Aus dem TV-Werbespot des Möbelhändlers XXXLutz. Die KI-generierten Spitzenkandidaten im „Kindergarten“, wo nur „wild gestritten“ und „auf Blödsinn“ herumgeritten wird.
©SCREENSHOT YOUTUBE / XXXLUTZWie die ÖVP darum kämpft, nicht alle KURZ-WÄHLER an die FPÖ zu verlieren. Warum sich Herbert Kickl wirtschaftsfreundlich wie nie gibt. Und wer in Wirtschaft und ÖVP bereits massiv Druck für ein Comeback einer Regierung mit den Blauen macht.
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Es ist einer dieser Sommertage, an denen auch nach Einbruch der Dunkelheit die Gluthitze nicht weichen will und die Luft zum Schneiden bleibt. Der direkt an der Salzach gelegene Garten des Salzburger „Cafés Bazar“ ist zum Bersten voll. Tische und Sessel sind weggeräumt worden, um mehr Platz für eine geschlossene Gesellschaft zu schaffen.
Wer immer kann, zieht einen Platz im Freien vor – auch um den Preis, dass hier bald kein Weiterkommen mehr ist. Der Event an diesem letzten Freitag im Juli wurde so im Vollsinn des Wortes zu einem Stehempfang. Sebastian Kurz hatte zu „Schinkenfleckerl und Gin Tonic“ geladen. Ungewöhnlich war nicht nur diese Kombination. Das traditionelle Gericht und die Wacholder-Spirituose wurden in Gmundner Porzellan gereicht. Als Co-Einlader fungierte nämlich der Salzburger Unternehmer Markus Friesacher, Besitzer des Traditionsbetriebs Gmundner Keramik.
Unter den mehr als 300 Gästen mit hoher Unternehmer- und Managerdichte fand sich etwa der Paradeunternehmer und Mehrheitseigentümer des Baukonzerns Porr, Klaus Ortner, einer der ersten finanziellen Förderer des jungen Kurz. Ebenfalls aus Tirol angereist war mit dem umtriebigen Seilbahnlobbyisten Franz Hörl ein weiteres prominentes Mitglied der Adlerrunde. Hörl ist ebenfalls Kurz-Fan der ersten Stunde, wie sein aus Wien angereister Abgeordneten-Kollege Martin Engelberg, der – so wie Hörl von der neuen ÖVP-Führung an unwählbare Stelle gereiht – nun auch per Vorzugsstimme um seinen Wiedereinzug ins Parlament kämpfen muss.
Mit von der Partie einmal mehr auch der „Maitre de Plaisir“ der Türkisen, Gastronom Martin Ho, so wie viele andere langjährige Weggefährten und Sympathisanten zuvorderst aus den westlichen Bundesländern. Zu späterer Stunde machen mit Alexander Schallenberg und Martin Kocher nach der ersten Festspiel-Premiere auch zwei amtierende ÖVP-Minister Kurz ihre Aufwartung. Mit Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und Salzburgs Landeschef Wilfried Haslauer war die aktuelle ÖVP-Nomenklatura am ranghöchsten vertreten.
Vergesst Ibiza, FPÖ und ÖVP wieder auf Tuchfühlung
Umso auffälliger war daher die Anwesenheit von Spitzenfunktionären anderer Couleur. In einer Ecke der „Bazar“-Terrasse hielten Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp und Maximilian Krauss, FPÖ-Klubobmann im Wiener Landtag, Hof. Fünf Jahre nach Ibiza scheint der radikale Bruch zwischen Türkis und Blau von beiden Seiten vergessen. Die beiden Toprepräsentanten der Wiener FPÖ zählen nach wie vor nicht zu den größten Fans von FPÖ-Bundesparteichef Herbert Kickl. „Nepp, aber auch andere in der FPÖ schätzen es sehr, dass Kurz die Kontakte zur FPÖ weiter pflegt“, sagt ein Vertrauter des Ex-ÖVP-Chefs.
Kurz, der hinter den Kulissen mehr denn je die Weichen für ein Comeback stellt, hat sich diskret längst auch mit seinem Ex-Innenminister getroffen und mit ihm ausgesprochen. Ein Kurz-Intimus ist sich sicher: Heute würde der Ex-Kanzler nicht mehr ultimativ den Kopf Herbert Kickls fordern und damit den Auszug aller FPÖ-Minister riskieren wie in den dramatischen Maitagen 2019.
Nicht nur Kurz trauert Türkis-Blau nach
Sebastian Kurz trauerte erst kürzlich erstmals auch öffentlich dem jähen Ende der gemeinsamen Regierung infolge des Ibiza-Videos nach. Die Informationslage sei schlecht gewesen, laut Gerüchten sollte nach den „gut geschnittenen Minuten“ des Videos noch viel kommen, die Stimmung sei aufgeheizt und viele seien gegen eine Fortsetzung der Koalition gewesen, ließ er jüngst öffentlich wissen. Die Weiterführung von Türkis-Blau wäre hinterher gesehen „besser gewesen“, resümierte der Ex-Kanzler kürzlich in einer live gestreamten Managerrunde auf Einladung des lang jährigen FPÖ-Verbindungsmanns in der ORF-Spitze, Thomas Prantner. Die Koalition mit der FPÖ habe nämlich „sehr gut funktioniert“. Im Vergleich mit der FPÖ sei die Zusammenarbeit mit den Grünen „wesentlich schwieriger“ gewesen.
Das trifft auch die Stimmung derer, die sich ein paar Wochen danach im „Café Bazar“ eingefunden haben. Die Gespräche kreisen abseits von Persönlichem um den politischen Frust über die zurückliegenden türkis-grünen Regierungsjahre in Österreich, aber auch über die EU und Brüssel. „Der Green Deal treibt immer seltsamere Blüten, statt uns wirtschaftlich weiterzubringen“, beklagen anwesende Unternehmer. Die ÖVP habe sich von den Grünen zu oft erpressen lassen, um wenigstens ein paar ihrer Anliegen durchzubekommen. Öko-Themen hätten daher politisch, aber auch budgetär viel zu viel Gewicht erhalten. Die Positionierung der ÖVP als Wirtschaftspartei habe darunter selbstmörderisch gelitten, monieren anwesende ÖVP-Funktionäre aus der zweiten und dritten Reihe.
Vor allem der regierungsinterne Poker um die EU-Renaturierungsrichtlinie sorgte an diesem Abend nach wie vor für Missmut. Nach dem „eigenmächtigen Ja von Gewessler zum Renaturierungsgesetz wäre ein Ende mit Schrecken besser gewesen als noch mehr Schrecken ohne Ende“, lassen vor allem Wirtschaftsleute Sympathie für ein Koalitionsaus mit den Grünen à la Ibiza erkennen. Der Ex-Kanzler und vor allem seine Hundertschaften an Weggefährten und Vertrauten, die heute noch in Kabinetten und Beamtenbüros des ÖVP-Regierungsteams arbeiten oder in den Bundesländern an Schaltstellen in Partei- und Regierungsämtern sitzen, sind in der ÖVP bald drei Jahre nach dem Rückzug von Kurz aus allen Ämtern nach wie vor ein Faktor.
Heimatlose Mitte-rechts-Wähler
Die Fäden laufen seit dem Krampustag 2021 bei Karl Nehammer zusammen. Die als Beifang bei einer Hausdurchsuchung ruchbar gewordenen Chats des Kurz-Steigbügelhalters Thomas Schmid über das Innenleben der türkisen Buberlpartie haben nicht nur eine Reihe von juristischen Ermittlungen und den Rücktritt des Kanzlers und des Finanzministers losgetreten. Nach dem fulminanten Wahlsieg 2019 mit 37 Prozent der Stimmen für Türkis wurde dieses Vertrauenskapital nach der ersten Chat-Enthüllungswelle binnen weniger Monate wieder weitgehend verspielt.
Heinz-Christian Strache stand bald nach der großen europaweiten Flüchtlingswelle 2015 mit Umfragewerten von rund 30 Prozent monatelang ähnlich scheinbar uneinnehmbar auf Platz eins der Wählergunst wie heute neuerlich die FPÖ angeführt von Herbert Kickl. Mit dem „Projekt Ballhausplatz“ und dem erfolgreichen Mobbing der Kurz-Partie gegen den damaligen ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner kehrten sich die Verhältnisse binnen weniger Wochen radikal um.
Statt Heinz-Christian Strache ging Sebastian Kurz als klare Nummer eins durchs Ziel und fuhr im Herbst 2017 mit 31,5 Prozent jenen Wahltriumph für die ÖVP ein, der noch wenige Monate davor für die FPÖ sicher schien.
Zwei Jahre später kamen die Türkisen mit dem Turbo des Ibiza-Skandal-Videos um sechs Prozentpunkte mehr auf 37,5 Prozent der Stimmen. Mit dem Wechsel an der ÖVP- und Regierungsspitze war die türkis-schwarze Kanzlerpartei dabei, wieder auf Feld eins und bescheidene Wahlaussichten wie zuletzt in der Ära Mitterlehner zurückzufallen. Die von der Demoskopie vereinfacht als „Kurz-Wähler“ apostrophierten Stimmbürger sind zum überwiegenden Teil wieder zur FPÖ, in kleineren Dosen zur SPÖ und in Spurenelementen zu den restlichen kleineren Parteien zurückgekehrt.
Auf gut eine halbe Million Stimmen schätzen Demoskopen den harten Kern der Wähler, die zwischen Blau und Türkis hin und her wanderten und jetzt wieder zu haben sind. Es ist jener Block an Mitte-rechts-Wählern, denen einst der Kurs der FPÖ immer wieder zu radikal wurde. Die etwa 2002 nach der blauen Revolte in Knittelfeld erst ihr Heil bei Wolfgang Schüssel, nach der Spaltung der FPÖ 2006 bei Haiders BZÖ, 2012 beim Team Stronach und zuletzt bei Türkis eine neue Heimat suchten und meist nur kurzfristig fanden.
Kurz-Wähler von gestern heute Zünglein an Wahl-Waage
Diese Mitte-rechts-Wähler, die 2017 erstmals und 2019 nach Ibiza noch zahlreicher auf Kurz setzten, sind nach der Implosion der türkisen Messias-Inszenierung 2024 wieder zur freien Verfügung am Wählermarkt. Diese rund 500.000 wechselbereiten Mitte-rechts-Blinker sind in diesem Wahlkampf die am meisten umkämpfte Wählergruppe. Denn sie entscheiden auch darüber, ob tatsächlich die FPÖ erstmals bei einer bundesweiten Wahl als Nummer eins durchs Ziel geht und wie viele Prozentpunkte die neue oder alte Nummer eins am Wahlabend von der Nummer zwei trennen werden. Dieses Match wird, nachdem sich die SPÖ mit dem strammen populistischen Linkskurs von Andreas Babler aus dem Spitzenduell genommen hat, zwischen Blau und Türkis ausgetragen. Der ÖVP-Wahlkampf hat sich in diesem Infight um die Mitte-rechts-Wähler einer bisweilen schwer vermittelbaren Doppelstrategie verpflichtet.
Inhaltlich und thematisch suchen die ÖVP-Spitzen von Karl Nehammer abwärts, der FPÖ mit allen Mitteln das Wasser abzugraben. In den letzten Wochen verging kaum ein Tag, an dem der ÖVP-Innenminister nicht einen neuen Erfolg in Sachen Reduktion der Asyl- und Flüchtlingszahlen zu vermelden suchte. In Sachen Sicherheit, Asylpolitik und Migration sind Türkis-Schwarz und Blau nur noch für Feinspitze zu unterscheiden. Gleichzeitig nimmt die ÖVP-Propaganda den Parteichef der FPÖ von allen politischen Mitbewerbern am schärfsten und lautstärksten ins Visier.
Industrielle für Blau-Schwarz
Wolfgang Bachmayer begleitet als Markt- und Meinungsforscher bereits seit einigen Jahrzehnten heimische Wahlkämpfe. „Der ÖVP-Wahlkampf wirkt inhaltlich und in zeitlicher Abfolge gut geplant und wird ungestört von internen Querelen durchgezogen“, resümiert der OGM-Chef. „Die ÖVP lief eine Zeit lang aber Gefahr, dass sie durch Fixation auf Sicherheit ihre Klientel vernachlässigt. Diese hat sie mit der Vorlage eines Wirtschaftswahlprogramms nun gebannt.“
Denn Herbert Kickl, den Bachmayer „für einen der besten politischen Strategen“ hält, habe zu Beginn des Intensivwahl-kampfs Ende August „sehr bewusst und geschickt rund um sein ORF-‚Sommergespräch‘ mit der häppchenweisen Präsentation des neuen FPÖ-Wirtschaftsprogramms eine Schwachstelle der FPÖ in Angriff genommen“ (Bachmayer). „Es ist sehr wirtschaftsaffin. Es kommt nicht einmal die Forderung nach einer Bankenabgabe vor, die bisher von Kickl durchaus zu erwarten war. Alles in allem ist beim blauen Wirtschaftsprogramm der Unterschied zur ÖVP nur mit der Lupe auszumachen“, analysiert ein lang jähriger ÖVP-Stratege.
In der ÖVP wird mit großer Aufmerksamkeit registriert, dass der blaue Populist, der sonst keine Hemmungen kennt, damit nicht primär das Heer der FPÖ-Wähler, sondern jene überschaubare Zahl an ÖVP-Spitzenfunktionären umwirbt, die ab 30. September über die Schlüsselfrage nach der Wahl zu entscheiden haben: Bleiben Nehammer & Co. beim aktuellen Planspiel, mit der SPÖ und bei Bedarf den Neos zu koalieren – sofern bei den Roten nicht weiter Andreas Babler das Sagen hat? Oder macht die ÖVP doch wieder den Weg für eine Koalition mit der FPÖ frei?
Die blauen Schalmeientöne zeigen hinter den Kulissen längst Wirkung. „Die Industriellenvereinigung, die vor fünf Jahren diskret und sehr wohlwollend bei Türkis-Grün Pate stand, macht schon seit Wochen für eine Neuauflage einer ÖVP-Regierung mit den Blauen mobil“, berichten mehrere ÖVP-Insider. Vor allem die Spitzenleute der Industrie-Vertretung in Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark tun dies ÖVP-intern bereits unmissverständlich kund. „Ob mit oder ohne Kickl halten sie für nebensächlich und lösbar“, so ein Szenekenner. „Der einzige homogene Block, der weiterhin eisern zu einer Neuauflage einer mittelgroßen Koalition von Schwarz und Rot plus Pink im Notfall) steht, sind die Spitzenfunktionäre von Raiffeisen.“ Je schwächer die derzeitige Kanzlerpartei am 29. September unter den derzeitigen Umfrageerwartungen (Platz zwei mit rund 24 Prozent) abschneidet, desto stärker wird zudem der Druck auf Karl Nehammer steigen, mit Herbert Kickl wie auch immer zu einem Koalitionsdeal zu kommen.
Nehammer-Macherin Mikl-Leitner will keine Regierung „mit den Sozis“
Gehörigen Druck für eine Regierung mit den Blauen wird der Niederösterreicher auch von seiner wichtigsten Unterstützerin erhalten. Johanna Mikl-Leitner macht im kleinen Kreis kein Hehl mehr daraus, dass sie nun auch im Bund für eine Regierung mit den Blauen und „nicht mit den Sozis“ ist. Die Landeshauptfrau gibt damit selbst jenem Druck nach, den sie in ihrem Bundesland schon seit Längerem massiv spürt. „Die Bürgermeister wollen ähnlich wie in Salzburg, dass die ÖVP mit der FPÖ regiert. Sie sagen, dass sie sowohl auf lokaler Ebene als nun auch in der Landesregierung gute Erfahrungen mit den Blauen gemacht haben“, berichtet ein niederösterreichischer ÖVP-Insider.
Die einst stabile schwarz-rote Achse zwischen Niederösterreich und Wien der Ära Erwin Pröll und Michael Häupl ist damit Geschichte.
Artikel aus der trend. PREMIUM Ausgabe vom 6. September 2024
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