"Psychopharmaka oder Alkohol" war gestern. Der Kanzler setzt nun auf neue Geldspritzen, sinkende Inflation und mehr Netto vom Brutto als Stimmungsaufheller für das Superwahljahr 2024. Welche Lebenszeichen Türkis-Grün nach dem Wohnbau-Paket zudem vorhat und wo es noch haken könnte.
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Der Auftritt erinnerte an die Anfänge des türkis-grünen Kabinetts, kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie. Mittwoch kurz vor halb neun Uhr früh strebten Kanzler, Vizekanzler und zwei Minister im Gleichschritt auf ihre Rednerpulten zu, um in sorgsam choreographieren Rollen die jüngsten gemeinsamen Beschlüsse der Regierung zu verkünden. Nur der Ort der Inszenierung,
das “Demokratikum” im Eingangsbereich des Parlaments, strahlte nicht das gewohnte imperiale Gepräge, sondern die nüchterne Atmosphäre eines neu geschaffenen Konferenzraums im frisch renovierten Hohen Haus aus.
Ungewohnt war das Echo auf das rund 2,2 Milliarden Euro schwere Hilfspaket, das die massiv gestiegenen Bau- und Wohnkosten abfedern soll. Nicht vom Gros der Wirtschaftsforscher, sondern auch von vielen Leitartiklern gab es ungewöhnlich freigiebiges Lob ohne viele Wenn und Aber.
Regierungs-Message: "Das hat uns niemand mehr zugetraut"
Die PR-Truppen der Regierung nutzten den ungewohnten Rückenwind, um - wo immer sie konnten - die Botschaft loszuwerden: “Dieses kräftige Lebenszeichen hat uns niemand mehr zugetraut.” Verbunden mit der Ankündigung: Dem Wohnbau-Paket werden in den kommenden Wochen noch weitere gemeinsame Regierungsprojekte von der Energie- über die Sicherheits- bis zur Sozialpolitik folgen.
Der seit Monat als angezählt geltenden Regierung wurde ein ausreichender Vorrat an Gemeinsamkeiten vor allem auch innerhalb der ÖVP in der Tat nicht mehr zugetraut. Die wochenlangen Neuwahl-Spekulationen waren denn auch zuvorderst von gewichtigen Schwarz-Türkisen medial gestreut worden.
Zarter Umfragen-Aufschwung
In der ÖVP hat sich im Gefolge eines zarten Aufschwungs in den Umfragen nach Jahresbeginn am Ende aber jene Fraktion durchgesetzt, die schon seit Monaten an der Arbeitshypothese festhält: Sinkende Inflationsraten, zunehmend sichtbare Effekte auf den Gehaltszetteln (ob guter Gehaltsabschlüsse und Korrekturen beim Steuertarif – Stichwort: Aus für kalte Progression) würden bis zum regulären Wahltermin im September die miese Stimmung gegenüber der Politik etwas aufhellen.
Eine Einschätzung, die sich auch bei Karl Nehammer verfestigt hat. Dazu kommt, dass der ÖVP- und Regierungschef fest daran glaubt: Je länger er nach den ersten zwei sehr durchwachsenen Jahren an der Regierungsspitze noch Zeit habe, um am Ausbau seiner bislang ernüchternden Kanzler-Bonus-Werte zu arbeiten, desto besser könne das auch für das Abschneiden der ÖVP sein.
Kogler brachte schon zum Jahreswechsel Bau- und Wohnpaket ins Spiel
Der gelernte Ökonom Werner Kogler hatte schon vor dem Jahreswechsel Maßnahmen für die Baukonjunktur und Wohnbau-Kosten ventiliert. Angesichts der inflationsbedingt explodierenden Errichtungskosten und steigenden Zinsen drohten zusätzliche wirtschaftliche und soziale Verwerfungen.
Auf Ebene der Klubobleute, der Kabinette von Kanzler und Vizekanzler sowie des Finanz- und Sozialministerium wurden erste Ideen für ein breites Hilfspaket ausgetauscht. Begleitend wurden auch externe Experten wie der Chef des Wirtschaftsforschungs-Instituts (Wifo), Gabriel Felbermayr, konsultiert.
ÖVP-Trophäe: Geldspritze für mehr Eigentums-Wohnungen Grüne Trophäe: Leerstands-Abgabe für "Wohnungsspekulanten"
Das Ergebnis trägt alle Insignien eines Koalitionskompromisses. Der türkise Kanzler kann propagieren, dass er mit der Zinsstützung für 10.000 Eigentumswohnungen, die bei knapp unter 50 Prozent liegende Eigentumsquote etwas anheben kann. Mit dem neuen Füllhorn an billigen Darlehen sollen ebenso viele Mietwohnungen errichtet und 5000 Wohnobjekte saniert werden.
“Es ist uns ein Paket für leistbaren Wohnraum gelungen, das sich sehen lassen kann”, resümiert ein grünes Mitglied im Spitzenverhandler-Team: “Das ist eine Dauerlösung und kein Reichengeschenk wie der von den SPÖ-Gewerkschaftern mitgetragene Sozialpartner-Vorschlag eines Cash-Zuschusses von 100.000 Euro für Häuselbauer."
Die grünen Verhandler sind zudem stolz darauf, der lange hinhaltenden ÖVP grünes Licht für eine Leerstandsabgabe von Wohnraum abgerungen zu haben. Für die gesetzliche Verankerung braucht es noch die Zustimmung einer der beiden großen Oppositionsparteien - realistischerweise die der SPÖ, die eine solche "Wohnungsspekulations-Abgabe" schon lange propagiert.
Verhandlungsklima "normal zach"
In den kommenden Wochen wollen die Koalitionäre mit weniger Milliarden-Einsatz aber in mehreren weiteren Tranchen demonstrieren, dass “wir noch lange nicht am Ende sind”, wie türkise und grüne Koalitionäre selbstbewusst proklamieren.
Das Verhandlungsklima beschreiben beide Lager mit Worten wie “Normal zach” (ein ÖVP-Insider) oder “Es gab schon schwierigere Deals" (ein Grün-Insider).
Türkis-grünes Ringen: Strikter Öko-Kurs versus fossile Russengas-Alternativen
Der im Moment schwerste Brocken, den Nehammer & Kogler im finalen Ehrgeiz einer türkis-grünen Rapid-Viertelstunde stemmen wollen, liegt in den Händen von zwei traditionellen Antipoden im Kabinett:
Auf der einen Seite die Klimaministerin, auf der anderen der Finanzminister, die sich beide noch aus den Tagen als Magnus Brunner als Staatssekretär von Leonore Gewessler ein Schattendasein fristen musste, besonders kritisch beäugen.
Denn die Regierung hat sich – mangels nachhaltiger Erfolge - weiterhin mit den Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine an der Energiefront herumzuschlagen.
Gewessler musste jüngst eingestehen, dass Österreich nach wie vor vom Russen-Gas massiv abhängig ist. Aus Sicht ihrer Kritiker aus ÖVP und Wirtschaft setzt die grüne Vorzeige-Ministerin zu sehr allein auf den Ausbau erneuerbarer Energieträger. Bei der Schaffung von fossilen Alternativen stehe sie aber weiter auf der Bremse.
Diese regierungsinterne Debatte entzündete sich zuletzt auch daran: Um etwa mehr Flüssiggas ins Land zu bringen, müsste dringend die Kapazitäts-Lücke einer Pipeline, der West-Austria-Gasleitung im oberösterreichischen Mühlviertel, behoben werden. Wer für das 200-Millionen-Projekt aufkommen und das Betriebsrisiko tragen soll, war zum Ping-Pong-Ball zwischen Politik und den beteiligten Unternehmen geworden.
Am Tag nach der finalen Verkündigung des Wohnbau-Pakets ließ Karl Nehammer himself wissen: Türkis-Grün haben sich nun auch hier auf eine Geldspritze geeinigt, seitens des Bundes sei das Pipeline-Erweiterungsprojekt nun startklar.
Tonnenschwer bleibt freilich der Riesenbrocken, wie Türkis-Grün mit dem türkis-blauen Erbe der Fesselung an Moskau bei der Gas-Versorgung für weitere eineinhalb Jahrzehnte umgehen soll.
Nehammer ließ zuletzt extra dry wissen: Energieministerin Leonore Gewessler sei damit beauftragt, "alle Kosten zu prüfen, zu evaluieren und dann tatsächlich den Energieausstieg aus russischem Gas vorzubereiten".
Heiße Kartoffel Russen-Gas-Vertrag von Gewesslers Ministerium zu Brunners Öbag?
In ÖVP-Kreisen geht freilich vermehrt um: Die grüne Klima-Ministerin würde die politische Verantwortung für die Folgen des höchst umstrittenen Russengas-Vertrags der OMV, der in der Ära Kurz bis 2040 verlängert worden war, gerne dringend loswerden.
Und die heiße Kartoffel des Umgangs mit der OMV und ihrem knebelnden Gas-Vertrag an den Eigentümervertreter des Staatsanteils an der OMV, die Staatsholding ÖBAG, weiterreichen.
Dagegen wehrt sich mit Händen und Füssen der alleinige Eigentümervertreter in der ÖBAG, Finanzminister Magnus Brunner.
Ob, wie und wann Türkis und Grün aus diesem Mega-Patt noch herausfinden wollen, ist noch vollkommen offen. Für beide Partei steht in dieser hochsensiblen Frage jeweils ihre Kernkompetenz politisch auf dem Spiel.
Kurz jüngste Medienoffensive sorgt für schwarz-türkise Irritationen
Dieser Tage wollten sich Regierungsvertreter beider Lager eigentlich noch ungestört im Lichte des “unerwartet gelungenen Koalitions-Lebenszeichen” (so ein prominenter ÖVP-Wirtschaftsbündler) sonnen.
Dabei kam den Schwarz-Türkisen nicht nur der für breite ÖVP-Kreise überraschende Schuldspruch gegen Sebastian Kurz in Sachen “Falscher Zeugenaussage” in die Quere. Dass Kurz danach ein Interview-Offensive wie einst in Kanzlertagen auf allen verfügbaren TV-Kanälen und in Print-Medien startete, stieß selbst bei bisherigen Anhängern auf Kritik. “Damit tut er weder sich selber noch der Partei etwas Gutes”, sagt ein prominenter ÖVP-Mandatar. Der von Kurz einst als Quereinsteiger auf die ÖVP-Liste gesetzte Psychoanalytiker und Unternehmer Martin Engelberg blieb so mit seinem öffentlichen Feldzug gegen das Urteil weitgehend allein.
Karl Nehammer zog sich von Anfang an auf die Position zurück, nun gelte es das Berufungsverfahren abzuwarten. Erst als eine mediale Debatte über eine – bis dahin unbekannte und erst am Tag nach der Urteilsverkündung veröffentlichte - Disziplinarstrafe gegen den Richter bekannt wurde, ließ die ÖVP ihren Generalsekretär und gelernten Anwalt Christian Stocker auch zu einer Richter-Schelte ausrücken.
Kickl buhlt um türkise Kurz-Trauergemeinde
Als besonders auffällig wurde in der ÖVP aber der Umgang der FPÖ mit dem Schuldspruch gegen Kurz registriert. Herbert Kickl hat seit seinem von Kurz geplanten Rauswurf als Innenminister nach dem Ibiza-Skandal auch eine persönliche Rechnung mit dem Obertürkisen offen hat. Als neuer FPÖ-Chef vergatterte just Kickl dieser Tage die Blauen zu einem No-comment-Kurs zur schweren Niederlage seines einstigen Widersachers vor Gericht.
Als Kickl jüngst in einer Pressekonferenz um eine Antwort auf eine Frage zum Kurz-Urteil nicht umhinkam, wich er in folgenden Urteilsvergleich aus: Sebastian Kurz habe für eine falsche Zeugenaussage acht Monate bedingte Haft ausgefasst, Florian Teichtmeister wegen des Besitzes zehntausender Dateien mit Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen zwei Jahre bedingt. "Da war nix von vielen Verhandlungstagen und von einem breiten Zeugenaufmarsch, sondern das hat man im Schnellverfahren in einem Tag abgewickelt. Da war sehr schnell Schwamm drüber, Deckel drauf und die Sache war erledigt", wetterte Herbert Kickl.
Ein prominenter ÖVP-Politiker kann sich diese blaue Kehrtwende gegenüber dem türkisen Intimfeind von gestern nur so erklären: "Wir sind als ÖVP in dem Dilemma, die Causa Kurz nicht neuerlich aufzurühren, um als Partei nicht noch mehr Schaden zu nehmen. Herbert Kickl nutzt das mit seinem streichelweichen Umgang mit Kurz schamlos aus. Er hofiert nun auch jene türkisenen Wähler, die Sebastian Kurz nach diesem Urteil noch mehr nachtrauern.”