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Corona ist endgültig aus den Schlagzeilen verschwunden, die Maskenpflicht bald überall gefallen und auch die diversen Separees der Republik sperren offiziell wieder auf. Die ersten Minister, Kammerpräsidenten und Lobbyisten aller Lager laden wieder zu informellen Abendessen im kleinen oder größeren Kreis. Die ersten Einladungen zu Vorsommer-Festen trudeln ein.
Einer, der vor Corona auf so gut wie keiner Einladungsliste fehlte, für den gilt weiterhin Social Distancing. Nicht Corona-bedingt, sondern politisch indiziert.
Mit Christian Pilnacek, bis vor kurzem mächtigster Mann im Justizministerium, will das Gros der Republik öffentlich nicht gesehen werden. Ein existentieller Bruch in einer Karriere, in der es jahrzehntelang nur steil nach oben ging. Die nominellen Ressortchefs im Palais Trautson kamen und gingen. Schatten-Justizminister Christian Pilnacek blieb und ließ seine Allmachts-Gefühle auch immer öfter immer mehr Menschen spüren. Das wurde ihm politisch und persönlich zum Verhängnis.
Der Spitzenbeamte wurde im Februar des Vorjahrs vom Dienst suspendiert. Seine Bezüge als Sektionschef wurden um ein Drittel gekürzt. Im ersten Zorn, berichtete sein Kollege als Präsidial-Sektionschef im Ministerium Alexander Pirker jüngst im U-Ausschuss, habe Pilncaek total die Contenance verloren und ihm bei Aushändigung der Suspendierung seinen Dienstausweis vor die Füße geworfen.
Mit juristischen Beschwerden gegen die Schmach blitzte bislang Pilnacek bereits dreimal ab - bei der Bundesdisziplinärbehörde, beim Verfassungsgerichtshof und beim Bundesverwaltungsgericht.
Pilnacek, der heuer 60 Jahre alt wird und dessen Frau in Graz lebt, pendelte nach den gemeinsamen Wochenenden immer nur Arbeit nach Wien. Abends hielt er mit Vorliebe im Schwarzen Kameel Hof - einem Treffpunkt für Anwälte, Politiker, Spitzenbeamte, Lobbyisten und Adabeis unweit des Wiener Grabens und Kohlmarkts.
Pilnacek wurde zuletzt wiederholt vorwiegend allein durch die Wiener Innenstadt streifend gesehen.
Das gewohnte selbstbewusste Auftreten beschränkte sich diesen Dienstag kurz nach 16 Uhr freilich nur auf sein Äußeres: Mit modischer Sonnenbrille und im perfekt sitzenden Dreiteiler marschierte Pilnacek zu seiner Aussage als Auskunftsperson im ÖVP-Korruptions-Ausschuss ein.
Sein Eröffnungs-Plädoyer knüpfte nahtlos an seine bislang vergeblichen juristischen Eingaben gegen die Amtsenthebung an. Pilnacek referiert insgesamt dreizehn Beschwerden gegen den Umgang mit seinen Chats und E-Mails nach Abnahme durch die Polizei-Behörden im Auftrag der Staatsanwaltschaft Innsbruck.
Der Kreis der Adressaten seiner Eingaben reicht von der Datenschutzbehörde bis zum Präsidenten des Nationalrats, wo derzeit sein Du-Freund und nächtlicher Telefonpartner Wolfgang Sobotka die Geschäfte führt.
Im Schwarzen Kameel hätten er und seine Kumpanen beim dritten Achtel das Feuerwerk an dreizehn juristischen Eingaben wohl als Strohfeuer eines Verzweifelten belächelt.
Pilnacek sagen Freund und Feind nach, dass er ein Spitzenjurist ist. Sie attestieren ihm auch ein feines Sensorium für die Aufstiegshilfen zur Macht und zur Vermeidung von karriereschädlichen Fallgruben. Vor dem U-Ausschuss präsentiert sich ein Mann, der weiter mit seinem Schicksal hadert. An den selbstbewussten Spitzenbeamten erinnert nur die äußere Hülle.
Sein Versuch, noch einmal mit juristischen Finessen aufzutrumpfen, wirkt konstruiert und hohl. Mit brüchiger Stimme sucht Pilnacek immer wieder sein vermeintliches As auszuspielen: Er habe mit seinen mehr als Dutzend Eingaben eine Herausgabe seiner Handy-Chats und E-Mails erwirken wollen. Ohne diese sei er nicht in der Lage, im U-Ausschuss eine einzige Frage zu seinen Chats und E-Mails zu beantworten.
Der Überraschungs-Moment, der dem gefinkelten Juristen damit kurz gelingt, ändert aber nichts am Lauf der Dinge. Pilnacek und seinen Mitstreitern in den Ausschussreihen der ÖVP ist es zwar gelungen, den U-Ausschuss weiter dem Sinnlos-Verdacht auszusetzen. Am verheerenden Image als Vertrauensmann der ÖVP in der Justiz vermochte Christian Pilnacek damit nichts zu ändern.
In rund zwei Wochen jährt sich die Veröffentlichung des Ibiza-Videos zum dritten Mal. Ein blauer Skandal, der mit Strache und Gudenus zwar zwei prominente politische Opfer forderte, der aber heute längst verblasst scheint.
Zum türkisen Mega-Skandal wurde “Ibiza” erst durch die hunderttausenden Chats von Thomas Schmid, die dieser rechtzeitig vor seiner Hausdurchsuchung gelöscht glaubte. Die durch das Backup auf einer Festplatte allerdings nichts von ihrer Giftigkeit verloren hatten.
50 Personen werden im Gefolge von Ibiza von der WKStA aktuell als Beschuldigte geführt. Der spektakulärste Fall innerhalb der Justiz ist im doppelten Sinn der von Christian Pilnacek.
Spitzenjuristen, die nicht dem ÖVP-Lager angehören und einst die Karriere des gelernten Staatsanwalts wohlwollend begleitet und gefördert hatten, wechseln heute die Straßenseite und wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben.
Die amtierende Justizministerin Alma Zadic spricht bis heute im kleinen Kreis bedauernd darüber, dass Pilnacek die goldene Brücke, die sie ihm bald nach Amtsantritt mit der Aufteilung seines riesigen Machtbereichs gebaut haben will, nicht genutzt habe, um sich wieder mehr auf seine Fähigkeiten als Spitzenjurist zu besinnen.
Besonnenere Gemüter als der suspendierte Heißsporn brüten im Auftrag des Justizministeriums nun seit Monaten darüber, wie eine Wiederholung des Aufstiegs und Falls von Christian Pilnacek eingedämmt oder gar vermieden werden könnte.
Dabei kam der grünen Ministerin kurz die Gunst der Stunde zu Hilfe. Nach der spektakulären ersten Hausdurchsuchung bei einem amtierenden Finanzminister suchte die Kurz-ÖVP einmal mehr ihr Heil in der Vorwärts-Verteidigung. Nach jahrelangem Njet apportierten die Türkisen eine Dauer-Forderung aller anderen Parteien: Statt des interventionsanfälligen Systems, dass am Ende der jeweilige Justizminister über Anklage oder Nicht-Anklage entscheiden kann, soll künftig ein unabhängiger Bundesstaatsanwalt das letzte Wort haben.
Bei den Koalitionsverhandlungen hatte die ÖVP diesen Wunsch der Grünen noch ohne Wenn und Aber abgelehnt. Nach dem Hausbesuch der WKStA bei Gernot Blümel suchte die Kurz-ÖVP mit diesem Reformvorschlag vor allem die Kritik an der WKStA zu befeuern und gleichzeitig guten Reformwillen zu demonstrieren.
Die Ministerin nahm die ÖVP beim Wort und setzte eine mit Praktikern & Theoretikern besetzte Arbeitsgruppe ein. Mehr als ein Jahr danach liegt erst ein erster Zwischenbericht vor. Derzeit arbeiten die Experten an einem weiteren Bericht. Ein konkretes Modell liegt noch nicht auf dem Tisch.
Genau hier dürfte es sich wohl noch länger spießen.
Die ÖVP präferiert das Modell eines Bundesstaatsanwalts, der vom Parlament eingesetzt und von diesem auch laufend kontrolliert wird. Kritiker sehen darin die Fortsetzung der jetzigen politischen Weisungsspitze mit anderen Mitteln.
Die grüne Justizministerin präferiert ein Modell, das sich davon in zwei Punkten substantiell unterscheidet: Bestellt werden soll der oberster Weisungsgeber nicht durch die Politik, sondern durch einen “Rat der Gerichtsbarkeit”, also allein durch die Justiz.
Diese soll keine einzelne Person, sondern ein Kollegialorgan küren. “Wenn das wieder nur eine Person ist, besteht die Gefahr von persönlichem Druck und politischen Angriffen”, sagt ein Justizministeriums-Experte. Und - was er nicht laut aussprechen will: Bei einem Kollegialorgan besteht auch nicht Gefahr des Comebacks eines Schatten-Justizministers à la Christian Pilnacek.
Zadics Reformpläne decken sich weitgehend mit jenen von Richter-Vereinigungs-Präsidentin Sabine Matejka und Staatsanwälte-Präsidentin Cornelia Koller. Auch was eine einmalig längere Amtszeit des Bundesstaatsanwalts nach Vorbild der Rechnungshof-Präsidentin (derzeit 12 Jahre) betrifft, samt Ausschluss der Möglichkeit einer Wiederbestellung.
Die Idee dahinter: Wer gegen Ende seiner beruflichen Laufbahn frei von Karrierekalkülen ist, kann nach außen und nach innen hin glaubwürdiger unabhängig agieren.
Nach den - von der Politik je nach Interesse - massiv befeuerten Dauerquerelen in der und um die Justiz hoffen Optimisten im Palais Trautson zudem: Ein Umbau der Hierarchie in der Staatsanwaltschaft würde auch eine Ende des Stellungskriegs zwischen WKStA und deren Kritikern innerhalb und außerhalb der Justiz und einen Neustart möglich machen.
Vieles an Kritik an den Korruptionsjägern ist politisch motiviert. Einiges hat die WKStA durch schwere handwerkliche Fehler - Stichwort BVT-Affäre - selbst provoziert. Schlussendlich kommen auch schlicht persönliche Fehden dazu, die - weil Justitia idealerweise blind ist - keine Rolle spielen sollten, tatsächlich aber spielen.
Die Justizszene ist überschaubar. Im Laufe eines jahrzehntelangen Berufslebens in der gleichen “Firma” kreuzen sich die Karriereschritte oder stehen einander im Wege.
Der heutige Chef der Oberstaatsanwaltschaft Wien und Pilnacek-Spezi Johann Fuchs und die heutige WKStA-Chefin Ilse-Maria Vrabl-Sanda standen sich so wiederholt im Weg. Fuchs hat einst selbst bei der, in seinen Kreisen heute verfemten, WKStA gearbeitet. Fuchs wollte dort selber Chef werden und ging als Vrabl-Sanda das Rennen machte.
Vrabl-Sanda wiederum spitzte später auch auf den OStA-Chefsessel. Der Absprung aus der WKStA misslang nicht nur. Sie hatte dann auch noch plötzlich Fuchs als Chefaufpasser über sich.
Justiz-Insider sagen: Christian Pilnacek kannte selbstredend diese persönlichen Kalamitäten und hat sie auch genutzt, um Fuchs gegen die WKStA zu instrumentalisieren.
Die zur Vorsicht neigende Justizministerin steht so zur Halbzeit der Legislaturperiode vor dem herausforderndsten Job ihrer Amtszeit: Kann Sie nach Ende der Ära Pilnacek den Umbau der Weisungsspitze in der Staatsanwaltschaft tatsächlich zu einem Neustart der Justiz nutzen?
Die innerkoalitionären Vorzeichen dafür stehen bestenfalls auf Gelb. In der ÖVP hat sich nicht erst mit dem Wechsel an der Regierungs- und Parteispitze die Begeisterung für den Bundesstaatsanwalt verflüchtigt. Die positiven Schlagzeilen sind konsumiert, die alten Reflexe nicht dahin. Das groß angekündigte Reformpaket im Gefolge des Ibiza-Skandals lässt drei Jahre danach weiter auf sich warten - vom grünen Licht für die Informationsfreiheit bis hin zu einem modernen Korruptionsstrafrecht.
Im türkis-grünen Regierungsviertel reicht es bislang nicht einmal für ein einschlägiges Reförmchen, eine "Lex Strache". Denn worüber Strache und Gudenus mit der vorgeblichen Oligarchen-Nichte einst schwadronierten, war aus Sicht von Juristen vor allem deshalb (noch) nicht strafbar, weil Strache damals noch nicht Vizekanzler war. Der FPÖ-Chef konnte damals theoretisch Gott und die Welt gegen Bares versprechen sobald er im Amt ist. Im Juni 2017 war zwar Türkis-Blau bereits absehbar, Strache war im juristischen Sinne aber noch kein Amtsträger.
Diese Gesetzeslücke ließe sich einfach schließen, sagen Experten. Bislang fehlt bei Türkis-Grün selbst dafür der gemeinsame politische Wille. Ein entsprechender Vorschlag des grünen Justizministeriums ist seit Dezember verhandlungsreif. Die "Lex Strache" liegt seit fünf Monaten unerledigt auf dem Tisch des türkisen Koalitionspartners.
Der Autor
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".