich, ehe am Ballhaushausplatz die Sommerpause ausgerufen wurde.
Statt der Inszenierung des Miteinanders in einem besonderem Rahmen wie zuletzt im Hotel Schlosspark Mauerbach, saßen die Kabinettsmitglieder so wie jede Woche um den grün bespannten ovalen Sitzungstisch im Kanzleramt. Außergewöhnlich war einzig das anschließende gemeinsame Mittagessen im Beisein von Medienvertretern.
Karl Nehammer und Werner Kogler wollten so zeigen, dass Türkis und Grün mehr gemeinsam haben, als zuletzt politische und personelle Blockaden sichtbar machten. Eines vermag das demonstrative Miteinander aber nicht zu übertünchen: Türkis und Grün rüsten mehr als ein Jahr vor dem regulären Wahltermin bereits für die Zeit nach dem Ende des Regierungsbündnisses.
Türkis und Grün schon im Vorwahlkampf
Werner Kogler hat Anfang Juni eine Dialogtour („Lass uns reden“) durch österreichische Städte eröffnet. Karl Nehammer ist bereits seit seiner Kanzler-Rede im März im Vorwahlkampf. Nach mehr als eineinhalb Jahren im Amt ist der Kanzler weitgehend konturlos geblieben und kämpft um sein politisches Überleben. Nach der schroffen Absage an grüne und woke Visionen in seiner „Österreich 2030“-Rede will er nun auf Teufel komm raus Ecken und Kanten zeigen.
Denn in Umfragen hat sich die FPÖ hartnäckig als Nummer eins mit lautstarken Anspruch auf die Vorherrschaft am Ballhausplatz festgesetzt. Die bisherige Kanzlerpartei kann sich dennoch noch Chancen ausrechnen – in welcher Konstellation auch immer –, in Regierungsämtern bleiben zu können. Für den kleineren Koalitionspartner stehen aber alle Zeichen auf „Game over“.
Eine Fortsetzung der Koalition ist nicht nur arithmetisch, sondern auch politisch ausgeschlossen. Türkise und Grüne haben sich im Laufe der turbulenten vier gemeinsamen Jahre auseinandergelebt. Der nach wie vor starke ÖVP-Flügel der Kurz-Jünger hat Grünen-Chef Werner Kogler nicht verziehen, dass die Ökos den türkisen Messias nach der Hausdurchsuchung im Kanzleramt vor bald zwei Jahren schachmatt gesetzt hatten.
Die Achse Karl Nehammer und Werner Kogler ist dennoch weiter intakt und belastbar. Aber: „Ohne die persönlich Achse Sigi Maurer und Gust Wöginger wäre Türkis-Grün längst politisch tot“, sagen Regierungs-Insider beider Lager. Die beiden tauschen sehr offen gegenseitige Interessen ab. „Was brauchst du, um das bei deinen Leuten durchzubringen?“, gehört zu den meistverwendeten Sätzen im türkis-grünen Regierungsalltag zwischen den beiden Koalitionskutschern.
Grünes Rumoren über Sesselrücken nach 2024
Im Lager der Grünen dominiert seit Wochen im kleinen Kreis ein Thema. Wie geht es nicht nur politisch, sondern auch persönlich für wen wo und wie nach der Nationalratswahl weiter? Halten die Umfragen, muss nur eine kleine Gruppe von Nationalratsabgeordneten um das Mandat fürchten.
Durchwachsen ist der Ausblick für die grüne Regierungsriege. Werner Kogler, der als Spitzenkandidat bei den kommenden Wahlen gesetzt ist, kann als Klubchef auf jenes Spielfeld zurückkehren, dass er aus zwei Jahrzehnten als Parlamentarier in- und auswendig kennt. Sigi Maurer müsste sich auf Zeit mit der Rolle der geschäftsführenden Klubobfrau begnügen. Insider glauben, zu registrieren, dass sich die Vielarbeiterin bereits für die Rolle der Parteichefin rüstet, sobald Kogler nicht mehr will.
Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch hat bereits avisiert, dass er nach der Wahl nach Vorarlberg zurückkehren und dort mit seiner jüngst in Pension gegangenen Ehefrau, der Vorarlberger Ex-SPÖ-Chefin Gabriele Sprickler-Falschlunger, den Ruhestand genießen will.
Justizministerin Alma Zadić hält sich intern über ihre Pläne nach dem absehbaren Ausscheiden aus der Ressortführung noch bedeckt. Immer dichter werden die Hinweise, dass es für die Zukunft von Leonore Gewessler nach ihrer Zeit als Klima- und Infrastruktur-Ministerin bereits sehr konkrete Pläne gibt.
EU-Wahlkampflokomotive Gewessler
Als Chefin des finanzstärksten und mächtigsten grünen Ressorts scheidet für sie der Rückzug auf ein einfaches Nationalratsmandat aus. Gewessler, die von ihren Fans noch vor einem Jahr als mögliche Nachfolgerin von Werner Kogler als Parteichefin und Spitzenkandidatin bei den Nationalratswahlen ins Gespräch gebracht wurde, könnte nun als Spitzenfrau bei einem anderen Wahlgang zum Zug kommen.
Bleibt es beim derzeitigen Timing, dann steht Anfang Juni 2024 mit der EU-Wahl ein Kräftemessen zwischen den Parteien an, das als wichtiger Stimmungsmacher für die anschließenden Nationalratswahlen gilt.
2019 hat Werner Kogler als Trümmermann der Grünen seine 2017 schmachvoll an der Vier-Prozent-Hürde im Nationalrat gescheiterte Partei als EU-Spitzenkandidat erfolgreich zurück in die politische Arena gebracht. Diesen Job will er nicht noch einmal machen.
2024 könnte nun Leonore Gewessler als Frontfrau bei der EU-Wahl die Stimmungsmacherin für die Nationalratswahl geben. Gewessler besetzt als Klimaministerin nicht nur ein Kernthema der Grünen. Sie hat auch das schärfste Profil unter den Spitzen-Grünen, auch wenn sie sehr polarisiert.
36 Prozent der Wähler:innen sagen, dass Gewessler mit Klimaschutzmaßnahmen übertreibt, ergab zuletzt eine Umfrage des Demoskopen Peter Hajek. 32 Prozent hingegen unterstützen ohne Wenn und Aber ihren Kurs.
Die ehemalige Chefin der Umweltaktivistengruppe „Global 2000“, deren oft kompromisslos wirkender Stil auch Grün-intern nicht unumstritten ist, hat damit gute Chancen, als Wahlkampf-Lokomotive über den engen Kreis der Grün-Wähler hinaus attraktiv zu sein.
Die 45-Jährige würde als EU-Spitzenfrau der Grünen in Brüssel in eine Stadt zurückkehren, in der sie schon mehr als halbes Jahrzehnt tätig war: als Gründungsdirektorin der Green European Foundation, einer politischen Stiftung, die aus Mitteln des Europaparlaments finanziert wird. Sollte sich für die Grünen durch eine unerwartete glückliche Fügung nach der Wahl 2024 doch noch eine Option auf Rückkehr in die Regierung eröffnen, könnte Leonore Gewessler dann den Werner Kogler machen.
Als nach Ausbruch des Ibiza-Skandals zwei Wochen vor der EU-Wahl 2019 plötzlich auch bundesweite Neuwahlen anstanden, trat Kogler das von ihm eroberte Comeback-Mandat der Grünen erst gar nicht mehr an, sondern führte die Grünen als Vizekanzler erstmals in Regierungsämter.
Und was sagt Leonore Gewessler auf trend-Nachfrage zu den Grün-internen Planspielen ihrer Kür zur EU-Spitzenkandidatin? „Ich habe als Klimaschutzministerin noch einiges zu erledigen. Das ist auch die Basis dafür, dass wir diese Regierungsperiode als Grüne gut in Richtung Wahl zu Ende bringen. An etwas anderes verschwende ich eigentlich keinen Gedanken.“ Ein klares Dementi sieht anders aus.
Der Artikel ist der trend.PREMIUM Ausgabe vom 28. Juli 2023 entnommen.