Einer von drei Trägern des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschatswissenschaften 2024: Daron Acemoglu
©picturedesk.com/APA/dpa/Frank MolterAls 2019 sein Buch „Gleichgewicht der Macht“, verfasst gemeinsam mit James Robinson, erschien, sprach trend-Redakteurin Martina Bachler mit dem diesjährigen Wirtschaftsnobelpreisträger Daron Acemoglu. Hier einige Auszüge aus dem Interview mit dem US-Ökonomen, u.a. über Donald Trump und Fehleinschätzungen der Globalisierung.
Die Bedeutung einer selbstbewussten, gut organisierten Zivilgesellschaft wird in Ihrem Buch immer wieder betont. Worin besteht ihre Bedeutung genau?
Die Staatsmacht kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. Unsere Analysen haben gezeigt, dass eine liberale Demokratie wirklich nur dann funktioniert, wenn die Macht des Staats und die der Zivilgesellschaft einander die Waage halten, sich gute Institutionen entwickeln können, an denen möglichst viele Menschen teilhaben, was tatsächlich zu mehr Wohlstand führt. Es braucht auch eine gewisse wirtschaftliche Perspektive, damit die Gesellschaft sich engagieren kann. Das alles kommt historisch selten zusammen.
Sie nennen diese Form von Staat den „gefesselten Leviathan". Welche anderen Formen haben sich Ihnen gezeigt?
Es gibt z. B. auch einen despotischen, dominanten Staat, der die Gesellschaft streng von oben herab regiert, einfach weil er es, wie in China, kann und wenig Widerstand erfährt. Wirtschaftliches Wachstum kann dort funktionieren, denn dieser Staat kann leistungsfähig sein. Für die Freiheit aber tut er nichts. Und dann ist da der „Papier-Leviathan".
Den es nur auf dem Papier gibt?
Es sind Staaten, die ihrer Form nach wie in vielen Entwicklungsländern zwar despotisch, aber nicht handlungsfähig sind. Weil nichts funktioniert, haben sich Abläufe herausgebildet, die irgendwann so stark sind, dass sie niemand ändern will. Auch wenn sie die Entwicklung eigentlich beschränken und bremsen. Strenge staatliche Vorschriften wären da oft besser. Das ist paradox, aber in schwachen Staaten oft der Fall. Es gibt erstaunlich viele dieser Staaten, die sich irgendwie halten.
Wie lässt sich das notwendige „Gleichgewicht der Macht“ herstellen?
Es muss wachsen, und es wächst furchtbar langsam. Und es zeigt sich auch, dass es ein andauernder Kampf ist, wenn man es erhalten will. Man sieht ja, dass demokratische Systeme bröckeln.
Sie meinen die USA?
Ich würde jetzt nicht gleich den Nachruf auf die USA schreiben wollen, aber die Institutionen der USA sind bei Weitem nicht so stark, wie viele angenommen haben. Die Gewaltenteilung hilft nur bedingt, wenn das Machtzentrum, die Präsidentschaft, so stark an Vertrauen verliert. Die vergangenen Jahre haben aber gezeigt, dass man ihr nicht vertrauen soll. Da kann die Verfassung noch so gut sein, übrigens. Verfassungen sind meist nicht viel mehr wert als das Papier, auf dem sie stehen -wenn sie nicht von einer wachsamen Gesellschaft verteidigt werden.
In den USA zeigt sich eine gespaltene Gesellschaft, was Ihrem Buch nach nie ein guter Ausgangspunkt für einen gefesselten Staat ist. Aber gibt es wirklich große Proteste gegen Trump?
Es gibt medialen Druck, und es gab Proteste gegen seinen Vorschlag, Muslime nicht mehr einreisen zu lassen, sowie dagegen, dass eingewanderte Kinder von den Eltern getrennt und eingesperrt werden. Das alles ist wichtig. Die Herausforderung ist es, die Sorgen der Trump-Wähler in den alten Industriezonen zu verstehen, die zu sozialer Unsicherheit geführt haben, und sich gleichzeitig klar gegen Trump zu positionieren.
Auch in Osteuropa gelingt es Populisten, diese Ängste besser anzusprechen, auch hier gibt es teils klar antidemokratische Tendenzen.
Man darf aber nicht unterschätzen, wie erfolgreich diese Länder den Übergang gemeistert haben, wie gut sie wirtschaftlich dastehen und wie stark ihre Zivilgesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten auch deshalb geworden ist. Zwar hat sie in Ungarn zugelassen, dass Viktor Orbán sich sehr viel Macht verschaffen konnte, aber in anderen Ländern sieht es auch anders aus. In Polen und auch in Tschechien wird auch demonstriert.
Das heißt, es kann also doch eine Entwicklung hin zu mehr Demokratie geben?
Ja, auch wenn die Zahl an freien Demokratien in den vergangenen Jahren wieder zurückgegangen ist. Wir müssen verstehen, dass sie keine Selbstverständlichkeit sind. Wie müssen sie gerade im Westen nun auch verteidigen. Wir merken, dass wir die Auswirkungen der Globalisierung und anderer Entwicklungen falsch eingeschätzt haben und es zunehmend soziale Spannungen gibt.