Wie es bei den Roten nun auch zum heillosen Durcheinander wegen des Kriegs vor der Haustür kam. Warum ÖVP-Abgeordnete einem ukrainischen Spitzenpolitiker jüngst die Uniform verbaten und last minute in einen Anzug steckten. Was von Rendi-Widersacher Doskozil im Umgang mit Putin & Co zu erwarten wäre.
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Der Bundespräsident hatte sich samt Gefolge auf der Galerie des frisch renovierten Nationalrats-Sitzungssaals eingefunden, zudem der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Oskar Deutsch und eine Handvoll Diplomaten: Die Botschafter von Moldau, Rumänien, Slowakei, Ungarn und selbstredend jener der Ukraine sowie eine Vertreterin des Geschäftsträgers Polens.
Bei der Angelobung Alexander Van der Bellens für dessen zweite Amtsperiode Ende Jänner waren die Reihen weitaus dichter besetzt.
Donnerstag früh um 9 Uhr ging im Plenarsaal des Hohen Hauses freilich nicht eine offizielle Parlamentssitzung über die Bühne. Die “Videoansprache des Präsidenten der Ukraine, Seine Exzellenz Wolodymyr Selenskyj” – so der hochoffizielle Titel – war als "Veranstaltung des Parlaments" ausgeschildert, eingeladen von dessen Präsidenten Wolfgang Sobotka.
Der ÖVP-Mann umging damit die Peinlichkeit, wie beim ersten Versuch vor einem Jahr am Einspruch von FPÖ und SPÖ zu scheitern. Alles in allem hatte der Video-Auftritt dennoch alle Ingredienzien, lediglich als eine Selenskyj-Rede mehr in Erinnerung zu bleiben.
Wien Schluss-Station einer weltweiten Rede-Tour
Die Riesen-Leinwand an der Stirnseite des Nationalratssitzungs-Saals war schließlich eine der letzten Stationen, die der ukrainische Präsident auf seiner Rede-Tour durch Europa seit Kriegsausbruch - überwiegend bereits im vergangenen Jahr gemacht hatte. Nur Ungarn und Bulgarien verweigern sich als einzige EU-Länder bis heute diesem gemeinsamen Zeichen der Ablehnung des russischen Angriffskrieges.
Selbst der theatralische Auszug der FPÖ bei Beginn der Rede des ukrainischen Staatsoberhaupts war erwartbar. So hatten es die Blauen schon jüngst bei der Angelobung des Bundespräsidenten gehalten.
SPÖ einmal mehr gespalten & führungslos
Für die breite Öffentlichkeit neu war, dass im linken Sektor des Hohen Hauses rund die Hälfte der Abgeordneten-Sessel leer blieb. Noch vor einem Jahr hatte etwa der Wehrsprecher der SPÖ, Robert Laimer, gegen eine Einladung von Wolodymyr Selenskyj, so mobil gemacht: “Kriegsrhetorik hat im Hohen Haus keinen Platz! Es lebe die Neutralität Österreichs."
Diesmal war öffentlich aus der SPÖ keine einzige kritische Wortmeldung zu vernehmen. Rund die Hälfte der vierzig roten Nationalratsabgeordneten blieb wort- und grußlos fern. Nur die Parteichefin und Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses, Pamela Rendi-Wagner, ließ – aufgeschreckt von Kritik und Medienanfragen – erst eine Stunde nach der Rede wissen: Sie sei “leider erkrankt” und bedaure, dass ihre “geplante Solidaritätsadresse ausfiel”.
Die jeder Fraktion im Anschluss an die Rede zustehende Wortmeldung übernahm Klub-Vize Jörg Leichtfried, als Ex-EU-Abgeordneter ein außenpolitischer Routinier. Die Rede bot sowohl eine Solidaritätsadresse als auch einen Friedensappell und ließ so auch aus den Reihen der heftigsten SPÖ-Kritiker bei den Neos wenig zu wünschen übrig.
"Wenn Sobotka einlädt, ein ausreichender Grund nicht zu kommen"
Das fatale Zeichen einer einmal mehr gespaltenen Partei war damit aber nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Als Erklärung geht ein Bündel von Darstellungen um: "Wenn Sobotka einlädt, ist das für manche bei uns ein ausreichender Grund nicht zu kommen", so ein SPÖ-Insider. Der einstige Rede-Gegner Laimer wiederum ließ wissen, er habe sich Selenskyj in seinem Büro am TV-Schirm angehört, um nicht durch Störaktionen der FPÖ daran gehindert zu werden. Andere hatten ähnliche politische Bedenken wie die Blauen.
Gänzlich überrascht konnte die SPÖ-Klubspitze von der hohen Absenz nicht sein. “Es ging eine Liste um, wo sich jeder mit Zusage oder Absage eintragen sollte”, sagt ein langjähriger Nationalrat: “Aber manche haben die Veranstaltung nicht so wichtig genommen.” Eine SPÖ-Sprachregelung aber wird von allen SPÖ-Parlamentarieren mitgetragen: "Es war aber keine Protestaktion.”
Zurück bleibt freilich das Bild einer Partei, die sich erst wochenlang auf offener Bühne auch mit persönlichen Untergriffen zerfleischt. Um sich selbst in einer außenpolitischen Schlüsselfrage endgültig als führungslos zu präsentieren. Jeder Genosse entscheidet nach eigenem Gutdünken, welches persönliche Zeichen er im Umgang mit dem Krieg vor Haustür setzt.
“Es war mir nicht notwendig, zu kommen”, erwiderte etwa eine Bundesländer-Mandatarin, die pünktlich mit Ende der Selenskyj-Veranstaltung den Sitzungssaal betrat, fragende Blicke von benachbarten grünen Abgeordneten.
Dosko-Kenner: "Nicht hingehen ein Blödsinn"
Sensible Gemüter in der SPÖ-Fraktion glauben, dass hier auch schon der innerparteiliche Vorwahlkampf für die Mitgliederkür der SPÖ-Spitze Wirkung zeigt. Ein langgedienter SPÖ-Mann sagt: „Heiklen Terminen fernzubleiben und Tabus wie die Neutralität zu meiden, könnte um das Mandat fürchtende Kollegen motiviert haben: Besser nichts als das Nicht-Opportune tun.“
Manche bangende Genossen mag so wohl überraschen, dass dies etwa durch Hans Peter Doskozil nicht belohnt würde. Der burgenländische Landeschef war höchstpersönlich schon vier Mal im kriegsgeplagten Land mit Hilfsgütern im Gepäck. Ukrainische Flüchtlinge wurden zudem mit Bussen ins Burgenland geholt. “Doskozil hätte sich im Vorfeld der Selenskyj-Rede ein Meinungsbild geholt, eine gemeinsame Linie erarbeitet und die dann auch durchgezogen”, sagt ein Kenner des Rendi-Wagner-Kritikers: “Nicht hinzugehen hätte er für einen Blödsinn gehalten.”
Weil die ratlosen Roten den Scheinwerfer mit scheinbar masochistischer Lust voller Kraft auf sich selber richteten, blieb weitgehend unbeachtet: Auch die Regierungsbank war mit zwei ÖVP-Ministern (Alexander Schallenberg und Martin Kocher), einem ÖVP-Staatssekretär (Florian Tursky), einem grünen Vizekanzler (Werner Kogler) und zwei grünen Ressortchefs (Alma Zadic und Johannes Rauch) nicht gerade üppig besetzt.
Folgenloses ÖVP-Murren: "Ich brauch den Selenskyj nicht hier"
Murren über Sobotkas Einladung zur Rede des ukrainischen Staatspräsidenten gab es zwar auch in der ÖVP, es blieben aber nur wenige Sitze leer. “Ich brauch den nicht hier”, kommentierte ein ÖVP-Mandatar den Auftritt des Staatspräsidenten knapp, blieb aber dennoch sitzen. “Ich finde es nur unhöflich, wenn er schon da ist, wie die FPÖ damit umgeht. Wir sind und bleiben neutral und sollten uns weiterhin nicht auf die Seite einer der Kriegsparteien stellen”, sekundierte im Vorfeld ein anderer.
Nationalratspräsident und ÖVP-Mandatar Wolfgang Sobotka hatte sich für die Einladung des ukrainischen Präsidenten diesmal nicht einmal in seiner eigenen Fraktion den Segen in offener Sitzung den Segen geholt, sondern das Go in bilateralen Gespräch mit Partei- und Klubführung abgeklärt.
Sobotkas Trauma mit textilem Neutralitäts-Imperativ im ÖVP-Klub
Offenbar sind Sobotka die Widrigkeiten rund um die Visite eines anderen ukrainischen Staatsgastes noch bleibend unangenehm in Erinnerung. Für Mitte Juni vergangenen Jahres hatte sich auf seiner Tour durch Europa Sobotkas ukrainischer Parlamentspräsidenten-Kollege Ruslan Stefanschuk auch im Hohen Haus angesagt.
Stefanschuk, der mit seinem gut dreistelligen Gewicht an Selenskyjs Seite wie dessen Bodyguard wirkt, war in seiner olivgrünen Uniform bereits in Wien angereist als es im ÖVP-Parlamentsklub zu heftigen Wortgefechten kam. Es sei unmöglich, dass der Repräsentant eines anderen Landes in Uniform im Parlament erscheine, empörten sich schwarze Mandatare.
Eine der WortführerInnen der innerfraktionellen Revolte war die damalige Klubobmann-Stellvertreterin und nunmehrige Volksanwältin Gaby Schwarz. “Was soll ich machen, er ist so angekommen und hat auch nix anderes mit”, warf Wolfgang Sobotka selten defensiv ein.
Eklat um leere ÖVP-Reihen last minute vermieden
Da halfen auch die naheliegenden Argumente nichts, dass Stefanschuk wenige Tage zuvor sowohl im deutschen Bundestag als auch im Europäischen Parlament ohne Widerspruch in olivgrüner Montur aufgetreten war. In einem Land, das sich per Verfassung der immerwährenden Neutralität verschrieben habe, so die schwarz-türkisen Sobotka-Widersacher, sei der Auftritt eines ausländischen Staatsgastes in Uniform anders zu werten – als unvereinbar.
Um einen Eklat um leere ÖVP-Reihen zu vermeiden, wurde für den Hünen Stefanschuk in einer Blitzaktion in Stil und Größe passende Kleidung organisiert. Zu seiner Rede im Hohen Haus erschien der ukrainische Parlamentspräsident dann wie frisch aus dem Ei gepellt in der Uniform der heimischen Politik: Blauer Anzug, weißes Hemd, dezente blaugestreifte Krawatte.
Die FPÖ boykottierte die Rede Stefanschuks noch ohne Hinterlassung von Taferln, als dieser nicht vom Abgeordneten-Rednerpult, sondern vom Platz des Parlamentspräsidenten aus zu den Mandataren sprach. Das entblößende Gezerre um die textile Neutralität von Roslan Stefanschuk suchte sowohl der Gast als auch sein Einlader dem Vergessen anheim fallen zu lassen.