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Leonore Gewessler und ihr letztes Gefecht

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SCHLAGABTAUSCH. Finanzminister Magnus Brunner lässt bisherige Umweltgesetze auf Klimawirksamkeit überprüfen: „Sehen nicht jene Effekte, die wir erwarten.“ Ministerin Leonore Gewessler kontert mit neuen Gesetzesvorschlägen: „Auch das Umweltbundesamt sagt: Die Klimaschutzmaßnahmen zeigen Wirkung.“

©APA/ALEXANDER ZILLBAUER
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Mit Gesetzen im Wochentakt versucht Klimaministerin LEONORE GEWESSLER, kurz vor der Wahl noch grüne Spuren zu vertiefen – sehr zum Ärger der ÖVP. Finanzminister Magnus Brunner kontert jetzt mit einem Check bisheriger Ökomaßnahmen.

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Es ist vorerst nur ein interner Verordnungsentwurf, der in der Energiebranche herumgeistert: Das Klimaministerium (BMK) will in Zukunft nur jene Ökokraftwerke fördern, die wahlweise etwa einen Betriebsrat haben, über Kollektivvertrag bezahlen oder regional einkaufen.

Oder Migranten beschäftigen und Väterkarenz anbieten. Auch Raucherentwöhnung oder Diversity-Management sind Türöffner in dem geleakten Papier zu einer „ökosozialen Förderverordnung“.

Das könnte für Verwirrung sorgen, haben doch derartige Kriterien mit der Verteilung öffentlicher Mittel für Grünstrom eher wenig zu tun. Dennoch würde die Verordnung gut in eine auffällige Häufung von aktuellen Vorschlägen von Klimaministerin Leonore Gewessler passen, von der Zwangsdiversifizierung der Gasversorgung über Wasserstoff-Förderungen bis zum neuen Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG).

Alle aber mit zweifelhafter Umsetzbarkeit, denn ebenso auffällig häufen sich die Gegenstimmen aus Wirtschaft und ÖVP. Just das Finanzministerium will nun mit einer Budgetanalyse die Klimawirkung alter Ökomaßnahmen einem Check unterziehen, bevor neue bewilligt werden. Doris Hummer, als Unternehmerin und Präsidentin der WKO Oberösterreich in Politik und Wirtschaft zu Hause, fasst zusammen: „Offensichtlich ist die Klimaministerin mit der Größe ihres Ressorts überfordert. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich Maßnahmen widersprechen, nicht abgestimmt werden und am Schluss dem angestrebten Klimaziel eher schaden als nützen.“

Green Budgeting

Tatsächlich steigt das Misstrauen des Koalitionspartners schon länger: So zog Europaministerin Karoline Edtstadler Gewesslers in Brüssel deponierten, aber nicht letztgültig abgestimmten „Nationalen Energie- und Klimaplan“ (NEKP) wieder zurück. Auch bei der Einbindung von Ländern und Gemeinden in ein „Klimaschutzgesetz“ möchte die ÖVP weit diplomatischer vorgehen als die grüne Frontfrau mit ziemlich rigiden Vorgaben. Ebenso wenig Übereinstimmung gibt es zum fehlenden „Erneuerbaren-Energieausbau-Beschleunigungsgesetz“.

Und jetzt geht Finanzminister Magnus Brunner ans Eingemachte. Mit dem Projekt „Green Budgeting“ will er die tatsächlichen Auswirkungen der bisherigen Regierungsmaßnahmen einem Check unterziehen.

Messlatte ist die Reduzierung der Treibhausgase als ultimatives Klimaziel. Man verliere die Geduld mit dem bisherigen „Blindflug“, wie Wifo-Budgetexpertin Margit Schratzenstaller schon vor einem Jahr urteilte. Projektleiter José Delgado aus der Budgetsektion des Finanzministeriums, Leiter des „Climate Teams“, sagt: „Es ist derzeit leider unbefriedigend, dass wir nicht jenen Effekt bei der Reduktion der Treibhausgase sehen, den wir aufgrund des Mitteleinsatzes eigentlich erwarten müssten.“

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Noch ist man mit den Berechnungen nicht fertig, doch ein erster Überblick zeigt, dass sich die Gesamtausgaben für Klima- und Umweltschutzmaßnahmen in den letzten beiden Jahren bereits auf rund 20 Milliarden Euro addiert haben.

Allein von 2022 auf 2023 stiegen diese Posten aus sieben verschiedenen Ministerien von 7,5 auf 12,4 Milliarden Euro, der Löwenanteil aus dem BMK, 2024 ging es erneut hinauf (siehe Grafik, unten). Delgado: „Die Kosteneffektivität ist hier zentral. Es geht darum, die Wahrscheinlichkeit ökologischer Effekte richtig einzuschätzen, sonst könnten wir Unsummen in die Dekarbonisierung stecken, ohne dass sich etwas rühren würde.“

Gewessler verweist zwar diesbezüglich auf den jüngst berechneten Emissionsrückgang auf zuletzt 67,6 Millionen Tonnen: „Auch das Umweltbundesamt sagt sehr deutlich: Die Klimaschutzmaßnahmen zeigen Wirkung – und das in allen Bereichen, im Gebäudebereich, im Verkehr, in der Landwirtschaft, der Abfallwirtschaft und der Industrie.“

Der Zusammenhang jedoch wird angezweifelt. Tatsächlich gibt es den Abwärtstrend bereits seit dem Peak 2005. Und am Beispiel des gesunkenen, massiv CO2-relevanten Gasverbrauchs rechnete unlängst ein Team aus Wissenschaftlern aus, dass konjunkturelle Schwächen und warmes Wetter dafür hauptverantwortlich waren.

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Ticket ohne Klima?

Seine Skepsis macht das Finanzministerium auch an Gewesslers Lieblingsprojekten fest, etwa bei den Hunderte Millionen Euro schweren „Raus aus Gas“-Förderungen. Delgado: „Es sind exorbitante Mittel, die gefordert wurden und die wir nun dem Klimaministerium zur Verfügung stellen, aber dann fehlen Personal und Anreizsysteme, um das auch umsetzen zu können. Das könnte zu Problemen führen.“

Noch kritischer bezüglich Kosten-Nutzen-Verhältnis sieht man das Klimaticket. Mit seinen bislang 270.000 Nutzern gilt es Bahn-Aficionados als Erfolgsmodell, wird heuer aber rund 800 Millionen Euro Transferzahlungen verschlingen – eine Wirkung auf eine CO2 -Reduktion ist bislang nicht verifizierbar. Nur eine Umfragestudie aus dem BMK Ende 2022 stellte vage fest, dass 19 Prozent der Klimaticket-Besitzer (das wären aktuell 50.000) ihr Mobilitätsverhalten „stark“ zugunsten der Bahn geändert haben.

Was bei großzügig hochgerechnet einer Milliarde vermiedener Autokilometer ( je 20.000 bei allen 50.000) gerade einmal 135.000 Tonnen CO2 einspart. Das macht selbst unter Abzug der Ticketeinnahmen mehrere Tausend Euro an Subventionen für jede eingesparte Tonne. Wer eingesparte Tonnen hingegen in Form von CO2-Zertifikaten im EU-Emissionshandel kauft, zahlt derzeit um die 50 bis 60 Euro.

Dementsprechend vorsichtig ist die Conclusio der Studie. „Natürlich ist das Ticket nur ein Baustein bei der Notwendigkeit, den öffentlichen Verkehr leichter zugänglich und attraktiver zu gestalten“, heißt es, man will lieber auf einer Metaebene diskutieren: „Es stellt ein politisches Statement dar, das dem öffentlichen Verkehr – als Allgemeingut und Beitrag zu einer umweltgerechteren Mobilität – einen hohen Stellenwert einräumt.“

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Umso unangenehmer die Kritik von Bahngewerkschafter Roman Hebenstreit, nachdem die auch durchs Klimaticket induzierte Nachfrage zuletzt eher zu einem Mobilitätschaos führte. Das Klimaministerium hatte zuerst eine stolze Ausweitung an Zugkilometern bestellt, dann mussten 50 Zugverbindungen wieder aus dem Fahrplan genommen werden.

ÖBB-Chef Andreas Matthä entschuldigte sich öffentlich und gab seiner Bahn die Note „bestenfalls genügend“. Hebenstreit: „Wenn Kunden zur Bedrohung werden, haben die Verantwortlichen in Politik und Management nur noch einen lupenreinen Fleck verdient.“

Widerstand

Die Green-Budgeting-Aktion aus dem Finanzministerium ist denn auch Wasser auf die Mühlen der Kritiker aus Wirtschaftskreisen, die der aktuellen Regelungslawine aus dem BMK ohnehin nicht grün sind.

Vor wenigen Tagen etwa brachte Gewessler ihr „Erneuerbares-Gas-Gesetz“ durch den Ministerrat. Es soll den Anteil von Biogas mit einer Quotenregelung erhöhen. Prompt hagelte es Einsprüche der Gaswirtschaft: Warum gibt es kein Fördersystem wie bei Ökostrom, wo die Abnahme über eine Förderstelle garantiert und die Importe angerechnet werden?

Tatsächlich soll importiertes Biogas nicht auf die Zielvorgaben angerechnet werden, und statt Förderungen gibt es deftige Strafzahlungen für Quotenverfehlung. Michael Mock, Geschäftsführer des Fachverbands Gas und Wärme: „Der jetzige Entwurf bedeutet schlicht überbordende Kostenbelastungen für Kunden. Ge- und Verbote sind der falsche Weg zur Erreichung der Klimaziele.“

Nicht weniger Skepsis erntete Gewessler auf der Strom-Seite der Energiewirtschaft, als sie nur wenige Wochen zuvor das neue „Elektrizitätswirtschaftsgesetz“ (ELWG) vorstellte. Zwar lobt man die Absicht. Im Detail jedoch gibt es große Zweifel, ob das Gesetz für die schöne neue Stromwelt wirklich ausreicht.

So sei der komplexe Datenaustausch nicht gesichert, PV-Anlagen müssten drosselbar sein, wer Stromspeicher betreiben darf, ist umstritten, und überhaupt: Wer zahlt? Die neue Strompreisgestaltung wurde in eine Arbeitsgruppe ausgelagert. Michael Strugl, Verbund-Boss und Präsident des Branchenverbands Oesterreichs Energie: „Man muss das zeitlich und räumlich mit allen anderen Komponenten des Stromsystems abstimmen – und das passt bisher nicht zusammen. Es reicht eben nicht, zu sagen, wir brauchen mehr Kraftwerke für mehr Ertrag.“

Der kaum ältere Entwurf zum Netzausbau (ÖNIP) wiederum wird von der E-Wirtschaft überhaupt zurück an den Anfang geschickt. Er unterstütze zwar irgendwie die Energiewende – tatsächliche Erleichterungen sind aber nur bedingt erkennbar, analysiert Barbara Schmidt, Geschäftsführerin von Oesterreichs Energie: „Wir plädieren daher für eine Überarbeitung – und zwar sowohl hinsichtlich inhaltlicher als auch struktureller und methodischer Aspekte.“

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Feinbildpflege

Das Verhältnis zwischen Gewessler und Wirtschaft zeigt jedenfalls schon länger, dass sich Ökonomie und Ökologie doch nicht so leicht verbinden lassen. Der Umbau zu mehr Klimaverträglichkeit und Nachhaltigkeit hinterlässt nicht nur boomende Geschäftsmodelle. Und die ehemalige Global-2000-Geschäftsführerin legte ihren Job in guter Aktivistenmanier auch als Bekämpfung klarer Feindbilder an, Fossillobby, Autofahrer, Ölmultis.

Viele Sympathien verscherzte sie sich etwa, als sie für Coronahilfen Unternehmen in gute und böse aufteilte und jenen ohne fossilen Geschäftsanteil die Innovationsprämie verdoppelte. Oder als sie große Industriekunden monatelang über drohende politische Rationierungen der Gaslieferungen im Unklaren ließ. Dem Handel wiederum oktroyierte sie die teure Einrichtung eines Pfandsystems für Plastikgebinde, obwohl das alte Sammelsystem „Gelbe Tonne“ weiterbesteht.

Und kaum war der Zorn darüber verraucht, veröffentlichte ihr Ministerium jüngst Abfalldaten von Spar, Rewe & Co. zum Thema Lebensmittelverschwendung. Das waren vertrauliche Daten, schäumt Handelssprecher Rainer Will: „Das Vorgehen des Klimaschutzministeriums, das bei rechtlichen Erleichterungen der Lebensmittelweitergabe seit Jahren selbst auf der Bremse steht, ist völlig inakzeptabel.“

Was Gewessler kalt lässt und ihre Hoffnung, alle Pläne noch umzusetzen, nicht schmälert: „Wir sehen, dass die allermeisten Wirtschaftsbetriebe weiter sind als ihre Kammer- oder Verbandsvertreter. Und ich habe in den vergangenen Jahren viele harte Verhandlungen geführt und bin immer zu guten Ergebnissen gekommen. Hartnäckigkeit zahlt sich aus.“

Der Artikel ist aus trend.PREMIUM vom 8. März 2024.
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