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"Mit der Natur, nicht gegen sie"

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Franz Essl, Biodiversitätsforscher und Wissenschafter des Jahres 2022

©APA/Florian Wieser
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Biodiversitätsforscher Franz Essl: "Wir sollten den Regierungen Mut machen, die Natur als Partner zu begreifen, nicht als Gegner. Eine Politik, die natürliche Ressourcen schützt, macht am Ende alle reicher."

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Wozu sind denn Blumen und Schmetterlinge schon nütze? Ist es nicht egal, ob auf einer Wiese zehn oder 50 Pflanzenarten vorkommen? Solche oder ähnliche Fragen werden immer noch oft gestellt, wenn es darum geht, den Wert einer intakten Natur darzustellen.

Der Wert einer intakten Natur ist tatsächlich nicht eindeutig in Geld zu beziffern. Ebenso wie sich der Wert von Gesundheit oder einer funktionierenden und gerechten Gesellschaft nicht angemessen in Euro oder Dollar ausdrücken lässt. Im Grunde lässt sich gerade das offensichtlich Notwendige, die Basis individuellen oder gesellschaftlichen Wohlergehens, nur behelfsmäßig in finanziellen Größen bemessen. Denn konsequent gedacht sind es unbezahlbare Güter. Es gibt keinen Markt dafür, und doch haben sie ihren Preis, wenn wir sie verlieren.

Ohne intakte Natur keine Bestäuber und Nützlinge auf unseren Feldern und damit ausbleibende Ernteerträge, verstärkter Chemieeinsatz und Böden, die aus dem Gleichgewicht kommen. Ohne intakte Auen kein Schutz vor Hochwässern, die wir in Österreich in diesem Sommer nur zu häufig miterleben. Ohne intakte Wälder steigende Bedrohung durch Muren und Lawinen, die ins Tal donnern. Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Der Rückgang der Artenvielfalt erscheint da oft als stiller, weniger spektakulärer Effekt. Aber er ist auf Sicht mit Sicherheit einer der wichtigsten. Die Vielfalt der Lebewesen, die über viele Millionen von Jahren entstanden sind und in einem feinen, hochkomplexen Netzwerk miteinander verwoben sind, ist die wertvollste Ressource, die uns dieser Planet bietet. Wir sind weit davon entfernt, dieses Zusammenspiel insgesamt zu verstehen. Wir kennen nicht einmal alle Akteure. Und – was wir oft vergessen – wir selbst sind Teil dieses Netzwerkes, eingewoben in das gewaltige System des „Lebens“.

Es ist offensichtlich, dass wir Raubbau an der Artenvielfalt betreiben. Aber Naturschutz ist Menschenschutz.

Franz EsslBiodiversitätsforscher

Es ist offensichtlich, dass wir Raubbau an der Artenvielfalt betreiben – weltweit und ebenso in Österreich. Umso wichtiger ist es daher, die Bewahrung und die Wiederherstellung einer intakten Natur als wichtige politische Aufgabe zu verstehen. Natur als Partner, nicht als Gegner. Dafür sind Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein naturgemäßes Wirtschaften von Menschen, Firmen und Institutionen anerkennen. Auch finanziell. Es muss sich für einen landwirtschaftlichen Betrieb auszahlen, Refugien für Nützlinge zu bewahren. Es muss für Firmen attraktiv werden, Abläufe und Produkte zu entwickeln, die naturverträglich sind. Ein gutes Beispiel ist der exorbitante Bodenverbrauch in Österreich: Hier sind gesetzliche und steuernde Maßnahmen dringend nötig, um einen Anreiz zum Bodensparen zu schaffen.

Das sind anspruchsvolle und tiefgreifende Änderungen, und sie stoßen daher oftmals auch auf Verunsicherung oder auf Widerstand. Daher hat die Initiative mehrGRIPS im Frühling 2024 ein Positionspapier für eine ökologische Transformation vorgelegt. Die dort angeführten 40 Maßnahmen zeigen, dass ein Konsens in der Klima- und Biodiversitätspolitik zwischen Vertreter:innen der Industrie, Wirtschaft, Umweltaktivist:innen und Wissenschaftler:innen sehr wohl möglich ist. Wobei die Einhaltung von Verpflichtungen zum Klima- und Biodiversitätsschutz sich als roter Faden durch das Maßnahmenpaket zieht. Das ist ermutigend und sollte auch der kommenden Regierung Mut machen: nämlich die Natur als endliche und fragile Ressource zu begreifen und Politiken darauf abzustimmen. Naturschutz ist Menschenschutz.

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