Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und FPÖ-Chef Herbert Kickl: Ihre Feindbilder für den Wahlkampf 2024 stehen schon fest. Für Nehammer sind es die Extremisten, für Herbert Kickl die Eliten.
©IMAGO/SEPA.MediaAuch wenn Sebastian Kurz einmal mehr die Schlagzeilen beherrscht: Die ÖVP rüstet sich mit allen Mitteln dafür, mit dem Statthalter in Partei und Regierung nicht auf Platz drei abzustürzen. Karl Nehammer soll zum verlässlichen "Mister Normalo" gegen die "Extremisten" Babler und Kickl gepimpt werden.
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Im ÖVP-Hauptquartier in der Wiener Lichtenfelsgasse wird der Generalsekretär der Partei nicht nur gerne ÖVP-General gerufen. In den Strategierunden, in denen bereits die Weichen für den Wahlkampf 2024 gestellt werden, ist seit der Kür des ehemaligen Berufssoldaten Karl Nehammer zum Parteichef generell eine militärisch anmutende Denke und Sprache eingezogen.
Die "Gefechtsaufstellung" für den Wahlkampf 2024 wird von den Parteistrategen aktuell denn auch so beschrieben: Mit Karl Nehammer, Herbert Kickl und Andreas Babler gehen drei neue Bewerber um den Chefsessel im Kanzleramt an den Start. Für alle drei Newcomer gilt: Entschieden wird der Dreikampf nicht primär über Programme oder Parolen, sondern über das Bild, das die drei für die breite Masse abgeben.
Karl Nehammer, so die Hypothese der VP-Strategen, stehe für das Bild des Kommandanten. Herbert Kickl fungiert in den Planspielen als Archetypus des Rumpelstilzchens. Nur bei Andreas Babler schwanken die Einschätzungen noch. In der Ära von Pamela Rendi- Wagner firmierte die SPÖ- Chefin als "die Prinzessin". Im Fall der Kür von Hans Peter Doskozil als ihr Nachfolger wäre der Fall eindeutig gewesen. Nehammer hätte in den Augen der ÖVP-Strategen einen gefährlichen Konkurrenten um die Wunschrolle des Kommandanten erhalten.
Babler wurde in den türkisen Planspielen bislang als Leichtgewicht gewertet. Ein Erstbefund, der immer wieder hinterfragt wird. Schließlich, so ein ÖVP-Mann, habe selbst ein politischer Vollprofi wie Wolfgang Schüssel einst bis zuletzt den roten Herausforderer Alfred Gusenbauer sträflich unterschätzt.
Türkiser Applaus für Babler statt Doskozil
In Sachen Babler wird in der ÖVP-Zentrale noch Entwarnung gegeben: Der neue SPÖ-Chef agiere bisher "auffällig unvorsichtig und fehleranfällig" und "wird uns mit seinem prononcierten Linkskurs in der Mitte nicht gefährlich".
Die "Mitte", das ist das gelobte Wähler-Land, auf das die zuletzt in den Umfragen von der FPÖ weit abgeschlagenen Schwarz-Türkisen setzen. "Die gute Nachricht ist: Wir verlieren nichts mehr. Die FPÖ hat die Wähler, die von ihr zu uns gewechselt sind, schon zurückgeholt. Von der SPÖ ist in Richtung unserer Wähler keine Gefahr zu erwarten", so ein ÖVP-Stratege.
In den Umfragen ist von einem Terraingewinn bei Mitte-Wählern allerdings noch nicht viel zu bemerken. SPÖ und ÖVP liefern sich nach wie vor ein Duell um den Abstieg auf Platz drei, in dem mal Rot mal Schwarz-Türkis auf dem dritten Platz landet.
Die Hoffnung auf bessere Zeiten klammert sich an zwei Indizien: Karl Nehammers Imagewerte entwickeln sich in den ÖVP-Umfragen besser als die der Partei. Wie groß die Herausforderung durch FPÖ-Chef Herbert Kickl für Karl Nehammer und Andreas Babler aber ist, wurde dieser Tage bei dessen jüngstem Auftritt im Hohen Haus sichtbar. Kickl ist und bleibt kein Sympathieträger, ist aber derzeit unbestreitbar einer der besten Redner im Parlament. Seine Auftritte werden im Hohen Haus von allen Seiten mit hoher Aufmerksamkeit registriert.
Der Grün-Abgeordnete Michel Reimon resümierte danach via Social Media: "Spannend: Kickl redet in der Sondersitzung zehn Minuten über die finanzielle Belastung der ÖsterreicherInnen und gibt MigrantenInnen nicht mal mit einem Wort die Schuld. Sie kommen nicht vor. Alles dreht sich um EU, NATO und Eliten. Vollständiger strategischer Kommunikationswechsel."
Blaues Wettern gegen "die Eliten"
Das Wettern gegen "die Eliten" gehört zwar schon länger zum blauen Standardrepertoire. Kickl bietet bei seinem jüngsten Auftritt bei der Sondersitzung im Parlament aber zugespitzt und komprimiert wie nie zuvor eine Performance der neuen blauen Propagandaerzählung, die das Zeug hat, bis zum Wahlkampffinale auf Tournee zu gehen. Sie beginnt mit "der Vernichtung des Wohlstands, den Generationen aufgebaut haben, durch Serien-Lockdowns ohne Nutzen für die Gesundheit".
Das neue Feindbild heißt hier neben der Regierung WHO. Kickl hangelt sich in seinem Anti-Eliten-Furor weiter Richtung "Verteufelung von Öl und Kohle", bei der ein weiterer Global Player Regie führe, "der Weltklimarat". Und endet mit einer Abrechnung mit "den Sanktionen, die uns dann noch den Rest gegeben haben". Hier tragen für Kickl die "Schuldigen" altbekannte Namen: EU und NATO. Finale furioso: "Sie haben sich auch hier wie bei Corona in eine falsche Strategie verrannt. Wir werden ihnen die Antwort Seite an Seite mit den Österreichern bei den Wahlen geben."
Auffällig war jüngst nicht nur das neu zugespitzte Anti-Eliten-Narrativ des blauen Parteichefs, sondern auch der inhaltliche Parallellauf zwischen Blau und Rot. Wie nah sich die beiden selbst ernannten linken und rechten Volkstribune inhaltlich sind, wurde an einer Reihe von Abstimmungen sichtbar, die in den Schlagzeilen um den Mietpreisdeckel untergingen. Auch wenn man meist keine Aussichten auf eine Mehrheit hat, bringen die Oppositionsparteien im Parlament immer wieder Gesetzesanträge ein – so auch in der Sondersitzung am vorletzten Augusttag in Sachen Teuerung. Hier eine Auswahl der von Rot und/oder Blau begehrten Gesetzesanträge:
Mieten bis 2025 einfrieren
Mietpreisdeckel von zwei Prozent
Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel
Bankzinsen regulieren und Mindestzinsen auf Sparbücher
Übergewinnsteuer für Konzerne, die von der Teuerung profitieren
Bei allen vier dringend gewünschten Antiteuerungsmaßnahmen gab es ein gemeinsames Ja von Rot und Blau sowie ein striktes Nein von Türkis, Grünen und Neos. Wäre dieses rot-blaue Wunschkonzert nicht durchwegs breit mehrheitsfähig, wäre diese jüngste gemeinsame Populismus-Offensive der Kickl-und Babler-Truppe an sich Wasser auf die Mühlen der Wunscherzählung der ÖVP für den Wahlkampf 2024.
Denn bis zum Wahltag wollen die ÖVP-Propagandisten trommeln: Die Österreicher haben die Wahl, das Schicksal des Landes den Wortführern der Extremisten von rechts oder links, Herbert Kickl oder Andreas Babler, anzuvertrauen. Oder sich weiter an einen "Mister Normalo", einen schulterklopfenden Kumpeltyp wie Karl Nehammer zu halten, der sich als Kanzler in multiplen Krisenzeiten bereits bewährt habe.
Damit stehen die neuen Feindbilder im Wahlkampf 2024 schon fest. Für Herbert Kickl sind es "die Eliten": Hierzulande die Regierung und generell EU und NATO. Neuerdings auch der Weltklimarat und die WHO. Andreas Babler lässt mehr denn je landauf, landab gegen "die Superreichen" trommeln. Mal tragen sie ein Gesicht wie der junge Erbe Mark Mateschitz und seine Partnerin Victoria Swarovski. Mal nutzen sie anonym einen jener Privatjets, die Babler schlicht verbieten will. Für Karl Nehammer schlussendlich heißt das neue türkise Feindbild: die "Extremisten" aller Lager, angeführt von Herbert Kickl und Andreas Babler.
Nehammer geht in den direkten Clinch mit Kickl
Der ÖVP-Chef und Kanzler wandelt mit seinen populistischen Duftmarken wie dem Veto gegen den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien sowie der Forderung nach Bargeld in der Verfassung zwar selbst auf Kickls Spuren. Und sucht sich nicht zuletzt deshalb in den letzten Wochen besonders offensiv vom FPÖ-Chef abzugrenzen.
"Ich habe Kickl erlebt in der schwersten Gesundheitskrise, der Coronapandemie. Es ist unverzeihlich, er hat für den politischen Erfolg die Gesundheit der Menschen riskiert", proklamiert Nehammer seit Kurzem, wo immer er kann. "Natürlich haben wir auch Fehler gemacht, aber wir hatten immer das Ziel, Menschenleben zu retten. Kickl hat sich diesem Ziel entzogen und die Krankheit ins Lächerliche gezogen. Er verhält sich auch beim Konflikt Russland-Ukraine vollkommen falsch." Solange Kickl in der FPÖ das Sagen habe, sei eine Neuauflage einer türkisen Koalition mit den Blauen ein No-Go, bekräftigte Nehammer jüngst im ORF-"Sommergespräch".
In Sachen direkte persönliche Abgrenzung zu Babler raten die ÖVP-Strategen derzeit noch zu Zurückhaltung – zumal es für die ÖVP Richtung SPÖ im Moment weder etwas zu verlieren noch zu gewinnen gilt. Je näher der Wahltag rückt, desto öfter könnten freilich die türkisen Hemmungen auch Richtung des kleineren Koalitionspartners fallen. Ein ÖVP-Stratege deutet schon die mögliche Stoßrichtung an. Die ÖVP überlegt sich, im Wahlkampf auch offensiv in die Auslage zu stellen, wo Nehammer künftig gerne Flagge zeigen würde, "wenn er nicht mehr mit den irren Grünen koalieren muss". Nach den Blauen und Roten will die ÖVP auch alle jene Grünen in die Extremisten-Auslage stellen, die etwa mit den Klimaklebern sympathisieren.
Artikel aus trend. PREMIUM vom 8.9.2023