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Nebelstochern im Indian Summer [Politik Backstage]

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Bundespräsident Alexander Van der Bellen, UNO-Generalsekretär António Guterres und Außenminister Alexander Schallenberg bei der UNO-Generalversammlung in New York.

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72 Stunden Speed-Dating beim Schaulaufen der Weltpolitik in New York. Warum Alexander Schallenberg diesmal einen neuen Rekord aufstellen wollte – und Alexander Van der Bellen besonders grüne Spuren hinterließ.

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Der Termin stand seit Monaten fest, die Flugtickets waren seit Wochen gebucht. Vergangenen Samstag um 10:40 sollte Bundespräsident Alexander Van der Bellen in Begleitung seiner Frau Doris Schmidauer und einer Handvoll Mitarbeiter von Wien Richtung New York abheben. Die AUA setzt für ihre Transatlantik-Flüge Boeing 767 oder 777 ein. Diese zählen mit im Schnitt 25 Betriebsjahren zu den ältesten Maschinen der heimischen Flugflotte, gelten als durchwegs robust und verlässlich. Wenn die Überwachungssysteme aber ein dräuendes Problem einmelden, reicht in der Regel kein schneller Handgriff. Dann müssen die Maschinen zum Check auf Herz und Nieren in den Hangar.

Die Boeing 777, die den Bundespräsidenten via Newark zur UNO-Generalversammlung kutschieren sollte, war am Vortag noch Richtung Chicago im Einsatz. Knapp zwei Stunden nach dem Abheben musste das angegraute Luftfahrzeug aber wegen eines nicht behebbaren Defekts an einem der drei Hydrauliksysteme auf der Höhe von Bergen/Norwegen eine scharfe Linkskurve retour Richtung Wien nehmen.

Die defekte Maschine wurde von zahlreichen Einsatz-Fahrzeugen empfangen und sicherheitshalber wurde ihr ein Landeplatz an einer äußeren Position des Vorfelds des Wiener Flughafens zugewiesen. Die Boeing 777 setzte zwar komplikationslos auf, war aber erst 48 Stunden später wieder voll flugtauglich.

Die Folgen des Flugausfalls übernahm ein Computer, der neuerdings nicht mehr bei der AUA in Wien, sondern in Innsbruck steht. Die künstliche Intelligenz in Diensten der Lufthansa-Gruppe befindet darüber, wo im Falle eines Flugausfalls die dezimierte AUA-Langstrecken-Flotte in den kommenden Stunden oder Tagen zum optimalen Wohle des Unternehmens zum Einsatz kommt. Ergebnis: OS 89, der Linienflug der Samstagvormittag mit dem Staatsoberhaupt an Bord Richtung New York abheben sollte, bleibt am Boden.

Als die Nachricht in der Hofburg aufschlägt, glühen Freitagabend alle knapp vor dem Wochenende noch zugänglichen Drähte in die Führungsetagen der Austrian Airlines. Für eine Umkehrung der Computer-Entscheidung war es freilich längst zu spät.

Lufthansa cancelt VIP-Status für österreichisches Staatsoberhaupt

Bis vor kurzem wies ein “blaues Hakerl”, so ein Insider, als diskretes Signal in den AUA-Systemen darauf hin, dass ein gebuchter Dienstflug der Hofburg ansteht. Dieser hatte dank des “blauen Hakerls”im Fall einer Flugzeug-Knappheit Vorrang und nicht auszufallen.

Die jüngst mit deutscher Gründlichkeit neu programmierten Lufthansa-Rechner hatten Freitag vor einer Woche freilich nicht nur nach einem kühlen Kostenkalkulations-Check die Ampel für OS 89 auf Rot gestellt. Gleichzeitig wurden alle rund 300 gebuchten Passagiere per SMS oder Mail über das Flug-Storno samt Umbuchungs-Optionen informiert.

Die Chance, den Computer noch overrulen war damit dahin. Kommando retour hätte nur neues Chaos ausgelöst. Van der Bellens Team entschied sich für den nächstmöglichen AUA-Transatlantik-Flug nach Montreal und Weiterflug mit Canada Air nach Newark.

Talk-Thema im Regierungsviertel: Selbst Slowakei verfügt über Regierungs-Jet

Der im Airline-Alltag unvermeidliche Vorfall eines gecancelten Fluges wäre nicht weiter der Rede Wert, würde er nicht neuen Stoff für eine schwelende Debatte bieten. Im Regierungsviertel sorgt hinter den Kulissen seit Jahren für Gesprächsstoff, dass sich nicht nur vergleichbar große Nachbarländer wie Tschechien, sondern selbst halb so große wie die Slowakei längst einen oder mehrere Regierungsflieger leisten. Bei Großereignissen wie EU-Gipfeltreffen reisen auch viele andere Premiers oder Minister mit regierungseigenen Verkehrsflugzeugen an.

Österreichs Repräsentanten nehmen hingegen in der Regel eine Linienmaschine. Wenn wegen knappen Terminkalenders und unzureichendem Angebots diese Option gänzlich ausfällt, parken sich heimische Politiker bestenfalls an Bord eines kleinen Bedarfsfliegers im Windschatten der stattlichen Airbus- oder Boeing-Maschinen ihrer Kollegen ein.

Van der Bellen bleibt lieber am Boden

Die Hofburg befeuert freilich diese Debatte auch nach der jüngsten Unbill zu Luft nicht, zumal der amtierende Bundespräsident im Gegensatz zu seinem Vorgänger nicht mit besonderer Reisefreude auffällt. Heinz Fischer ging, bevorzugt im Duo mit Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl, in seiner Amtszeit Dutzende Male mit ansehnlichen Wirtschafts- und Kulturdelegationen auf Türöffner-Tour für heimische Exportunternehmen und den Incoming-Tourismus. Bei seinem Nachfolger bleibt das die Ausnahme.

In den großen Fußstapfen von Heinz Fischer

Die jährliche Visite bei der UNO-Generalversammlung stand so auch bei Heinz Fischer nicht nur als Fixtermin im Kalender, der leidenschaftliche Außenpolitiker zelebrierte diesen auch mit zahlreichen bilateralen Treffen und Side-Events. Neben den offiziellen Begegnungen gehörte etwa eine Visite beim Außenpolitik-Guru der USA, Henry Kissinger unumstößlich zum Programm.

Fischers Nachfolger in der Hofburg legt auch die jährliche US-Reise lieber auf Understatement an. Den prestigeträchtigen Kissinger-Termin hatte sich nach Fischers Auszug aus der Hofburg der damalige Außenminister Sebastian Kurz gekapert und auch als Kanzler weiter in Wort und Bild zelebriert.

Grüne Markierungen auf dem New Yorker Parkett

Alexander Van der Bellen hinterlässt in Klimawandel-Zeiten wie diesen auch in New York lieber demonstrativ grüne Spuren. Er lässt sich bei der Generaldebatte über die UNO-Nachhaltigkeits-Ziele auf die Rednerliste setzen. An der Columbia Business School in Harlem trifft sich der emerierte Volkswirtschaftsprofessor einmal mehr mit dem renommierten Klimaökonomen mit österreichischen Wurzeln, Gernot Wagner zum akademischen Gedankenaustausch.

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Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei einer Rede im Rahmen eines "Sustainable Development Goals Summits" am Rande der UNO-Generalversammlung

 © APA/BUNDESHEER/PETER LECHNER

Einer seiner wenigen, vorab vereinbarten, handfest politischen Termine ist einer mit dem Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Sultan Al Jaber. Der Spitzenpolitiker der VAE ist zugleich auch Chef des staatlichen Ölkonzerns Adnoc und – was Van der Bellen imponiert – investiert, wenn auch in vergleichsweise überschaubarem Rahmen, in Erneuerbare-Energie-Projekte.

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Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Gespräch mit COP-28 Präsident Sultan Al Jaber

 © APA/BUNDESHEER/PETER LECHNER

Schallenbergs Tour de Force auf der weißen Afrika-Karte

Alexander Schallenberg, der zwei Tage nach Van der Bellen anreist, hat sich ein besonders exzessives Pensum an Vier-Augen-Gesprächen mit Außenminister-KollegInnen verordnet: Binnen zweieinhalb Tagen trifft der gelernte Diplomat mehr als Dutzend ausländische Vis-a-Vis, fast durchgehend solche die auf dem afrikanischen Kontinent zu Hause sind.

Elf der 27 EU-Außenminister-Kollegen machen bei einem ehrgeizigen Ziel mit, mehr als 100 sogenannte “bilaterals” vor allem mit Vertretern jener Staaten zu führen, die ein weißer Fleck auf dem Atlas der EU-Beziehungspflege sind. Das Signal, das beim jährlichen Gipfeltreffen der Weltpolitik gesetzt werden soll: Die EU nimmt die Rolle des immer stärker und selbstbewusster auftretenden “globalen Südens” Ernst. Die damit verbundene Botschaft: Den Lauf der Weltpolitik können und werden sich nicht mehr allein die Großmächte mit der EU im Beiwagen ausmachen.

Schallenberg war in Brüssel einer der treibenden Kräfte, dass sich möglichst viele EU-Minister mit ausgestreckter Hand vor allem in Richtung Afrika breit sichtbar engagieren.

Karl Nehammer storniert New-York-Reiseplan

Die hochgesteckten mittelfristigen Ziele gingen einmal mehr im aktuellen Schlachtenlärm um Bewertung und Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine weitgehend unter.

Österreichs Kanzler Karl Nehammer entschied sich wenige Wochen vor Start des weltpolitischen Schaulaufens im Big Apple, erst gar nicht ins Flugzeug zu steigen. Noch vor einem Jahr versuchte sich der außenpolitische Newcomer kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine kurzfristig gar als Friedensvermittler zwischen dem Autokraten im Kreml und den Machthabern in Kiew. Gut ein Jahr danach sah Nehammer trotz der reichhaltigen Agenda beim Gipfeltreffen der Weltpolitik, Top-Managern und führenden Experten offenbar nicht einmal eine medienwirksame Nebenrolle für sich.

Österreichs Präsenz bei den prestigeträchtigen Gipfelgesprächen zu Nachhaltigkeit und Klima hatte Van der Bellen als Staatsoberhaupt für sich in Anspruch genommen. Alles zudem Themen, bei denen sich Nehammer zuletzt kontrastreich positionierte und lieber als Schnitzel-König und Elektro-Auto-Skeptiker von sich reden machte.

In Sachen Weltpolitik ist Nehammer nach der kalten Abfuhr bei Putin offenbar für länger ein gebranntes Kind. Auf einen Kanzler-Jet oder gar eine kleine Fliegerflotte wie in vielen Nachbarstaaten werden die Vielreiser im Regierungsviertel so wohl weiter warten müssen.

International Crisis Group: “Weltlage düster, könnte aber schlimmer sein”

Der Ausblick, den Top-Experten wie der Direktor des Thinktanks „International Crisis Group“, Richard Gawon, auf die nächsten Jahre geben, ist nüchtern aber bestimmt: “Die Lage ist düster, aber es könnte schlimmer sein.”

Seine Begründung: Die Russen würden nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch auf dem internationalen und diplomatischen Parkett “immer aggressiver”. Die neue Weltmacht China lasse die UNO weiter links liegen, weil diese noch immer als verlängertes Spielfeld der USA gesehen wird. Chinas Staatschef Xi Jinping war in seiner bislang zehnjährigen Amtszeit nur einmal persönlich beim jährlichen UNO-Weltpolitik-Gipfel in New York anwesend. Xi fehlte so auch beim Showdown zwischen Selenski und Lawrow im UNO-Sicherheitsrat, der zwar zu einem Fernduell wurde, aber davor und danach die Schlagzeilen beherrschte.

UNO immer zahnloser und unbedeutender?

“Der Wind ist rauer, wir sehen neue Risse”, resümiert Außenminister Alexander Schallenberg. Die UNO, einst als Plattform jenseits der Blockbildung gedacht, drohe gerade in multiplen Krisenzeiten zwar immer wichtiger aber zugleich machtloser zu erscheinen. “Der Multilateralismus erlebt einen Stresstest”, formuliert Schallenberg diese ernüchternde Diagnose diplomatisch.

Überfällig aber wenig aussichtsreich sei daher zuvorderst eine Reform des UN-Sicherheitsrats, in dem die fünf ständigen Mitglieder ein Vetorecht haben. Vor allem Russland macht davon wieder ständig Gebrauch. "Ich hoffe, dass die Staaten, die permanente Mitglieder des Sicherheitsrates sind, irgendwann ein Einsehen haben, dass sie kein Interesse daran haben können, in einer Organisation eine Primus-inter-Pares-Stellung zu haben, die immer zahnloser und immer unbedeutender wird." Denn, so der Außenminister: "Wenn wir uns den Planeten heute anschauen, dann würde ich sagen, wir brauchen mehr UNO und nicht weniger."

Ein dringender Wunsch, den nicht nur die beiden Spitzenpolitiker, die Österreich in New York repräsentieren, gemeinsam haben.

Sechs-Augen Gespräch mit Brasiliens linkem Helden Lula

Unter sechs Augen trafen Van der Bellen und Schallenberg kurzfristig auch mit dem brasilianischen Staatspräsidenten zusammen. Luiz Inácio Lula da Silva bezwang Anfang des Jahres knapp aber doch seinen Widersacher Jair Bolsonaro bei der Präsidentenwahl.

Lula sei Österreich besonders verbunden, berichtet Van der Bellen nach dem Gespräch, weil er in den 1990er Jahren noch als Gewerkschaftsführer mit dem Bruno-Kreisky-Preis ausgezeichnet wurde und “mit dem Preisgeld seine 37 Quadratmeter-Wohnung saniert hat”.

Zurück in Wien will Van der Bellen diesen Faden aufnehmen und gemeinsam mit Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer ausloten, wie Österreich mit dem wiedererstandenen linken Helden und brasilianischen Staatspräsidenten mehr ins Geschäft kommen kam – angesichts des „Neins“ Österreichs zu Mercosur eine Herausforderung.

Unentbehrliche Plattform, überschaubares Ergebnis

Je 72 Stunden bringen Alexander Van der Bellen und Alexander Schallenberg beim heurigen Gipfel der Weltpolitik zu, der bis auf einen Tag Dauerregen bei prachtvollem Herbstwetter über die Bühne geht. Er hinterlässt am Ende bei vielen Teilnehmern vor allem ein Gefühl zurück: Nebelstochern im Indian Summer.

Sprich: Die UNO-Generalversammlung erscheint als größter Marktplatz der Weltpolitik weiter unentbehrlich, die Aussichten bleiben danach diesmal besonders überschaubar.

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